BVerfG-Verhandlung zur Europawahl: Von enger Koope­ra­tion und natio­nalen Sicht­weisen

Nach Meinung von drei Bürgern, darunter der Speyerer Rechtsprofessor Hans Herbert von Arnim, ist die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei der Abgeordnetenwahl für das Europäische Parlament verfassungswidrig. Am Dienstag wurde der Fall in Karlsruhe verhandelt. Worum es dabei neben dem Problem der Reichweite einer Prüfung des Europawahlgesetzes noch ging, berichtet Sebastian Roßner.

Die Beschwerdeführer wollen erreichen, dass die 2009 durchgeführten Europawahlen für ungültig erklärt werden. Die Sache wird deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verhandelt, weil die Europäische Union (EU) mit dem so genannten Direktwahlakt nur einen rechtlichen Rahmen für die Wahlen zum Europäischen Parlament zieht, den die einzelnen Mitgliedstaaten dann ausfüllen müssen. Als Konsequenz hat jeder Mitgliedstaat sein eigenes Europawahlgesetz geschaffen.

Folgerichtig überlässt Art. 12 S. 2 des Direktwahlaktes auch die Wahlprüfung den Mitgliedstaaten, soweit ausschließlich nationales Recht betroffen ist. In Deutschland verweist § 26 Europawahlgesetz (EuWG) für die Wahlprüfung auf die Regelungen zur Anfechtung einer Bundestagswahl. Die etwas überraschende Folge ist, dass zunächst der Deutsche Bundestag prüft, ob die Wahl zum Europäischen Parlament korrekt verlaufen ist.

Gegen die Entscheidung des Bundestages kann dann gemäß § 26 Abs. 3 EuWG Beschwerde zum BVerfG erhoben werden. Bis in dieses fortgeschrittene Stadium des Verfahrens hatten sich die drei Beschwerdeführer vorgekämpft.

Zersplitterung des EU-Parlaments als Ansatzpunkt

Im Mittelpunkt der Verhandlung am 4. Mai 2011 nun stand § 2 Abs. 7 EuWG, der die 2009 in Deutschland zu wählenden 99 von insgesamt 736 europäischen Abgeordneten betraf. Danach entsenden nur diejenigen deutschen Parteien Volksvertreter nach Brüssel, die einen Anteil von mindestens fünf Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben.

Während die Beschwerdeführer darin einen Verstoß gegen die Wahlrechtsgleichheit nach Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und die Chancengleichheit der politischen Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 GG sehen, geht der Deutsche Bundestag von einem gerechtfertigten Eingriff aus, den die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments erfordere.

Zwei Argumente führten seine Vertreter dabei ins Feld: Zum einen dürfe das Europäische Parlament nicht zu sehr zersplittert sein, um nicht seine interne Abstimmung und Mehrheitsfindung in gefährlicher Weise zu gefährden. Zum anderen sei für eine wirksame Vertretung deutscher Interessen eine enge Rückkopplung der deutschen Europaparlamentarier mit dem Bundestag essentiell. Diese sei nur gewährleistet, falls in beiden Parlamenten dieselben politischen Kräfte vertreten seien.

BVerfG war zuletzt gegenüber Sperrklauseln skeptisch

Eine gewisse Uneinigkeit des Gerichts deutete sich nun bei der Frage an, wie intensiv die Verfassungsmäßigkeit des EuWG überprüft werde kann. Während Richter Huber den Bevollmächtigten des Deutschen Bundestages fragte, ob angesichts der Schwere des Eingriffs in die Wahlrechtsgleichheit das Gericht nicht intensiver kontrollieren müsse, stellte der berichterstattende Richter Mellinghoff auf einen anderen Punkt ab.

Er wollte von den Beschwerdeführern wissen, ob eine Entscheidung des BVerfG nicht auch die Reaktionen anderer Mitgliedstaaten der EU berücksichtigen müsse: Auch wenn eine Aufhebung der Sperrklausel in Deutschland die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nicht wesentlich verändere, sei es möglich, dass weitere Staaten sich zu einer Aufhebung ihrer Sperrklauseln entschließen. Dadurch aber drohe eine weitere Zersplitterung des Parlaments.

Auch die Frage nach der Rückkopplung der deutschen EU-Parlamentarier mit ihren Kollegen aus dem Bundestag wurde eingehend behandelt. Während die anwesenden Abgeordneten beider Parlamente die Bedeutung der intensiven Zusammenarbeit für die Durchsetzung deutscher Interessen in Europa betonten, hielten ihnen Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle und Richter Huber vor, ob dies nicht eine sehr nationale Sichtweise ist. Nach dem EU-Vertrag seien die EU-Parlamentarier doch auf die Vertretung der Unionsbürger verpflichtet.

Es bleibt abzuwarten, ob das Gericht der Linie seiner jüngeren Entscheidungen folgt, in denen es sich gegenüber Sperrklauseln skeptisch gezeigt hat (Urt. v. 13.02.2008, Az. 2 BvK 1/07; Beschl. v. 11.03.2003, Az. 2 BvK 1/02). Diese Entscheidungen ergingen zwar zu Fragen des Kommunalwahlrechts. Die dort an den Gesetzgeber gerichtete Forderung, dass die behaupteten positiven Wirkungen einer Sperrklausel auch empirisch überprüft werden, lässt sich aber durchaus auf den europäischen Bereich übertragen. Eine zentrale Frage der kommenden Entscheidung dürfte sein, wieviel Spielraum das Gericht dem Gesetzgeber bei seiner Einschätzung lassen wird.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für deutsches und europäisches Parteienrecht an der Heinreich-Heine-Universität Düsseldorf.

 

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Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, BVerfG-Verhandlung zur Europawahl: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3188 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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