Wer im Alter bei drohender Demenz vermeiden will, dass ein Gericht eine Betreuung anordnet, muss rechtzeitig selbst einen Vorsorgebevollmächtigten beauftragen. Dennoch bestellen Gerichte mitunter entgegen diesem ausdrücklichen Willen einen von ihnen ausgewählten Betreuer. Diese für Betroffene beängstigende Praxis der Instanzgerichte schränkt der BGH aber immer mehr ein - zu Recht, meint Herbert Grziwotz.
Über 1,3 Millionen volljährige Menschen sind in Deutschland geschäftsunfähig und stehen unter vom Gericht angeordneter Betreuung. Es dürfte nicht zuletzt dem demografischen Wandel geschuldet sein, dass der Bundesgerichtshof (BGH) sich mit dem Thema in den letzten Jahren mehrfach beschäftigen musste. Mit ihrer neuesten, von der Fachwelt bislang kaum beachteten Entscheidung (BGH, Beschl. v. 07.03.2012, Az. XII ZB 583/11) haben die Karlsruher Richter eine Betreuerbestellung aufgehoben, die erfolgt war, obwohl ein an Demenz Erkrankter vor Ausbruch seiner Krankheit einer Person seines Vertrauens eine Generalvollmacht zur Vertretung gegenüber jedermann, insbesondere Gerichten, Behörden, Privaten, Banken und Sparkassen, erteilt hatte.
Grund für die dennoch erfolgte Bestellung des Betreuers, dem das Gericht neben der Vermögenssorge noch weiter gehenden Aufgabenbereichen zugestand, war die Information eines Gerichtsvollziehers, der aus einem Titel mit einer Gesamtforderung von ca. 39 Euro gegen den Demenzkranken vollstrecken wollte. Der Bevollmächtigte verhindere die Liquidation der Forderung und die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, so der Schuldenbeitreiber.
BGH präzisiert den Vorrang der Betreuerbestellung
Anders als dem AG Alzey und dem LG Mainz reichte diese Begründung dem XII. Zivilsenat des BGH nicht aus. Er hob die Beschlüsse der Vorinstanzen auf, da sie die Nachrangigkeit der Betreuerbestellung gegenüber der Vorsorgevollmacht nicht beachten. Sie enthielten keine Feststellungen zur Ungeeignetheit des Bevollmächtigten. Zudem sei der uneingeschränkte Aufgabenkreis der Vermögenssorge unverhältnismäßig, wenn der Bevollmächtigte eventuell bloß in einem Einzelfall ungeeignet ist.
Eine Vorsorgevollmacht kann eine Betreuerbestellung nicht immer verhindern. Es heißt zwar in § 1896 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), dass eine Betreuung nicht erforderlich ist, soweit ein Bevollmächtigter die Angelegenheiten des Geschäftsunfähigen ebenso gut besorgen kann wie ein Betreuer.
Ist der Bevollmächtigte aber ungeeignet, sich um die Belange des Betroffenen zu kümmern, kann dennoch ein Betreuer bestellt werden. Das Gericht muss dies zum Schutz vor allem alter und hilfsbedürftiger Menschen anordnen, wenn es erhebliche Zweifel an der Redlichkeit des Vorsorgebevollmächtigten hat, zum Beispiel weil gegen ihn ein Strafverfahren wegen eines Vermögensdelikts läuft (so bereits BGH, Beschl. v. 13.04.2011, Az. XII ZB 584/10).
Kontrollbetreuung nicht schon bei Familienstreit
Statt der Bestellung eines Betreuers anstelle des Bevollmächtigten kann das Gericht für ihn auch einen Betreuer als Kontrolleur einsetzen. Dieser "Kontrollbetreuer" hat den Bevollmächtigten zu überwachen und gegebenenfalls die Vollmacht zu widerrufen. Auch ein solcher Schritt ist nur gerechtfertigt, wenn Zweifel an der Rechtschaffenheit oder der Eignung des Bevollmächtigten bestehen. Ferner kann eine Überwachungsbetreuung bei einem besonderen Umfang oder einer besonderen Zusammensetzung des zu betreuenden Vermögens angeordnet werden.
Ein bloßer Streit zwischen mehreren Bevollmächtigten, der häufig bei mehreren als Vorsorgebevollmächtigten eingesetzten Kindern vorkommt, die vom Betreuungsgericht verlangen, dass für den "bösen" Geschwisterteil eine Überwachung angeordnet wird, genügt dagegen nicht, um einen Kontrolleur einzusetzen (BGH, Beschl. v. 30.03.2011, Az. XII ZB 537/10).
Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit trägt auch die Feststellung des Senats in seiner aktuellen Entscheidung Rechnung, dass das Gericht keine umfassende Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge anordnen darf, wenn weniger einschneidende Maßnahmen möglich sind. So kann es ausreichen, den Betreuer nur für eine einzelne Angelegenheit zu bestellen. Versagt der Bevollmächtigte in einer Sache seine Mitwirkung, muss das Betreuungsgericht zunächst prüfen, ob er das nicht vielleicht ganz zu Recht tut. So auch in dem vom BGH entschiedenen Fall, in dem die Karlsruher Richter Erwägungen der Instanzgerichte dazu vermissten, ob möglicherweise berechtigte Einwendungen seitens des Bevollmächtigten gegen die Forderung bzw. die Vollstreckung bestanden.
Sicherheit für Partner und Familienangehörige
Auch wenn also die Gerichte trotz einer Vorsorgevollmacht eine Betreuung anordnen können, hat der BGH die gesetzlich angeordnete Subsidiarität der Betreuung gegenüber der Vorsorgevollmacht bestätigt. Sie soll das Selbstbestimmungsrecht der nicht mehr geschäftsfähigen, meist älteren Menschen stärken. Die Vorsorgevollmacht, die jemand einer Vertrauensperson mit Blick auf seine künftige Geschäftsunfähigkeit erteilt, verhindert deshalb im Regelfall eine Fremdbetreuung.
Der Subsidiaritätsgrundsatz würde unterlaufen, wenn man Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmacht allzu vorschnell bejahte. Menschen zu Beginn einer Demenzerkrankung können unter Umständen noch bewusst eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht übertragen. Dazu müssen sie auch nicht jede juristische Einzelheit des langen Vollmachtstextes verstehen (OLG München, Beschl. v. 05.06.2009, Az. 33 Wx 278, 279/08).
Partnern und Familienangehörigen, die meist zu Vorsorgebevollmächtigten bestellt werden und Verantwortung für einen kranken Menschen übernehmen, gibt die nun durch mehrere Entscheidungen bestätigte Rechtsprechung des BGH ausreichende Sicherheit. Sie führt zudem zur Entlastung der Gerichte und vermeidet für die Betroffenen nicht zuletzt die nicht unerheblichen Gerichtskosten. Anders als ein Betreuer muss der Bevollmächtigte allerdings gleichsam ehrenamtlich tätig werden, wenn der Geschäftsunfähige mittellos ist. Vergütung und Aufwendungsersatz aus der Staatskasse gibt es nämlich nur für Betreuer.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel.
Herbert Grziwotz, Betreuung bei Vorsorgevollmacht: . In: Legal Tribune Online, 19.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6421 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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