Eine Amtsrichterin brachte Betroffene in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie unter, ohne sie vorher anzuhören. Das ist Rechtsbeugung, so das LG - und entschied sich entgegen der Auffassung von Staatsanwaltschaft und Verteidigung.
Das Landgericht (LG) Stade hat am Montag eine Amtsrichterin wegen Rechtsbeugung verurteilt. Im Zeitraum von Mai 2016 bis Dezember 2017 hat die Richterin am Amtsgericht (AG) Rotenburg in 15 Fällen Betroffene gegen ihren Willen in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie untergebracht, ohne (rechtzeitig) eine Anhörung durchzuführen. Dies bestätigte die Pressesprecherin des Gerichts gegenüber LTO. Entweder habe sie die Betroffenen gar nicht oder erst wesentlich später angehört. In einem Fall habe sie beispielsweise 20 Tage, in einem anderen erst 50 Tage nach der Einweisung eine Anhörung durchgeführt (Urt. v. 06.03.2023, Az. 302 KLs 150Js 38162/18 (2/22)).
Das Gericht muss den Betroffenen gem. § 319 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm verschaffen. Davon darf es gem. § 332 S. 1 FamFG nur bei Gefahr im Verzug abweichen. Dies ist der Fall, wenn die Unterbringung aufgrund gesteigerter Dringlichkeit notwendig ist. Eine solche Dringlichkeit besteht etwa bei Suizidgefahr des Betroffenen. In diesen Konstellationen muss die Anhörung jedoch gem. § 332 S. 2 FamFG unverzüglich nachgeholt werden. Dies meint in aller Regel spätestens den nächsten Tag.
Richterin sei systematisch vorgegangen
Die Amtsrichterin hat die Vorwürfe objektiv nicht bestritten. Sie habe jedoch nicht vorsätzlich gehandelt. Die unterlassenen Anhörungen seien Folge ihrer Arbeitsbelastung gewesen.
Die Kammer sah dies anders und verurteilte die Angeklagte – entgegen der geforderten Freisprüche seitens der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Sie stützte sich im Wesentlichen auf die Zeugenaussage einer damaligen Arbeitskollegin der Amtsrichterin, so die Pressesprecherin. Die Zeugin habe die Richterin mehrfach auf ihre nicht durchgeführten Anhörungen angesprochen und auf deren Notwendigkeit hingewiesen. Die nunmehr Verurteilte habe entgegnet, eine andere Auffassung davon zu vertreten und einfach mit ihrer Praxis weitergemacht. Dies stelle laut Kammer eine bewusste Entscheidung und ein systematisches Vorgehen dar. Damit sah das Gericht den Tatbestand der vorsätzlichen Rechtsbeugung gem. § 339 Strafgesetzbuch (StGB) als erfüllt an.
Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die verurteilte Amtsrichterin kann bis nächsten Montag Revision einlegen. Tut sie dies nicht, verliert sie sofort und dauerhaft ihr Richteramt und alle Pensionsansprüche. Zudem dürfte sie mindestens für die nächsten fünf Jahre keinen juristischen Beruf ausüben, so die Pressesprecherin.
LG Stade zu Unterbringung in Psychiatrie ohne Anhörung: . In: Legal Tribune Online, 07.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51245 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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