Viele Infrastrukturprojekte kommen wegen rechtlicher Hürden nicht voran. Union und SPD wollen die Verfahren beschleunigen, sind aber auf die EU angewiesen. Christiane Kappes und Ursula Steinkemper erläutern, welche Maßnahmen helfen könnten.
Die Vertiefung von Elbe und Weser, die "Uckermarkleitung", die Berlin mit Windenergie versorgen soll, der A20-Tunnel unter der Elbe oder das neue Kohlekraftwerk Moorburg im Hamburger Hafen: In Deutschland vergeht von der Planung bis zur endgültigen Genehmigung wichtiger Infrastrukturvorhaben nicht selten ein ganzes Jahrzehnt.
Jahrelange Prozesse vor den Verwaltungsgerichten führen zu Verzögerungen, die vom Gericht festgestellten Fehler müssen im weiteren Verfahren ausgebessert werden –auch das kann wiederum mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Damit erweisen sich die Genehmigungsverfahren für große Projekte wie Stromtrassen, Autobahnen, Schienenwege oder Flughäfen mittlerweile als echte Fortschrittsbremse.
Dabei gäbe es allemal genug zu tun: die Energiewende und der hierfür erforderliche Netzausbau, die Modernisierung und Umrüstung des Kraftwerksparks oder der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Obwohl für einige der genannten Projekte schon jetzt gesetzliche Beschleunigungsregelungen bestehen, kommt der Infrastrukturausbau nur schleppend voran.
Immer neue Umweltuntersuchungen
Die Gründe für diese Misere sind vielfältig. Die rechtlichen Anforderungen an umweltrelevante Vorhaben steigen stetig. Das europäische Natur- und Artenschutzrecht sowie das Wasserrecht erfordern immer umfangreichere Umweltuntersuchungen, die mehrere Monate oder sogar Jahre dauern und deren Dokumentation in den Antragsunterlagen oft mehrere tausend Seiten einnimmt.
Hohe fachliche Hürden ergeben sich aus dem im Europäischen Recht verankerten Vorsorgegrundsatz. Verbleiben trotz Anwendung bester wissenschaftlicher Erkenntnisse Unsicherheiten bei der fachlichen Bewertung, müssen diese durch worst-case-Annahmen überbrückt werden. Daher finden sich in der Genehmigung oft Vorgaben, die in der Realität weit über den tatsächlich erforderlichen Schutz hinausgehen und jedes noch so theoretische Risiko ausschließen.
Zudem kommt es nach deutschem Recht auf die Einhaltung der rechtlichen Anforderungen zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung an. Läuft ein Genehmigungsverfahren über einige Jahre, veralten die den Umweltuntersuchungen zugrundeliegenden Daten und müssen im Verfahren neu erhoben werden.
Auch bei Änderungen von Rechtsvorschriften oder der Rechtsprechung während des Verfahrens müssen die Unterlagen nachgebessert, häufig auch die Öffentlichkeit erneut beteiligt werden. Darin liegt ein Hauptgrund für lange Verfahrensdauern und eine Hauptfehlerquelle.
Der EuGH hat die Klagemöglichkeiten erheblich ausgeweitet
Eine wesentliche Rolle spielt auch der Rechtsschutz. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgeweitet. Inzwischen können Umweltverbände Genehmigungen für umweltrelevante Vorhaben wegen aller denkbaren Rechtsverletzungen beklagen.
Zudem hat der EuGH die gerichtliche Präklusion bei umweltrelevanten Vorhaben aufgehoben. Bislang mussten Umweltverbände und Privatbetroffene im Zulassungsverfahren fristgemäß auf Defizite aufmerksam machen. Damit sorgte die Präklusion für eine frühzeitige Nachbesserung von Umweltprüfungen und für eine Konzentration der Streitfragen im Gerichtsverfahren auf rechtzeitig vorgebrachte Einwendungen. Inzwischen können Umweltverbände und Privatbetroffene sogar erst im Gerichtsverfahren Einwendungen gegen ein Vorhaben erheben. Dies vermindert die Rechts- und Planungssicherheit erheblich.
Zugleich zeichnen sich deutsche Verwaltungsgerichte – anders als die anderer europäischer Staaten – durch eine hohe Kontrolldichte aus, prüfen beispielweise Fachgutachten in bemerkenswerter Detailtiefe. Die Balance zwischen hoher Kontrolldichte und strengen Zugangsvoraussetzungen zur gerichtlichen Überprüfung ist mit der Ausweitung des Rechtsschutzes im Umweltrecht aus dem Gleichgewicht geraten.
Um den Ausbau von Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen, müssten zunächst die Anforderungen insbesondere des Natur- und Artenschutzrechtes auf die wirklich erforderlichen Schutzstandards reduziert werden. Auch praxistaugliche Stichtagsregelungen im Hinblick auf die Datenaktualität bei Umweltuntersuchungen sowie strengere Fristen für den Vortrag im Zulassungs- und Gerichtsverfahren könnten zu einer effektiveren Verfahrensgestaltung führen.
Union und SPD versprechen Entbürokratisierung
Die Große Koalition hat den Handlungsbedarf erkannt. Das in der vergangenen Legislaturperiode vom Bundesverkehrsministerium einberufene Innovationsforum Planungsbeschleunigung hat verschiedene Maßnahmen benannt. Einige finden sich auch im Koalitionsvertrag wieder: So wollen Union und SPD das Planungs- und Genehmigungsrecht umfassend auf Beschleunigungs- und Entbürokratisierungsmöglichkeiten überprüfen.
Auf der EU-Ebene werde man sich auch für eine Überprüfung der Reichweite des Verbandsklagerechts und für die Wiedereinführung der Präklusion einsetzen. Ob es soweit kommt, ist jedoch mehr als ungewiss. Insbesondere die Absichten zur (Rück-)Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten im Umweltrecht sind sehr ambitioniert und dürften am EU-Gesetzgeber scheitern.
Auch substantielle Änderungen des materiellen Rechts sind in der nächsten Zeit nicht zu erwarten, weil hierfür meist Nachjustierungen der europäischen Richtlinien erforderlich wären. Auf EU-Ebene sieht man dafür indes wenig Bedarf. Trotz gleicher europäischer Vorgaben unterscheiden sich die praktische Herangehensweise und die Prüftiefe in den Mitgliedstaaten erheblich. Langwierige Genehmigungs- und Gerichtsverfahren stellen in vielen anderen Mitgliedstaaten ein weniger dringliches Problem dar.
Bestehende Beschleunigungsmöglichkeiten nutzen
Vorhabenträger und Behörden sollten daher die schon jetzt bestehenden Beschleunigungsmöglichkeiten nutzen. Genehmigungsverfahren können durch gute Vorbereitung und geschicktes Verfahrensmanagement effizient gestaltet und die Risiken späterer Klagen reduziert werden.
Die rechtlichen Anforderungen sollten mit Sorgfalt, aber auch mit Augenmaß angewendet werden. So können Fachbehörden und Träger öffentlicher Belange nur in dem gesetzlich geforderten Maß beteiligt werden und umweltfachliche Gutachten nicht zu vorsorglicher Grundlagenforschung, sondern nur in dem tatsächlich erforderlichen Maß eingeholt werden.
Auch bei der Abfassung der oft viele hundert Seiten langen Genehmigungen können Behörden Beschleunigungspotential nutzen. Die Gerichte klagen hier oft über mangelhafte Lesbarkeit, Unklarheiten oder Fehler bei der Abwägung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange. So sollten Genehmigungen handwerklich fehlerfrei sein, beispielsweise die Nebenbestimmungen inhaltlich klar und widerspruchsfrei gefasst werden.
Mit Blick auf die Gerichte wäre wünschenswert, dass sie ihre Prüftiefe im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten angemessen reduzieren.
Der Ausbau wichtiger Infrastrukturen kann nur gelingen, wenn Genehmigungs- und Gerichtsverfahren beschleunigt werden. Das hat auch die Politik erkannt, wie etwa die Aufnahme des Themas in den Koalitionsvertrag zeigt. Für den großen Wurf müssten allerdings der deutsche und der europäische Gesetzgeber tätig werden. Vorhabenträger, Behörden und Gerichte sollten die im Detail bestehenden Beschleunigungsmöglichkeiten aber auch schon jetzt nutzen.
Dr. Christiane Kappes und Dr. Ursula Steinkemper sind Rechtsanwältinnen und Partnerinnen bei CMS Deutschland und auf Umwelt- und Planungsrecht spezialisiert. Sie beraten regelmäßig deutsche und internationale Unternehmen bei komplexen Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren.
Ausbau von Infrastruktur stockt: . In: Legal Tribune Online, 07.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27379 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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