Wenn ab Dienstag das OVG in Bautzen über die Klagen von drei Naturschutzverbänden gegen die Dresdner Waldschlösschenbrücke verhandelt, wird es unter anderem um die Frage gehen, inwieweit seltene Fledermaus- oder Vogelarten beeinträchtigt sind. Dies mit abschließender Gewissheit zu beurteilen, ist nicht nur für Juristen schwierig bis unmöglich, meint Alfred Scheidler.
Nicht zuletzt wegen europarechtlicher Vorgaben haben naturschutzrechtliche Belange in Zulassungsverfahren für Infrastrukturvorhaben in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die EG-Richtlinie Fauna-Flora-Habitat (92/43/EWG), die EG-Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG) und spezielle artenschutzrechtliche Bestimmungen.
Werden derartige Vorhaben genehmigt, können Naturschutzverbände gegen die Zulassungsentscheidung, in der Regel ein Planfeststellungsbeschluss, gerichtlich vorgehen, ohne geltend machen zu müssen, in eigenen Rechten verletzt zu sein. § 64 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) räumt ihnen ein Klagerecht auch ohne diese Voraussetzung ein.
Entsprechend gingen die drei Naturschutzverbände vor und haben den Planfeststellungsbeschluss zum Bau der Waldschlösschenbrücke in Dresden angefochten. Begründet wurde die Klage unter anderem damit, dass das Bauvorhaben die Fledermausarten "Großes Mausohr", "Mopsfledermaus" und "Kleine Hufeisennase" sowie die vom Aussterben bedrohte Vogelart "Wachtelkönig" stärker beeinträchtigen würde, als im Planfeststellungsbeschluss angenommen.
Verbände überhäufen Behörden mit Fragen zu Prognosen
Der Fall "Waldschlösschenbrücke" zeigt, dass die Genehmigungsbehörden vor einem Dilemma stehen: Einerseits sollen sie in angemessener Zeit über einen Genehmigungsantrag entscheiden. Andererseits laufen sie Gefahr, dass ihnen in einem Gerichtsverfahren vorgehalten wird, nicht jeden Zweifel darüber ausgeräumt haben, ob eine vorhandene seltene Tierart beeinträchtigt wird, weil nicht jede Erkenntnisquelle darüber ausgeschöpft wurde.
Zu den fachlichen Aussagen der Behörden formulieren Naturschutzverbände oftmals zahlreiche Fragen darüber, was alles noch nicht geklärt, aber für die Entscheidung möglicherweise bedeutsam ist. Mit dieser Strategie haben es die Verbände immerhin geschafft, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Waldschlösschenbrücke einen vorübergehenden Baustopp beim Verwaltungsgericht (VG) Dresden zu erwirken (Beschl. v. 09.08.2007, Az. 3 K 71207).
Entscheidend für das VG waren Zweifel an der fachlichen Richtigkeit und Vollständigkeit der von der Genehmigungsbehörde vorgenommenen FFH-Verträglichkeitsprüfung für die Fledermausart "Kleine Hufeisennase" (Rhinolophus hipposideros). Diese Zweifel hatte das Gericht deshalb, weil der verfügbare Wissensstand zu dieser Fledermausart lückenhaft ist und sich daher nicht abschätzen ließe, ob erhebliche Beeinträchtigungen vorliegen.
Im Zweifel für die Fledermaus?
Würde man dieser Argumentation folgen, käme dies einer Übertragung des strafrechtlichen Zweifelsgrundsatzes auf das Verwaltungsrecht gleich: "In dubio pro Rhinolopho hipposideros". Demnach dürfte das in Rede stehende Vorhaben immer dann nicht genehmigt werden, wenn auch nur geringste Zweifel darüber bestehen, ob beziehungsweise inwieweit die betreffende Art beeinträchtigt ist. Dies kann nicht richtig sein, denn mit einer solchen Begründung könnten Naturschutzverbände wichtige Infrastrukturvorhaben für lange Zeit, wenn nicht sogar dauerhaft, lahm legen.
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) mit Beschluss vom 12. November 2007 den Baustopp für die Waldschlösschenbrücke - mit gewissen Auflagen - zwar wieder aufgehoben, aber noch keine abschließende Äußerung getroffen (Az. 5 BS 336/07). Eine solche steht nun in dieser Woche an, in der das Bauprojekt im Hauptsacheverfahren verhandelt wird.
Dabei wäre es sachgerecht, nicht "im Zweifel für die Fledermaus" zu entscheiden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse über bestimmte Tierarten können nämlich immer zur Relativierung älterer Erkenntnisse führen, so dass stets gewisse Restzweifel bleiben, ob bestimmte Bauvorhaben die jeweilige Tierart erheblich beeinträchtigen oder nicht.
Maßgebend muss daher sein, ob die Genehmigungsbehörde ihre Entscheidung nach dem besten Stand der vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse getroffen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, auch die letzte wissenschaftliche Veröffentlichung zu berücksichtigen. Nur auf diese Weise sind staatliche Entscheidungen bei mehr oder weniger großen Wissenslücken zum Artenschutz möglich.
Wie das Sächsische OVG im Ergebnis entscheiden wird, ist offen. Im Hinblick darauf, dass bereits mehr als 90 Millionen Euro verbaut sind, spricht einiges dafür, dass die Richter eine pragmatische Entscheidung treffen und die Klage der Naturschutzverbände abweisen, so wie auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der vorläufige Baustopp bereits aufgehoben wurde.
Der Autor Dr. Alfred Scheidler ist Oberregierungsrat in Neustadt an der Waldnaab und Autor zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht.
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Alfred Scheidler, Baupläne vor Sächsischem OVG: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3547 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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