Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge klagt über zu viele offensichtlich erfolglose Asylanträge aus den Balkanstaaten. Die Bundesregierung will nun mit der gesetzlichen Vermutung helfen, dass in diesen Ländern grundsätzlich niemand politisch verfolgt wird – eine Verfahrensvereinfachung. Im Innenausschuss erklärte Daniel Thym, warum das Flüchtlingsrecht die Roma nicht schützen kann.
LTO: Die Bundesregierung will Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina asylrechtlich als sichere Herkunftsländer einstufen. Was bedeutet das für das Asylverfahren von Menschen aus diesen Ländern?
Thym: Es greift dann die gesetzliche Vermutung, dass die drei Länder sicher sind. Das bedeutet nicht, dass Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern nicht mehr geprüft werden. Das Grundgesetz und die Asyl-Verfahrens-Richtlinie der EU legen eindeutig fest, dass das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten lediglich eine verfahrensrechtliche Erleichterung ist. Es geht um eine Sicherheitsvermutung, die im Einzelfall widerlegt werden kann. Ob dies zutrifft, muss auch künftig geprüft werden.
LTO: Was macht ein sicheres Herkunftsland aus und wie unterscheidet es sich von einem sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG), § 26a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG)?
Thym: Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat bezieht sich auf die Situation im Heimatstaat, also die Sicherheit von Serben in Serbien oder von Mazedoniern in Mazedonien. Das Konzept der sicheren Drittstaaten meint dagegen, die Sicherheit in einem anderen Land als dem Heimatstaat. Es geht um sogenannte erste Asylstaaten. Ganz konkret geht es dann etwa um Syrer, die über Österreich nach Deutschland reisen. Deutschland kann einen Asylbewerber in einen solchen Fall auf Österreich verweisen, das ein sicherer Drittstaaten ist.
"Europäischer Flüchtlingsbegriff ist weiter als der deutsche"
LTO: Gibt es europarechtliche Vorgaben für den Begriff der "politischen Verfolgung"?
Thym: In der Tat – und hierbei handelt es sich nicht nur um einzelne Vorgaben, sondern um ein gänzlich eigenständiges Konzept des Flüchtlingsschutzes im Sinne der Genfer Konvention. Der europäische Flüchtlingsbegriff reicht weiter als die Vorgaben des Grundgesetzes und demgemäß hängt die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Gesetzentwurfs ganz maßgeblich vom Unionsrecht ab. Aus diesem Grund wird, anders als vor 20 Jahren, in letzter Verantwortung nicht mehr das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) darüber befinden, ob Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina tatsächlich sichere Herkunftsstaaten sind, sondern der Europäische Gerichtshof (EuGH).
LTO: Sie sagen, der europäische Flüchtlingsbegriff ist weiter als der des Grundgesetzes. Inwieweit? Wer würde nach dem Unionsrecht als Flüchtling anerkannt, nicht aber nach dem nationalen Verfassungsrecht?
Thym: Das Grundgesetz stellt bis heute auf politische Verfolgung ab, die nur in wenigen Fällen vorliegt. Dagegen beruht der europäische Flüchtlingsbegriff auf einer progressiven Auslegung der Genfer Konvention und umfasst die nichtstaatliche Verfolgung ebenso wie geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe oder auch die Bestrafung von Schwulen in Afrika. Hinzu tritt dann noch der sogenannte subsidiäre Schutz, der etwa vor Gefahren in Bürgerkriegen schützt. Ein Blick in die Statistik zeigt, wie wichtig die EU-Definition ist: Als Asylbewerber im Sinn des Grundgesetzes werden nur sehr wenige anerkannt, deutlich mehr erhalten einen Flüchtlingsstatus.
Nicht abschließend geklärt sind die Vorgaben für die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat. Hierzu enthalten die bisherige und die zukünftige Asyl-Verfahrens-Richtlinie, die ab Juli 2015 zur Anwendung kommen wird, in einem Anhang recht detaillierte Vorgaben, die im Zentrum der rechtlichen Debatte stehen. Hier geht es ganz speziell um die Frage, welche rechtlichen und tatsächlichen Maßstäbe an die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat gestellt werden. Meines Erachtens wird hierbei eine Darlegungslast normiert, die strukturell den Vorgaben des BVerfG durchaus vergleichbar ist. Es geht um eine systematische Betrachtung, die eine generelle Sicherheitsvermutung trägt.
"Es geht nicht darum, dem Bundesamt Arbeit zu ersparen"
LTO: In der Gesetzesbegründung verweist die Bundesregierung auch auf die "sprunghaft" angestiegene Zahl von Asylbewerbern aus den Balkanstaaten seit die Visumspflicht für diese Länder aufgehoben worden ist. Die Asylanträge würden Kosten verursachen und Kapazitäten binden, die dann an anderer Stelle fehlten, und müssten daher verringert werden – zumal einer großen Zahl der Anträge keine asylrelevanten Motive zugrunde lägen. Wird damit nicht die Verfahrensökonomie zur Begründung für die Einführung weiterer sicherer Herkunftsländer?
Thym: Hier muss man unterscheiden. Für die rechtliche Beurteilung spielt die Verfahrensökonomie keine Rolle. Maßgeblich ist die Sicherheit vor Verfolgung im Sinne des Unionsrechts, mit der sich der Gesetzentwurf ausführlich beschäftigt. Die Verfahrensökonomie kommt erst in einem zweiten Schritt ins Spiel. Selbst wenn nämlich die rechtlichen Voraussetzungen beachtet werden, ist der Bundestag nicht verpflichtet, einen Herkunftsstaat als sicher einzustufen. Bei der Entscheidung, ob dies geschehen soll, sind rechtspraktische Erwägungen legitim.
Wichtig ist, dass die Verfahrensökonomie kein Selbstzweck ist. Es geht nicht darum, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge etwas Arbeit zu ersparen, sondern um die praktische Wirksamkeit des Asylsystems. Recht lebt immer auch von der inneren Zustimmung der Gesellschaft und der Existenz ausreichender Ressourcen. Beides soll durch die Neuerung geschützt werden, damit genügend Kapazitäten für die Unterstützung der wirklich Schutzbedürftigen übrig bleiben. Denken Sie an den Vormarsch der ISIS im Irak, der alsbald eine neue Flüchtlingswelle auslösen könnte.
Daniel Thym, Sichere Herkunftsstaaten: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12326 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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