2/2: "Um die unbefriedigende Situation der Roma auf dem Balkan geht es hier nicht"
LTO: Die Bundesregierung will sich nicht auf die drei Balkanländer beschränken. In einem weiteren Gesetzgebungsverfahren will sie darüber beraten, auch Albanien und Montenegro als sicher zu deklarieren. Ist es rechtlich zu beanstanden diese Länder auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu setzen?
Thym: Das hängt davon ab, ob die Vorgaben insbesondere des EU-Rechts dies gestatten. Soweit ich die Situation in diesen Ländern überschaue, gibt es zahlreiche Argumente, dass dort keine Verfolgung droht. Abschließend beurteilen kann man dies jedoch erst aufgrund einer ausführlichen Prüfung. Evidente Gründe, warum diese negativ ausgehen sollte, gibt es jedoch nicht.
Wichtig ist, dass es wie auch bei Serbien, Bosnien und Mazedonien nur um die Sicherheit vor Verfolgung im Sinn des Flüchtlingsrechts geht. Die meisten Kritiker der Regelung verweisen jedoch auf die schwierige soziale und wirtschaftliche Situation speziell der Roma im westlichen Balkan, die nach den Statistiken die mit Abstand größte Gruppe der Antragsteller bilden. Tatsächlich ist die Situation der Roma unbefriedigend. Hierum geht es bei dem Gesetzentwurf jedoch nicht. Dieser betrifft die Sicherheit vor asylrelevanter Verfolgung; das ist ein anderer Maßstab.
"An dem Gesetzentwurf dürfte sich kaum noch etwas ändern"
LTO: Wie stellt der Gesetzgeber fest, ob ein Staat sicher ist?
Thym: Das BVerfG und die Asyl-Verfahrens-Richtlinie verpflichten den Gesetzgeber, sich aus einer Vielzahl von Faktoren ein Gesamturteil zu bilden, das die Rechtslage ebenso berücksichtigt wie die Rechtsanwendung. Neben der Einschätzung von staatlichen Stellen, etwa des Auswärtigen Amts, muss die Rechtsauffassung von internationalen Einrichtungen berücksichtigt werden, beispielsweise die Meinung des UNHCR, des Europarats und der europäischen Asylagentur EASO. Ergänzend können die Berichte von Nichtregierungsorganisationen herangezogen werden, auch wenn das BVerfG und die EU-Richtlinie dies nicht explizit fordern.
LTO: Rechtsanwalt Reinhard Marx kritisiert in seiner im Auftrag für Pro Asyl verfassten Stellungnahme für den Innenausschuss, dass sich der Gesetzgeber nicht allein auf die Gesetzesbegründung aus dem Ministerium verlassen dürfe, vielmehr müsse er "selbstständig das Verfahren bestimmen, in dem Beweis erhoben wird und sich hierbei in geeigneter Weise und in angemessenen Verfahren des größtmöglichen Sachverstands der in Betracht kommenden Organisationen und Sachverständigen bedienen". Teilen Sie diese Ansicht?
Thym: Dies überzeugt mich nicht. Art. 16a Abs. 3 GG verlangt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Das Grundgesetz betrachtet es jedoch als legitim, dass Gesetzentwürfe von der Regierung ausgearbeitet werden. Das macht auch Sinn, weil die Ministerien die notwendige Expertise besitzen. Das Parlament ist außerdem nicht verpflichtet, der Einschätzung der Regierung zu folgen. Wenn es dies jedoch tut und sich damit die Einschätzung der Exekutive zu eigen macht, werden die Verfahrensvorschriften beachtet. In seiner Entscheidung aus dem Jahr 1996 betont auch das BVerfG, dass der Gesetzgeber einen Einschätzungsspielraum bei der Verfahrensgestaltung besitzt (Urt. v. 14.05.1996, Az. 2 BvR 1507 und 1508/93). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Europarecht, dass allgemein von Mitgliedstaaten spricht und mithin keine Entscheidung trifft, wer die Beurteilung in der Sache vornimmt. Wir sollten uns daher auf die Frage konzentrieren, ob die Voraussetzungen vorliegen. Die Verfahrensfrage ist ein Nebenkriegsschauplatz.
LTO: Wie haben die Abgeordneten im Innenausschuss die Stellungnahmen der Experten aufgenommen? Erwarten Sie, dass sich an dem Gesetzentwurf noch etwas ändert?
Thym: Es war eine sorgfältige Diskussion, die sich auf die Rechtsfragen und die Praxis des Bundesamts konzentrierte. An dem Gesetzentwurf dürfte sich kaum noch etwas ändern. Hierzu sind die Mehrheitsverhältnisse zu klar und es wurden auch keine wirklich zwingenden Gegenargumente vorgetragen. Über die Rechtsfragen werden ohnehin die Gerichte entscheiden. Ich persönlich vermute, dass die Regelung dort Bestand haben wird.
LTO: Vielen Dank für das Interview.
Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und Kodirektor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA).
Die Fragen stellte Claudia Kornmeier.
Daniel Thym, Sichere Herkunftsstaaten: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12326 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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