2/2: Landgerichtsbezirk Aachen: Unser Orient
Entsprechend der bis dahin anerkannten Rechtsauffassung hatten die Gerichte zwar schon regelmäßig im Ehebruch – offenbar ausschließlich der Frau – eine Beleidigung des Gatten erkannt. Hier nun aber dehnten das Landgericht und das Reichsgericht den ehemännlichen Ehrenschutz bereits auf Vorfeldhandeln – eine nächtliche Spritztour – aus.
Bei den Aachener Richtern mochte es noch eine Rolle gespielt haben, die moralischen Anschauungen in ihrem Gerichtssprengel zu bedienen, einer Region voll katholischer Mittelgebirgsfundamentalisten. Aus den Herleitungen des Reichsgerichts klingt hingegen unverblümt der braune Zeitgeist:
"Wer die Ehre einer Frau – sei es auch mit ihrem Einverständnis und also insoweit straffrei – antastet, verletzt zugleich die des Ehemannes. Diese Auffassung wurzelt in der deutschen Auffassung der Familie. Der Schimpf, den ein Mitglied erleidet, trifft die Gemeinschaft. Ihn abzuwehren sind die männlichen Familienmitglieder und besonders der Ehemann als das Haupt der Familie berufen. Daß diese Auffassung auch heute noch im deutschen Volke lebt, dafür lassen sich zahlreiche Beweise finden."
Schwarz-braunes Ehren-Strafrecht
Was heute als obskure Ehrenvorstellung von Menschen mit Migrationshintergrund gilt, war in den Jugendjahren unserer (Ur-) Großeltern Leitlinie höchstrichterlicher Rechtsprechung, abgedruckt in der halbamtlichen Sammlung "Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen" Band 70, S. 94-100.
Die Revision des Spritztour-Veranstalters aus dem Aachener Gerichtsbezirk wurde abgewiesen: Nicht erst mit einer beleidigenden Prahlerei darüber, einem anderen Mann Hörner aufgesetzt zu haben, sei der Beleidigungstatbestand erfüllt, sondern schon mit "einer sonstigen die Ehre der Ehefrau berührenden Kundgebung".
Um den – faktisch gar nicht einmal um die sexuelle Alleinverfügungsmacht über seine Gattin gebrachten –Mann zu beleidigen, so das Reichsgericht, müsste der seine Missachtung auch nicht dem Ehemann direkt gegenüber zu erkennen geben. Es genüge bereits, dass sich diese Missachtung "gerade nur in dem Verhalten der Frau gegenüber kundtut". Wer einer verheirateten Frau schöne Augen macht, ist strafbar wegen Beleidigung des Gatten.
Ehrenschutz für erotische Treueansprüche heute?
Ein Mann macht einer Frau – im vorliegenden Fall eher potenziell – sexuelle Avancen und sich dadurch einer strafbaren Beleidigung gegenüber dem Mann schuldig, dem die Frau zur Treue verpflichtet ist. Von der zeitlichen Koinzidenz abgesehen, mögen Zweifel aufkeimen, ob diese archaische Konstruktion von Liebesverhältnissen als Thema zum Valentinstag taugt.
Der Beweis mag schwach sein, die Empirie angreifbar. Der Eindruck mag täuschen: Wer Gelegenheit hat, junge Menschen über ihre Liebesbeziehungen reden zu hören, unzensiert, beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln, kann leicht den Eindruck gewinnen, dass es ihnen um nichts anderes geht, als um die zahllosen kleinen Anlässe der großen Eifersucht. Ob der Freund schon dadurch die Treue bricht, dass er mit seiner Ex-Freundin überhaupt noch spricht oder erst ein Kino-Besuch mit einer dritten Person des anderen Geschlechts zu Sanktionen führen muss.
Kurz: In der mutmaßlichen Hauptzielgruppe des heutigen Valentinstag-Kommerzes, den Zwölf- bis 30-Jährigen, wird Liebe im Außenverhältnis erschreckend oft über Treue- und Eifersuchtsfragen thematisiert. Das archaische Urteil des Reichsgerichts müsste unter den jungen Herren und Damen viel Beifall finden, bei all dem Eifersuchtsgeschwätz, das man von ihnen hört.
Scherz beiseite. Aktuell moniert man die archaische Sexualmoral von Menschen, die aus dem Orient zuwandern. Dabei liegt die stockkonservative, damals mit einiger Sicherheit nur eine sogenannte Mannesehre schützende Rechtsprechung hierzulande auch nur zwei, drei Generationen zurück, kaum mehr als ein Wimpernschlag der Weltgeschichte.
Kein Valentinstagsurteil durch die Blume
Fraglich bleibt noch, ob das Reichsgericht vielleicht bewusst den 13. Februar, den Vorabend des damals noch im offiziellen katholischen Heiligenkalender geführten Valentinstags gewählt hat, zu Ehrenfragen in kerndeutschen Liebesverhältnissen Stellung zu beziehen.
Mit dem Argument, dass der Valentinstag in seiner heutigen Erscheinung ein US-amerikanisches Kulturprodukt sei, lässt sich dieser Gedanke nicht verneinen. In der christlich imprägnierten Volkskultur mag es schon Valentinstagsbräuche gegeben haben, bevor die angelsächsische Leitkultur das moderne Muster vorgab.
Freilich gibt es für jeden der antiken Heiligen, nach dem der Valentinstag benannt worden sein könnte, ein Element, das in der Überlieferung zum Leben und Sterben dieser gottesfürchtigen Männer gemeinsam ist: Ob es der heilige Valentin von Terni, von Rom, von Viterbo ist – ihnen allen wurde vom seinerzeitigen Rechtsstaat der römischen Kaiser der Prozess wegen christlicher Umtriebe gemacht, alle wurden sie durch Enthauptung hingerichtet.
Im Deutschland des Jahres 1936 hätte das bereits zu viele Richter an ihre eigene Arbeit erinnern müssen.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs bei Solingen.
Martin Rath, Historisches Urteil: . In: Legal Tribune Online, 14.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18455 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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