Als kommerziell nützlicher Brauch hat sich der Valentinstag zwar erst seit den 1950er Jahren etabliert. Pünktlich zum Tag klärte das Reichsgericht aber schon vor 80 Jahren über das Beisammensein von Mann und Frau auf.
Am 13. Februar 1936 erging ein Urteil des Reichsgerichts zu Leipzig, das sich der Verhältnisse zwischen Frauen und Männern auf so grundlegend bizarre Art und Weise annahm, dass man glauben wollte, die Herren Reichsgerichtsräte hätten eine Art Aprilscherz zum Valentinstag liefern wollen.
Natürlich gibt es gewichtige Gründe, die gegen eine solche Terminplanung sprechen. Auf sie kommen wir zurück. Das Urteil ist für sich genommen aber bereits bemerkenswert genug.
Das Landgericht Aachen hatte tatgerichtlich über einen Vorgang in irgendeiner dieser oftmals tristen Ortschaften im Dreieck zwischen Düsseldorf, Köln und Aachen zu entscheiden, wo die Menschen damals sehr fromm katholisch und ein Mann mit einem Automobil noch eine Ausnahmeerscheinung war.
Eine Spritztour mit dem Auto: Suche den Tatbestand!
Eine dieser Ausnahmeerscheinungen war mit seinem Pkw in der Nacht vom 1. auf den 2. Dezember 1934 gegen Mitternacht in die Gastwirtschaft mit ihm befreundeter Wirtsleute eingekehrt. Dort traf er die Wirtin an, die mit einem anderen Gast bereits "mehrere Glas Weinbrand trank". Ihr Gatte "besuchte in einem Nachbarort eine Festlichkeit, und es war zu erwarten, daß er nicht vor den Morgenstunden zurückkehren werde".
Nachdem sich der andere Gast verabschiedet hatte, gesellte sich die Wirtin zum Mann mit dem Auto, der ihr nun "mehrere Glas Weizenkorn" ausgab. Gegen zwei Uhr früh schlug er vor, die Wirtschaft war inzwischen, abgesehen von ihm, der trinkenden Wirtin und einem Kellner verlassen, "eine kleine Fahrt zu unternehmen und noch in einer anderen Wirtschaft ein Glas Bier zu trinken".
Trotz der Vorhaltungen des Kellners, die beiden sollten "die Dummheit sein lassen", und "was denn der Mann dazu sagen werde", trat der Mann mit dem Automobil die Fahrt an, an der neben der Wirtin noch eine Hausgehilfin teilnahm. In einer weiteren Kneipe auf der Strecke wurde "Bier Wermutschnaps und Weinbrand" konsumiert – die Gerichte buchstabieren die Getränkekarte übrigens gründlich durch.
Gegen sechs Uhr morgens wurden die beiden Frauen wieder daheim abgeliefert. Der Wirt war inzwischen von seiner Feier zurückgekehrt: "Als er hörte, was vorgefallen war, wurde er sehr zornig und versetzte seiner Frau und dem Mädchen [der Hausgehilfin] Ohrfeigen. Alsdann schaffte er mit Hilfe des Mädchens seine Frau in die Wohnung, wo sie erst am nächsten Tage zur Besinnung kam."
Ehrensache für die offizielle Urteilssammlung
Zur Anklage kam nicht etwa der Akt häuslicher Gewalt durch den Wirt. Vielmehr fand sich der Mann mit dem Automobil eines Verbrechens nach § 176 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) alter Fassung (a.F.) angeklagt, demzufolge mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus bedroht wurde, wer "eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustande befindliche oder eine geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischlafe mißbraucht".
Eine solche Tat war nach der Überzeugung des Landgerichts Aachen nicht zu beweisen. Zur Revision kam es, weil das Gericht den Mann mit dem Auto stattdessen wegen einer Beleidigung nach § 185 StGB verurteilt hatte, "begangen gegenüber dem Ehemann".
Das Reichsgericht zitiert zustimmend aus den Urteilsgründen der Aachener Richter, es sei "doch eine grobe Ungehörigkeit … gewesen, die Abwesenheit des Ehemanns zu einer derartigen nächtlichen Fahrt mit der schon angeheiterten und leichtsinnig gewordenen Frau auszunützen. Zur Ehre von Ehegatten gehöre es, daß sie nicht nur einander die Treue hielten, sondern auch nach außen hin alles vermieden, was berechtigte Zweifel an ihrer ehelichen Treue hervorrufen könne. Eine Ehefrau, die sich hierüber hinwegsetze, schädige nicht nur ihre eigene Ehre, sondern in der Regel auch die ihres Mannes."
2/2: Landgerichtsbezirk Aachen: Unser Orient
Entsprechend der bis dahin anerkannten Rechtsauffassung hatten die Gerichte zwar schon regelmäßig im Ehebruch – offenbar ausschließlich der Frau – eine Beleidigung des Gatten erkannt. Hier nun aber dehnten das Landgericht und das Reichsgericht den ehemännlichen Ehrenschutz bereits auf Vorfeldhandeln – eine nächtliche Spritztour – aus.
Bei den Aachener Richtern mochte es noch eine Rolle gespielt haben, die moralischen Anschauungen in ihrem Gerichtssprengel zu bedienen, einer Region voll katholischer Mittelgebirgsfundamentalisten. Aus den Herleitungen des Reichsgerichts klingt hingegen unverblümt der braune Zeitgeist:
"Wer die Ehre einer Frau – sei es auch mit ihrem Einverständnis und also insoweit straffrei – antastet, verletzt zugleich die des Ehemannes. Diese Auffassung wurzelt in der deutschen Auffassung der Familie. Der Schimpf, den ein Mitglied erleidet, trifft die Gemeinschaft. Ihn abzuwehren sind die männlichen Familienmitglieder und besonders der Ehemann als das Haupt der Familie berufen. Daß diese Auffassung auch heute noch im deutschen Volke lebt, dafür lassen sich zahlreiche Beweise finden."
Schwarz-braunes Ehren-Strafrecht
Was heute als obskure Ehrenvorstellung von Menschen mit Migrationshintergrund gilt, war in den Jugendjahren unserer (Ur-) Großeltern Leitlinie höchstrichterlicher Rechtsprechung, abgedruckt in der halbamtlichen Sammlung "Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen" Band 70, S. 94-100.
Die Revision des Spritztour-Veranstalters aus dem Aachener Gerichtsbezirk wurde abgewiesen: Nicht erst mit einer beleidigenden Prahlerei darüber, einem anderen Mann Hörner aufgesetzt zu haben, sei der Beleidigungstatbestand erfüllt, sondern schon mit "einer sonstigen die Ehre der Ehefrau berührenden Kundgebung".
Um den – faktisch gar nicht einmal um die sexuelle Alleinverfügungsmacht über seine Gattin gebrachten –Mann zu beleidigen, so das Reichsgericht, müsste der seine Missachtung auch nicht dem Ehemann direkt gegenüber zu erkennen geben. Es genüge bereits, dass sich diese Missachtung "gerade nur in dem Verhalten der Frau gegenüber kundtut". Wer einer verheirateten Frau schöne Augen macht, ist strafbar wegen Beleidigung des Gatten.
Ehrenschutz für erotische Treueansprüche heute?
Ein Mann macht einer Frau – im vorliegenden Fall eher potenziell – sexuelle Avancen und sich dadurch einer strafbaren Beleidigung gegenüber dem Mann schuldig, dem die Frau zur Treue verpflichtet ist. Von der zeitlichen Koinzidenz abgesehen, mögen Zweifel aufkeimen, ob diese archaische Konstruktion von Liebesverhältnissen als Thema zum Valentinstag taugt.
Der Beweis mag schwach sein, die Empirie angreifbar. Der Eindruck mag täuschen: Wer Gelegenheit hat, junge Menschen über ihre Liebesbeziehungen reden zu hören, unzensiert, beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln, kann leicht den Eindruck gewinnen, dass es ihnen um nichts anderes geht, als um die zahllosen kleinen Anlässe der großen Eifersucht. Ob der Freund schon dadurch die Treue bricht, dass er mit seiner Ex-Freundin überhaupt noch spricht oder erst ein Kino-Besuch mit einer dritten Person des anderen Geschlechts zu Sanktionen führen muss.
Kurz: In der mutmaßlichen Hauptzielgruppe des heutigen Valentinstag-Kommerzes, den Zwölf- bis 30-Jährigen, wird Liebe im Außenverhältnis erschreckend oft über Treue- und Eifersuchtsfragen thematisiert. Das archaische Urteil des Reichsgerichts müsste unter den jungen Herren und Damen viel Beifall finden, bei all dem Eifersuchtsgeschwätz, das man von ihnen hört.
Scherz beiseite. Aktuell moniert man die archaische Sexualmoral von Menschen, die aus dem Orient zuwandern. Dabei liegt die stockkonservative, damals mit einiger Sicherheit nur eine sogenannte Mannesehre schützende Rechtsprechung hierzulande auch nur zwei, drei Generationen zurück, kaum mehr als ein Wimpernschlag der Weltgeschichte.
Kein Valentinstagsurteil durch die Blume
Fraglich bleibt noch, ob das Reichsgericht vielleicht bewusst den 13. Februar, den Vorabend des damals noch im offiziellen katholischen Heiligenkalender geführten Valentinstags gewählt hat, zu Ehrenfragen in kerndeutschen Liebesverhältnissen Stellung zu beziehen.
Mit dem Argument, dass der Valentinstag in seiner heutigen Erscheinung ein US-amerikanisches Kulturprodukt sei, lässt sich dieser Gedanke nicht verneinen. In der christlich imprägnierten Volkskultur mag es schon Valentinstagsbräuche gegeben haben, bevor die angelsächsische Leitkultur das moderne Muster vorgab.
Freilich gibt es für jeden der antiken Heiligen, nach dem der Valentinstag benannt worden sein könnte, ein Element, das in der Überlieferung zum Leben und Sterben dieser gottesfürchtigen Männer gemeinsam ist: Ob es der heilige Valentin von Terni, von Rom, von Viterbo ist – ihnen allen wurde vom seinerzeitigen Rechtsstaat der römischen Kaiser der Prozess wegen christlicher Umtriebe gemacht, alle wurden sie durch Enthauptung hingerichtet.
Im Deutschland des Jahres 1936 hätte das bereits zu viele Richter an ihre eigene Arbeit erinnern müssen.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs bei Solingen.
Martin Rath, Historisches Urteil: Wer Eifersucht verursacht, verletzt die Ehre . In: Legal Tribune Online, 14.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18455/ (abgerufen am: 19.07.2024 )
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