Zum 1. April 1937 trat das Groß-Hamburg-Gesetz in Kraft, erst mit diesem Reichsgesetz erhielt die "Gemeinde Hamburg" in etwa ihre heutige Form. Es war eine wichtige Station in der langjährigen "Flurbereinigung" der Länder und Kommunen.
Vor 80 Jahren trat mit dem sogenannten Groß-Hamburg-Gesetz eine weitreichende Neuregelung staatlicher und kommunaler Herrschaftssprengel in Kraft. Es war ein vorläufiger Höhepunkt in einer Politik sogenannter Gebietsbereinigungen kommunaler Gebietskörperschaften, die von zentraler Stelle angeordnet wurden. Die Idee solcher Zusammenlegungen war und ist, kleinere Flächen und verstreute Einheiten zusammenzufassen, um sie effektiver nutzen zu können.
Nach § 1 Absatz 1 Groß-Hamburg-Gesetz gingen aus den Hamburg umgebenden preußischen Regierungsbezirken unter anderem Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg, Altenwerder und Finkenwerder auf Hamburg über. Nach Absatz 2 verlor Hamburg unter dafür seine Exklaven Geesthacht und Cuxhaven. Unterm Strich wuchs Hamburgs Fläche um rund 330 auf 745 Quadratkilometer.
"Hansestadt" – fast eine Beleidigung
Damit war nahezu der Gebietsstand erreicht, den die heutige Freie und Hansestadt Hamburg einnimmt.
Mit dem Verlust von Geesthacht und Cuxhaven sowie weiterer Gemeinden erübrigte sich auch die kommunalverfassungsrechtliche Untergliederung, wie sie heute etwa noch das kleine Bremen mit Bremerhaven kennt. Nach § 2 des Groß-Hamburg-Gesetzes wurden die von Preußen abgegebenen Gebiete zusammen mit den "beim Lande Hamburg verbleibenden Gemeinden zu einer Gemeinde zusammengeschlossen".
Heißen sollte das neue Gebilde nunmehr "Hansestadt Hamburg". Das war schwerlich eine Verbeugung vor der bürgerlichen Tradition Hamburgs. So führte etwa Köln – die katholische Industriemetropole tief im Binnenland, die seit 1669 faktisch aus der Hanse ausgeschieden und seit 1794 nicht mehr eigenständig war – seit 1935 von Gnaden des NS-Staats die amtliche Bezeichnung "Hansestadt Köln".
Es liegt also nicht fern, die gesetzliche Bezeichnung "Hansestadt" hier mit der zwanghaften Folklore zusammenzubringen, mit der sich nach der im Jahr 1935 in Kraft getretenen Deutschen Gemeindeordnungen besondere Bezeichnungen etablierten, so etwa "Reichsmessestadt Leipzig" oder München als "Hauptstadt der Bewegung".
Ein Land geht unter: Lübeck
Dass es sich beim amtlichen Titel der Hansestadt Hamburg besten-falls um eine verlogene Anrufung historischer Tradition handeln konnte, erfuhr die seit Jahrhunderten überwiegend selbständige Freie Stadt Lübeck, die unter der Weimarer Reichsverfassung noch Land des Deutschen Reichs gewesen war.
Lübeck wurde entsprechend § 6 Groß-Hamburg-Gesetz im Wesentlichen der preußischen Provinz Schleswig zugeschlagen. Ein nach dem Zweiten Weltkrieg betriebener Versuch, vor dem Bundesverfassungsgericht die Eigenstaatlichkeit Lübecks zurück zu erstreiten, in dem das 1937 von der Reichsregierung – also auf Grundlage des Ermächtigungsgesetzes von 1933 beschlossene Groß-Hamburg-Gesetz – als NS-Unrecht angegriffen wurde, misslang (Urt. v. 5.12.1956, Az. 2 BvP 3/56).
Die mit dem Groß-Hamburg-Gesetz vom NS-Gesetzgeber betriebene und nach dem Krieg mit der Neuordnung der Länder unter den vier Besatzungsmächten umfassend vollzogene "Gebietsbereinigung" lässt sich als eine Art "Framing" verstehen. Also eine Kunst, in der sich die jüngere politische Rhetorik angeblich übt: Die Gebietsbereinigungen gaben die politische Mentalität vor, mit der über die territoriale Ordnung der Gemeinden in Deutschland verfügt werden sollte: Sie sollten von oben nach unten durchregiert werden können.
Gebietsbereinigung qua Befehl
Dieser mentale Umbruch lässt sich mit einem Blick zurück verstehen.
Bereits zu Zeiten des Kaiserreichs entsprachen die Gemeindegrenzen oftmals kaum noch den durch Industrialisierung und Bevölkerungswachstum entstandenen urbanen Räumen. Die Stadt Köln gemeindete beispielsweise 1888 die umliegenden Ortschaften Ehrenfeld und Nippes, 1910 das rechtsrheinische Kalk ein.
Unter der Oberfläche des angeblich rein obrigkeitshörigen Staatswesens ging es dabei in erstaunlich liberalem Vertragsdenken zu. Vor der Eingemeindung der einst reichen Industriestadt Mülheim am Rhein im Jahr 1914 ließ sich zum Beispiel der später unter Kölner Verwaltung stark heruntergewirtschaftete Stadtteil etwa den Bau einer Rheinbrücke oder den Fortbestand seines Amtsgerichts sowie einer eigenständigen Verwaltungsstelle zusichern. Zudem versprachen die Kölner dem "übernommenen" Bürgermeister von Mülheim eine prächtige Altersversorgung.
Die königlich-preußische Kommunalaufsicht ließ zwar erkennen, dass sie einem Zusammenschluss der Städte Köln und Mülheim nicht abgeneigt sei, verlegte sich aber eher auf die Funktion eines Notars, der das Ergebnis der Vertragsverhandlungen beurkundete. Gewiss spielte dabei eine Rolle, dass das städtische Bürgertum in Zeiten des preußischen Dreiklassenwahlrechts – sortiert nach den Tertialen des Einkommen-, Grund- und Gewerbesteuerbeitrags – ihre Gemeinde gleichsam als Eigentum verstand.
Mit dem Ende des Dreiklassenwahlrechts im Jahr 1918/19 ging dieses Verständnis bürgerschaftlicher Verantwortung für die Gemeinde verloren. Die kommunale Neuordnung löste sich vom kontraktualistischen Verfahren.
Martin Rath, Regionale Umstrukturierung: . In: Legal Tribune Online, 02.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22542 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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