Der Münsteraner Tatort "Fangschuss" nimmt es mit dem Realismus nicht so genau – und mit juristischer Akkuratesse schon ohnehin nicht. Doch er macht beides mit der klamaukigen Komik seiner Hauptdarsteller wett, findet Alexander Stevens.
Brisanz: 5 von 5 Punkten
Realitäts-Faktor: 1 von 5 Punkten
Fortbildungscredits: 1 von 5 Punkten
Sonderkategorie Humor: 5 von 5 Punkten
Zugegeben, es ist keine Pionierleistung des Humors, wenn Kriminalhauptkommissar Frank Thiel dem Rechtsmediziner Karl-Friedrich Prof. Boerne auf die Frage, wie viele Liegestütze er eigentlich schaffe, mit "Alle" antwortet. Das Zitat stammt im Original von Chuck Norris, der schon optisch herzlich wenig mit den beiden Münsteraner Tatort-Protagonisten gemein hat – aber lustig ist es aus ihrem Munde trotzdem.
Und damit steht es sinnbildlich für den gesamten Dialog des vergangenen Münsteraner Tatorts, der unter dem vielversprechenden Titel "Fangschuss" erschien und vor allem von der klamaukigen Komik im Spiel von Thiel und Boerne getragen wurde:
Die zeigt sich etwa, wenn der im 80er Jahre Sportdress gekleidete Kommissar alles andere als sportlich die gerade einmal vier Treppenstufen zu seinem Appartement hinaufgekeucht kommt oder der schöngeistige Rechtsmediziner seine Leidenschaft für Wald, Feld und Wiesen entdeckt und dabei den Jäger aus der Kurpfalz mimt – das Verhältnis zwischen dem vergeistigten Professor und seinem ihm vermeintlich weit unterlegenen, aber bauernschlauen Kommissar birgt humoristische Potenziale, die "Fangschuss" treffsicher entfaltet.
Alles ziemlich hanebüchen - aber lustig allemal
Mich als gebürtigen Engländer erinnert die Komik dieses Duos stets an eine alte Geschichte von einem Psychiatriepatienten und einem Cambridge-Anwalt:
Letzterer steht zusammen mit seinen standesbewusst-schnöseligen Kollegen beim Rauchen vor seiner schicken Kanzlei, als an ihnen plötzlich ein augenscheinlich geisteskranker Mann vorbeischlendert, in der Hand eine Leine, deren anderes Ende an einer Klobürste befestigt ist. Dabei hört man ihn immer wieder rufen: Komm Fido, komm...
Der Anwalt will sich mit einem kleinen Spaß bei seinen Kollegen in Szene setzen und fragt den Geisteskranken, was er denn da eigentlich mache. Wider Erwarten entgegnet jener, dass er nur eine an einer Schnur befestigte Klobürste hinter sich her ziehe. Er müsse nun aber weiter, denn er sei auf dem Weg in die Psychiatrie. Die nüchterne Antwort lässt den Anwalt verdutzt zurück, und er verspricht dem Mann, dass er sich für seine Entlassung aus der Psychiatrie einsetzen werde. Kaum ist der Anwalt außer Sichtweite, sagt der Geisteskranke zu der Klobürste: Mensch Fido, den haben wir aber verarscht....
Wer im ungleichen Duo zwischen Kommissar und Rechtsmediziner nun der Geisteskranke und wer der schnöselige Anwalt ist, lässt der Tatort durchweg offen, was zur besonderen Komik der Folge beiträgt.
Dass die Darstellung des Berufsalltags von Kommissar und Rechtsmediziner mit der Realität so gut wie nichts zu tun hat, verzeiht man deshalb gern. So stört es auch nicht weiter, wenn der Kommissar die Strafvereitelung seiner (vermeintlichen) Tochter deckt, statt diese seinerseits zu verfolgen. Und natürlich gelingt ihm bei völliger Dunkelheit und aus großer Entfernung der gezielte (Fang-)Schuss in ein auf ebenjene "Tochter" angelegtes Gewehr (dessen Trägerin sich zu aller Überraschung als die Jagdlehrmeisterin des Rechtsmediziners entpuppt).
Gewiss, das alles ist schon ziemlich hanebüchen. Aber realitätsfern sind ohnehin fast alle Tatorte – und Charme & Witz der Münsteraner stünden den Kollegen aus den anderen Städten nicht schlecht.
Der Tatort-Check: "Fangschuss": . In: Legal Tribune Online, 03.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22546 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag