ARD-Doku über "Staranwalt": "Weg­bomben" für die Gerech­tig­keit

Gastbeitrag von Prof. Dr. Thomas Fischer

21.05.2024

Die ARD strahlte in der vergangenen Woche eine Dokumentation über den Berliner Medienrechtsanwalt Christian Schertz aus. Die Frage der Autorin lautet: "Wer ist dieser Mann?". Der Rezensent Thomas Fischer bleibt verwirrt zurück.

Kürzlich wurde in der ARD die 59-minütige Dokumentation "Der Staranwalt. Christian Schertz und die Medien" – Autorin: Nora Binder – ausgestrahlt. Mit dem "Staranwalt" ist der Rechtsanwalt Dr. Christian Schertz aus Berlin gemeint, Honorarprofessor für Medienrecht an den Universitäten Dresden und Potsdam, ehedem Lehrbeauftragter für das schöne Fach "Strategische Rechtskommunikation" an der HU Berlin.

Die Kanzlei des Staranwalts und seines Sozius Bergmann liegt, wie wir im Laufe des Films erfahren, am Kurfürstendamm. Man darf in ihren Räumen, so verrät die Autorin Binder, "unter strengen Auflagen" mit der Kamera drehen, weil Anwälte "einer hohen Verschwiegenheitspflicht" unterliegen (Min. 13:00). An der Strenge der Erfüllung dieser Pflicht entstehen beim Zuschauer im Fortgang der Sendung zwar gewisse Zweifel, aber das muss nichts bedeuten, da es sich beim Staranwalt zwar um einen Anwaltsstar, vor allem aber um einen Anwalt von Stars handelt. Und was wäre ein Stern, wenn er nicht glitzern wollte?

Der Star

So ist es mit dem strengen Schweigen vielleicht nicht weit her. Das bedeutet keine Pflichtverletzung, denn gewiss haben sämtliche zitierten Himmelskörper in den guten Zweck eingewilligt, mit ihrem Leuchten den Staranwalt sowie sich selbst ins rechte Licht zu rücken, um so Auskunft auf die gewichtige Frage der Autorin zu geben: "Wer ist dieser Mann?"

Außer dem Kollegen Schertz tauchen im Film folgende Stars auf: Herr Jauch, Herr von Guttenberg, Herr di Lorenzo, Herr von Stuckrad-Barre, Herr Zverev, Frau Helene Fischer, Herr Ronaldo, Frau Netrebko, Herr Klopp, Herr Böhmermann, Herr Kliemann, Herr Lindemann, Herr Wedel, Herr Weinstein.

Außerdem läuft – eine besonders aufrüttelnde Szene – drei Sekunden lang Herr Rechtsanwalt Gregor Gysi aus Berlin durchs Bild und wird dabei gefilmt, wie er Herrn Schertz die Hand gibt. Wir sind begeistert.

Ferner liefen in Nebenrollen: Zwei Zeit-Redakteurinnen sowie eine Yoga-Unternehmerin im Yoga-Studio. Im Hintergrund: "sehr bekannte Politiker", welche, warum auch immer, angeblich nicht genannt werden dürfen, sowie die Bundesregierung. Und Herr Niggemeier von Übermedien, der in drei Sätzen über Schertz mehr sagt als der Autorinnenkommentar im ganzen Film.

Am Rande Statisten: Volk 1 (Jurastudenten), Volk 2 (Lindemann/Rammstein-Verächter), Volk 3 (Schattengestalten, insbesondere Füße auf dunklen, aber belebten Berliner Straßen, die Beatles (Hobby)). Wir waren froh, dass wir Herrn Schertz nicht auch noch am Steuer eines Bentley oder an Bord einer Harley begleiten mussten. Wir wollen hier keinesfalls darüber streiten, ob das Hemd einen oder drei Knöpfe (siehe Min. 3:23) weit aufgeknöpft war. Einstecktuch und Wagenfeld- plus Tolomeo-Leuchte vermitteln hinreichendes Ku'damm-Flair. Hilde K. und Harald J. schlendern im Geiste mit.

Die Mission

Ein Rechtsanwalt vertritt die Interessen seiner Mandanten. Damit sind nicht die moralischen, weltanschaulichen, politischen oder psychischen Interessen gemeint, sondern die rechtlichen. Beides hängt zwar oft mehr oder weniger zusammen; gleichwohl muss es getrennt werden. Interessenvertretung bedeutet nicht, sich gemein zu machen mit Motiven.

Erster Versuch:

Schertz erzählt, er sage zu seinen Mandanten: "Ich habe keine moralischen Ansprüche im Moment. Aber erzähl mir die Wahrheit."

Frage: "Glauben Sie, Sie hören immer die Wahrheit von Ihren Mandanten?"

Antwort: "Das ist eine sehr gute Frage."

Zweiter Versuch:

Schertz über sich: "Die Mission ist, Gerechtigkeit herzustellen, wenn nach meiner Auffassung jemand es nicht verdient hat in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden mit Vorwürfen, die man ihm unterstellt (…) Dann ist es meine Mission, das wegzubomben." Donnerhall vom Kurfürstendamm.

Es berichtet Herr Jauch ("erstmals vor der Kamera") davon, dass "zweimal in der Woche etwas kommt, wo in mindestens 50 Prozent der Fälle dagegen geklagt werden muss". Das sind mindestens 50 Klageverfahren pro Jahr, was Herrn Jauch vermutlich nicht davon abhalten würde, andere Menschen spätestens ab der fünften Klage als "Prozesshanseln" zu veralbern, und jedenfalls nicht davon abhält, seine Gegner allesamt "gelbe Drecksblätter" zu nennen. Das schreckliche Beispiel, von welchem er ausführlich berichtet (Verwandte machen sich Sorgen wegen angeblicher "Krebsangst" um Tochter Jauch), liegt an der unteren Grenze von allem Möglichen.

Autorin Binder analysiert: "So prominente Menschen wie Günther Jauch können kein Leben mehr führen ohne Medienanwälte." Das Richtigste an diesem Satz ist, dass man ihn problemlos umkehren kann.

Größeres Kaliber hat der Chefredakteur der Zeit beizusteuern: "Manchmal hat man nur eine Stunde Zeit, um den Ruin eines Menschen irgendwie zu verhindern", gibt Herr di Lorenzo mit routinierter Besorgtheit zu bedenken. Wir fragen uns, in welcher Rolle er diese wunderbare Sentenz spricht: Als hauptberuflicher Ruinator oder als Anwalt des Staranwalts. Wir kommen darauf zurück.

Schließlich Herr Stuckrad-Barre, Freund: "Er kennt auch die Sachen, die niemals erwähnt werden dürfen." Na ja, denken wir: Ein kryptischer Satz aus großem Munde. Auch mit ihm haben wir uns der Gerechtigkeits-Mission des Anwalts nicht angenähert.

Deshalb lassen wir diesen selbst und seinen Sozius sprechen: "Ich mach' doch einfach nur meinen Job" (Schertz, Min. 12:30); "Wir sind knallharte Interessenvertreter" (Bergmann, Min. 23:30); "Die wirklichen Masterpieces … sind doch die, wo es mir gelingt, durch (…) Hintergrundgespräche mit Journalisten, Chefredakteuren, Veröffentlichungen zu verhindern" (Schertz, Min. 47:00).

Das Narrativ von der Mission der Gerechtigkeit scheint uns ein wenig brüchig. Noch nicht einmal in 59 Minuten Film wird es durchgehalten. Das ist – wenn wir uns an den Grundsatz "Interessenvertretung" erinnern – ja auch nicht schlimm, sondern "der Job". Denn, nebenbei bemerkt, bleiben in der Liste der Schertz-Mandanten leider gerade die unerwähnt, die keine Stars, sondern Unternehmen sind. An deren Vertretung ist aber nichts Verwerfliches, auch wenn die Autorin uns glauben machen möchte (und möglicherweise tatsächlich selbst glaubt), sie portraitiere einen weißen Ritter ("Der Kampf um die Wahrheit", Min. 45:00).

Die Fälle

Wir kommen zum düstersten Kapitel der als Dauerwerbesendung beschreibbaren Dokumentation. Von den 59 Minuten des Films entfallen etwa 28 Minuten – knapp die Hälfte – auf die Darstellung und Kommentierung von drei konkreten Rechtsfällen: Böhmermann, Lindemann, Wedel. Am Rande erfährt der Zuschauer zudem etwas über des Anwaltsfreunds Buch, das keinesfalls ein "Schlüsselroman" ist – und deshalb über den Fall Julian Reichelt.

Man könnte das möglicherweise verstehen, wenn sich daraus irgendein Anhaltspunkt für die Beantwortung der Eingangsfrage ergäbe. Das ist aber leider nicht der Fall. Begleitet von verwirrend-widersprüchlichen Selbstauskünften des Portraitierten wie "Ich versuche schon, auf der richtigen Seite zu stehen" (Min. 58:00), "Ich bin radikaler Interessenvertreter des Mandanten. Nichts anderes" (Min. 59:00) oder "Es gilt natürlich auch die Unschuldsvermutung. Da war ich aber mal auf der anderen Seite" (Min. 51:55), legen Anwalt Schertz und Autorin Binder extensiv und unter Einsatz der üblichen TV-Stilmittel die jeweilige Position des jeweiligen Mandanten des Anwalts Schertz dar, ergänzt durch unveranlasste, aber umso aufdringlicher insinuierte Darstellungen der Autorin: Böhmermann hatte gegen Erdogan Recht; Lindemann wurde unschuldig, Wedel völlig zu Recht vorverurteilt (Anm. d. Red.: Der Autor Herr Fischer gehörte zum Anwaltsteam von Herrn Wedel).

Starmandant Böhmermann wird (Min. 15:10) mit einer älteren, angeblich "satirischen" Hymne auf den Anwalt eingespielt, von dem er sich vertreten ließ. Es folgt Schertz‘ Verteidigung von Böhmermanns so genanntem Schmähgedicht; sie wird von der Autorin, soweit ersichtlich, als zutreffend bewertet. Einen Grund dafür gibt sie nicht an; dass die Verbreitung des Gedichts teilweise verboten wurde, erwähnt sie kurz.

Minutenlang wird eine Yoga-Unternehmerin und Zeugin im Fall Wedel bei der Berufsausübung ("Von hier mit dem rechten Fuß auf den 'Krieger Zwei' nach hinten treten"; Min. 49:50) sowie mit der Mitteilung ihrer seit sechs Jahren aus Presse, Funk und Fernsehen bekannten Schilderung einer angeblich vor 33 Jahren begangenen Tat gezeigt. Außerdem dürfen drei Zeit-Journalisten ein weiteres Mal ihre eigene Schuldermittlung loben (hierzu Binder: "gilt als vorbildlich"); Kritik wird nicht erwähnt. En passant lässt Frau Binder den "Mogul" a. D. Weinstein durchs Bild humpeln, "der viele Frauen missbraucht hat" (Min. 48:18). Kleine Erinnerung: Wedel ist vor der Hauptverhandlung verstorben, Weinstein nicht rechtskräftig verurteilt.

Zu Lindemann / Schertz fällt der Autorin ein: "Er (Schertz) findet es gefährlich, wenn vor lauter moralischer Empörung völlig außer Acht gelassen wird, dass strafrechtlich alle Ermittlungen gegen Lindemann eingestellt wurden" (Min. 26:50). Im Fall Wedel klingt das so: Autorin: "Dieter Wedel ist darüber tief gefallen". Schertz: "Es war richtig (…), obwohl Dieter Wedel dadurch sehr öffentlich stigmatisiert war (…) weil er war Täter im übertragenen Sinn auf jeden Fall" (Min. 55:10). Autorin: "Die Beweise waren letztlich erdrückend" (Min. 57:20). Herr Schertz ist übrigens, so konstatiert Binder an anderer Stelle, betrübt darüber, "wie gnadenlos unsere Debattenkultur geworden ist" (Min. 26:50).

Zum Fall Lindemann stellt die Autorin die Frage: "Ist es richtig, Lindemann einen 'Täter' zu nennen? Obwohl sich keine mutmaßlich betroffene Person an die Polizei gewandt hat?" (Min. 27:30). Auch im Fall Wedel hat sich allerdings, das sei erwähnt, keine mutmaßlich betroffene Person an die Polizei gewandt. Vielmehr hat sich nach Vermittlung des Staranwalts eine redaktionelle Sonderkommission an die Arbeit gemacht, die – preisgekrönt – ganz ohne staatliche Hilfe, "den Ruin eines Menschen" vorab vollstreckte. Der Rechtsanwalt der Frau, die am Anfang Herrn Schertz "einfach nur gegenübersaß" und etwas später mittels Bild-Video und Hungerstreiks im Käfig aus Thailand die deutsche Justiz zu nötigen versuchte, hat (erfolglos) einen interessanten Schadensersatz-Prozess gegen das genannte Medium geführt.

Der Sozius

Rechtsanwalt Simon Bergmann, Partner von Rechtsanwalt Schertz, kommt im Film ebenfalls vor. Es erschließt sich nicht wirklich, in welcher Rolle er dies – aus eigener und aus Sicht der Autorin – tut. Der Film heißt ja nicht "Die Starkanzlei", sondern "Der Staranwalt" und ist (angeblich) der Erschließung der Person von Schertz gewidmet. Selbst im Untertitel ("Christian Schertz und die Medien") kommt Herr Bergmann nicht vor. Im Film darf er an der Seitenlinie zum Besten geben, wie er selbst seine Mandate zu führen pflegt. Über Schertz sagt er nichts. Der Zuschauer ist verwirrt: Ist Herr B. der Pressesprecher von Herrn Sch.? Sein HiWi? Ein Star-Volontär? Am Rande erfährt man schließlich, er sei "Prozessanwalt" von Lindemann.

Bergmanns bester Satz im Film betrifft diesen Mandanten und lautet: "Die Forderung 'Wir müssen den Frauen glauben', führt ja dazu, dem Täter darf nicht geglaubt werden (…), und das heißt, wir ignorieren einen Grundsatz unseres Rechtsstaats" (Min. 28:10). Man hätte gern gewusst, was die vorbildhaften Rechercheure im Fall Wedel, denen "oft nur eine Stunde bleibt, um den Ruin eines Menschen irgendwie zu verhindern" (di Lorenzo, siehe oben), zu diesem Satz sagen. Das hat die Autorin aber vergessen zu fragen.

Ergebnis

Selten sah man ein "Portrait", das auf die selbstgestellte Frage "Wer ist dieser Mensch?" so wenig Antwort gab.

Das ist nicht die Schuld des Portraitierten. Er hat der Autorin geliefert, was diese sich wünschte. Ob er sich selbst einen Gefallen getan hat, mag dahinstehen. Irritierend erscheint der seltsam indifferente Selbstbewertungs-Mix: Mal "knallharte Interessenvertretung" für Geld, mal moralgesteuerte Gerechtigkeitssuche, mal moralfreie "Wegbomben"-Mission. Aus Anwaltssicht mögen das Ausschmückungen sein. Den Stars mag es gefallen. Für die Nichtstars unter den Zuschauern ergibt sich: Nichts.

Der Autorin Binder ist eine Mischung von Planlosigkeit und Überambitioniertheit vorzuwerfen. Über all dem wüst zusammenkopierten und -geschnittenen Material stellt sich schließlich gar nicht mehr die Frage, wer wohl Herr Schertz als Rechtsanwalt und Mensch sei. Vielmehr wird der Zuschauer abgefüllt mit einem Potpourri grob einseitiger Nacherzählungen "prominenter" Fälle, bei deren Schilderung sich die Autorin weithin gemein macht mit der jeweiligen Verfahrens-Position ihres Stars.

Der Hessische Rundfunk behauptet, es handle sich um einen Film "über Recht, Moral, Medien und mächtige Männer". Dass, wer sich diese Beschreibung ausgedacht hat, den Film zuvor gesehen hatte, möchte ich nicht beschwören. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, dass irgendjemand zu den genannten vier Themen irgendetwas Belangvolles erfahren hat.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Rechtsanwalt Schertz nicht für die ewige Seligkeit, sondern für Geld seinen Job macht, wie die meisten anderen Rechtsanwälte auch. Und dass Herr Jauch manchmal mit Verwandten telefoniert.

Prof. Dr. Thomas Fischer ist Rechtsanwalt in München und Rechtswissenschaftler. Er war von 2013 bis 2017 Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof. Fischer ist Autor eines Standard-Kommentars zum Strafgesetzbuch und schreibt für LTO die Kolumne "Eine Frage an Thomas Fischer"

Herr Fischer vertrat den im Text erwähnten Dieter Wedel gegen Vergewaltigungsvorwürfe anwaltlich, siehe auch Redaktions-Anmerkung im Text.

* Es wurden nach einem Gegendarstellungsbegehren von Herr Prof. Dr. Christian Schertz drei Punkte am 23.05.2024 geändert. Herr Schertz hat Herrn Böhmermann nicht erst nach der "Hymne" auf ihn vertreten. Herr Schertz unterrichtete nicht "strategische Medienkommunikation" sondern "strategische Rechtskommunikation". Außerdem wurde eine Formulierung angepasst,  der – ohne Berücksichtigung des Kontextes des Artikels – isoliert betrachtet entnommen werden konnte, dass Herr Schertz Herrn Dieter Wedel anwaltlich vertreten habe. Hier wurde "Mandate" in "Rechtsfälle" geändert. 

Zitiervorschlag

ARD-Doku über "Staranwalt": "Wegbomben" für die Gerechtigkeit . In: Legal Tribune Online, 21.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54578/ (abgerufen am: 30.06.2024 )

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