Sie steigern die Konzentrationsfähigkeit und erhöhen den Arbeitswillen: so genannte "Smart Drugs". Zwischen Examensstress und Überstunden klingt das wie ein verlockendes Versprechen – doch eines, das nicht frei von Risiken ist. Eine Einführung in das Thema und ein Interview mit einem bekennenden Konsumenten von Constantin Baron van Lijnden.
Es gibt sie, die produktiven Tage. Tage, an denen man beim ersten Klingeln des Weckers aus dem Bett schießt wie ein 100-Meter-Läufer beim Startschuss, um sich 12, 14, 16 und noch mehr Stunden lang in einer wahrhaften Effizienzorgie zu ergehen. Da werden To-Do-Listen abgearbeitet, leichter Hand lästige Telefonate erledigt, armdicke Akten durchgeackert, Projekte vorangetrieben und zu allem Überfluss nach Feierabend auch noch die eigene Wohnung aufgeräumt, um schließlich mit einem Gefühl der rechtschaffenen Müdigkeit ins Bett zu fallen.
Wenn die Erfahrung des Lesers in etwa der dieses Autors entspricht, kommen auf jeden solchen Tag ungefähr dreißig, die in wechselnden Schattierungen von "es reicht so gerade eben" bis "da wäre ich besser gleich liegen geblieben" verlaufen. Besonders frustrierend ist, dass das An- und Abschwellen der eigenen Schaffenskraft auf ganz mysteriösen, höchstens im Ansatz erklärlichen Umständen gründet. Chronischer Schlafmangel oder ausschweifender Alkoholgenuss etwa mögen den Folgetag der sicheren Nutzlosigkeit preisgeben. Das Ausbleiben solcher Störfaktoren ist indes bei weitem kein Garant für einen klaren Kopf.
Ein stressiges Umfeld begünstigt den Griff zur Pille
Und überhaupt: Stress und Schlafmangel. Sind das eigentlich noch beklagenswerte Ausnahmezustände, oder ist es in vielen, gerade auch juristischen Berufen schon fast die Regel? Fragen Sie mal den Associate einer beliebigen Großkanzlei, wenn er um 23 Uhr den längst überfälligen Schriftsatz zur Abstimmung erhält. Oder den Proberichter, dessen Vorsitzender ihn ohne mit der Wimper zu zucken lebendig unter einem deckenhohen Aktenstapel begräbt. Oder den Examenskandidaten, der zwar eigentlich noch genug Zeit hätte, nachts aber trotzdem wachliegt, weil seine Klausurvorbereitung zwischen privaten Sorgen, Prüfungsängsten und einem knappen Kontostand zerrieben wird. Die Antwort wird einstimmig ausfallen. Doch das nützt den Dreien herzlich wenig, denn sie alle haben einen straffen Terminplan, der voraussetzt, dass sie auch mit Augenringen und schweren Lidern noch geistig anspruchsvolle Arbeit verrichten können.
Wie verlockend klingt da die Aussicht, in Phasen besonders intensiver Belastung dem eigenen Arbeitstempo ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Nicht etwa durch regelrechte Betrügereien à la Guttenberg – nein, das wäre ja unmoralisch, sondern vielmehr durch das gezielte Ausreizen der ohnehin vorhandenen geistigen Potentiale, die zauberhafte Vervielfachung der eingangs beschriebenen produktiven Tage. Auf der Suche nach dem Schlüssel zum Tresor im eigenen Kopf haben Generationen gestresster High Potentials nicht nur ein Meer an Kaffeebechern geleert, sondern auch so manchen BtMG-Verstoß sehenden Auges in Kauf genommen.
Die Suche nach der perfekten Arbeitsdroge
Lange Zeit waren die Mittel zur Entfesselung des inneren Workaholics jedoch eher krude: Am einen Ende der Skala lagen Stoffe wie Koffein, Guarana oder Taurin, deren bestenfalls minimale Wirkung man sich mit Nervosität und zittrigen Fingern erkaufte. Am anderen Ende fanden sich (Meth)amphetamine, die, von der Legalitätsproblematik einmal abgesehen, meist übers Ziel hinausschossen: Ein 48-stündiger Dauerrausch in bester Tony-Montana-Manier hat zwar sicher seinen Charme, aber am Ende des wilden Ritts war weder der Stapel auf dem eigenen Schreibtisch geschrumpft, noch gaben die überlasteten Synapsen sonst einen sonderlich rosigen Ausblick auf die eigene Zukunft frei. Alltagstauglich ist anders.
Die Wende kam mit Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin. Der Wirkstoff, der eigentlich zur Behandlung von Hyperaktivität und Narkolepsie (Schlafkrankheit) entwickelt wurde, gelangte um die Jahrtausendwende zu fragwürdiger Bekanntheit, als er von Studierenden, Berufstätigen, überarbeiteten Hausfrauen und überhaupt jedem, dem der Alltag über den Kopf zu wachsen drohte, als neues Wundermittel zum Gehirndoping popularisiert wurde. Gerade im verschreibungswütigen Amerika war der Bezug vom Hausarzt oft mehr Formalie als Problem, andernorts behalf man sich mit Online-Apotheken zweifelhafter Seriosität oder zweigte seine Ration bei tatsächlich behandlungsbedürftigen Bekannten ab.
Mittlerweile schickt ein neuer Wirkstoff namens Modafinil sich an, Ritalins Spitzenplatz als everybody's little helper zu usurpieren. Laut vielfachen Beteuerungen meist anonym bleibender Nutzer im Internet fegt die Einnahme von 100-200mg für gute zwölf Stunden sämtliche Spinnweben aus der Dachstube, verleiht außerordentlichen Arbeitseifer und ist dabei nahezu frei von einem drogenartigen Rausch, der den Konsumenten statt ins Büro zunächst in die Disco und langfristig in die Sucht treiben könnte.
Ein gefundenes Fressen für die Pharmakonzerne
Gebündelt werden Stoffe wie Ritalin und Modafinil unter dem Begriff "Smart Drugs", zu Deutsch in etwa: "Schlauheits-Drogen". Bei diesen Mitteln macht der "off label use", also der Gebrauch zu anderen als den offiziell anerkannten Behandlungszwecken, dem "on label use" mitterweile echte Konkurrenz. Epizentrum des Missbrauchs sind die USA, wo Studien zufolge an einigen Universitäten bis zu 25 Prozent der Studenten ihre Leistungen mit diversen pharmazeutischen Erzeugnissen aufzubessern versuchen. In Deutschland geht es, soweit auf die naturgemäß vage Zahlenlage Verlass ist, zurückhaltender zu: Nach einer aktuellen Studie der HIS im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit haben in etwa knappe zwei Prozent aller Studierenden bereits Substanzen des hier beschrieben Typs zur Leistungssteigerung eingenommen.
Die Zahl dürfte nach der – freilich nicht repräsentativen – Erfahrung dieses Autors mit seinen früheren Kommilitonen konservativ bis akkurat sein. Einer jener ehemaligen Mitstreiter erklärte sich bereit, zum Thema ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern.
Offene Worte eines Konsumenten
"Ich war immer experimentierfreudig, was diverse Substanzen angeht", erinnert sich der 28-jährige Peter W.*, "aber in der Examenszeit habe ich zum ersten Mal etwas genommen, um akademisch voran zu kommen." Die Entscheidung bereut er bis heute nicht: "Hätte ich mit besserem Zeitmanagement und mehr Disziplin dieselben Ergebnisse auch ohne Chemie erreichen können? Klar. Doch da fallen Anspruch und Realität bei vielen auseinander. Man kann versuchen, sein Leben am Reißbrett zu planen und genau festzulegen: montags, dienstags und donnerstags lerne ich Zivilrecht, mittwochs Strafrecht, freitags und samstags Ö-Recht. Aber dann macht deine Freundin mit dir Schluss oder ein Verwandter stirbt, und du bist erstmal zwei Monate neben der Spur. Danach muss jeder schauen, wie er die Zeit wieder gut macht."
Natürlich bergen die neu eröffneten Möglichkeiten auch moralische Implikationen. "Dazu hat jeder seine eigene Meinung. Aber in meiner Erfahrung ist der Vorteil, den einem die Stoffe bringen, nicht so gigantisch. Ja, sie helfen, wenn man unter Stress den Kopf über Wasser halten muss, aber dein IQ verdoppelt sich nicht auf einmal. Die Schlauen werden auch weiterhin mehr Erfolg haben als die Dummen – sofern das denn fair ist", so W. Ohnehin dürfte die Frage nach der Moral eher theoretischer Natur sein: "Wer das Zeug nehmen will, der wird es nehmen. Die schaffen es selbst im Profisport, wo es nur eine kleine Zahl von Athleten und regelmäßige Kontrollen gibt, nicht, das Doping zu verhindern. Ich glaube kaum, dass man vor den Klausuren bald Speichelproben wird abgeben müssen."
Jedenfalls dieser letzte Gesichtspunkt ist kaum zu leugnen. Und glücklicherweise liegt eine neurologische Dystopie, in der Ottonormalhirn mit seinen steroidstrotzenden Gegenstücken nicht mehr konkurrieren kann, noch in weiter Ferne. Für den Augenblick steht wohl nicht zu erwarten, dass allzu viele Juristen bei der Abwägung zwischen den möglichen Wettbewerbsvorteilen, den ungeklärten langfristigen Gesundheitsrisiken und der etwaigen Illegalität der Beschaffung eine positive Bilanz ziehen werden. Dennoch ist mit den "Smart Drugs" in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein nicht zu vernachlässigender neuer Faktor aufgetaucht, der durchaus das Potential hat, die Gemengelage im akademischen und beruflichen Umfeld mittelfristig spürbar zu beeinflussen.
"Und das ist auch ok so", meint W. "Fortschritt ist eben nicht mehr auf Computer oder Autos begrenzt. Wenn wir als Spezies durch Entwicklungen in der Hirnforschung mehr leisten können, dann sollte man das feiern, nicht verteufeln. Ein bisschen mehr Verstandeskraft würde jedenfalls auch heute schon so manchem Kollegen gut tun."
* Name von der Redaktion geändert
Constantin Baron van Lijnden, Smart Drugs: Ritalin und Modafinil: . In: Legal Tribune Online, 23.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6457 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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