2/2: Reiche Erblasser aus Amerika sollen für Deutschland sterben?
Gleich zwei Aufsätze widmete die "Deutsche Juristenzeitung" 1915 der Idee, dass die Finanzlage des Deutschen Reichs, die wegen der Kosten des inzwischen seit einem Jahr laufenden Weltkriegs stark angespannt waren, durch die Nachlässe staatsliebender Verstorbener entlastet werden könnte.
Insbesondere die deutschstämmigen Bürger der USA, die doch oftmals ihre Erbschaften in wohltätige Stiftungen amerikanischer Universitäten, Kirchen und Gemeinden steckten, sollten animiert werden, letztwillig zugunsten des Deutschen Reiches zu verfügen. Diesem Vorschlag des Regierungsrats Buck aus Düsseldorf, publiziert unter dem Titel "Erbe sei das Vaterland!" (DJZ 1915, Sp. 226-228) stimmte ein Justizrat Bamberg, Aschersleben, begeistert zu: Beim Aufsetzen von Testamenten sollten die Notare und Richter – sie waren damals noch in diesem Geschäft tätig – vorsichtig darum werben, Vermögenswerte dem Reich zu vermachen, um den Ruhm der opferwilligen Familie zu mehren.
So treuherzig naiv die Idee vom reichen Erbonkel aus Amerika heute wirkt, der testamentarisch der alten Heimat das Kriegführen finanzieren soll, dürfte sie zumindest im Fall des Düsseldorfer Regierungsrats Buck nicht völlig kurios gewesen sein. Buck war "Vorsitzender der Steuerveranlagungskommission" in der preußischen Provinzstadt am Niederrhein. Mit diesen Kommissionen handelten die vermögenden Menschen des Königreichs Preußen damals ihre Einkommensteuerpflicht aus, ein beinah rechtsgeschäftlich-freiwilliger Vorgang. Die Höhe des schließlich zur Steuer veranlagten Einkommens wurde samt der Steuerschuld wurde in Preußen selbstbewusst publiziert. Völlig irrsinnig oder von Hurrapatriotismus gelenkt war die Idee also nicht, dass es die Bürger stolz machen könnte, etwas zum Staatshaushalt beizutragen.
Übergelaufene Reichtstagsabgeordnete – wie peinlich!
Die parlamentsrechtlich interessante Idee, dass der Reichstag den äußerlich erkennbaren Unwillen von Abgeordneten, an seiner Arbeit teilzunehmen, als einen konkludent erklärten Mandatsverzicht auslegen könnte, ja sollte, gab der bayerische Juraprofessor Robert Piloty (1863-1926) in den Druck.
Die Reichstagsabgeordneten Emile Wetterlé (1861-1926) und Georges Weill (1882-1970), ein in die Politik gewechselter Priester der eine, ein Sozialdemokrat der andere, beide aus elsass-lothringischen Wahlkreisen, hatten sich nach Kriegsausbruch in Frankreich niedergelassen und für den Kriegsgegner Partei ergriffen.
Den Gedanken, dass das Reichstagsdirektorium darin einen konkludent erklärten Mandatsverzicht erkennen möge, äußerte der Professor Piloty nicht allein aus notorischem Patriotismus: Zwar könne den beiden Herren wohl auch auf dem Verwaltungsweg die Staatsangehörigkeit entzogen werden, doch würde der damit einhergehende Mandatsverlust die Würde des Reichstags untergraben.
Die im Kern liberale Idee Pilotys kam jedenfalls beim Abgeordneten Weill nicht zum Tragen: Ihm entzog die Landesregierung von Elsass-Lothringen die deutsche Staatsangehörigkeit.
Im besetzten Belgien übte sich der deutsche Jurist derweil im Tagen: Am 10. und 11. April 1915 traf sich in Brüssel der "I. Deutsche Militärjuristentag", der – anders als der große Bruder, der Deutsche Juristentag – die vollständige Anwesenheit aller denkbaren Teilnehmer vermeldete: Sämtliche deutschen Kriegsgerichtsräte berieten über die strittigen Fragen, wie die weitreichenden Eingriffe in die Rechte der Belgier zu begründen seien. Erhalten hat sich das abendliche Begleitprogramm: "An die anregend verlaufende Sitzung reihte sich eine gesellige Zusammenkunft der Teilnehmer." – Natürlich kehrt man heute nach geselliger Runde nicht ins Amt zurück, um belgische Spione erschießen zu lassen.
Der verrückte Professor und sein Verdienstpreis für die Kriminalistik
Der Kieler Professor Max Pappenheim (1860-1934) stellte unter dem Titel "Zur Bestrafung des Prüfungsbetrugs" (DJZ 1915, Sp. 24-29) einen fast schon beschlussreifen neuen Tatbestand vor. Der ohnehin zweifelhafte Umstand, "daß sich der Prüfling gemeinhin in einem Stadium nervöser Anspannung und Depression" befinde, könne bei der Schuldfähigkeit, nicht im Tatbestand berücksichtigt werden. Als strafrechtswissenschaftlichen Konsens zum Prüfungsbetrug zitierte Pappenheim 1915 einen Kollegen: "Wer ungeeigneten Personen den Weg in öffentliche Vertrauensstellungen bereitet, versündigt sich schwer am Staatswohl. Seine Tätigkeit ist eine geradezu gemeingefährliche."
Warum die vorgeschlagene Norm in 100 Jahren nicht den Weg ins Gesetz gefunden hat, wäre doch ein schönes, immer noch aktuelles Dissertationsprojekt – vielleicht für eine juristische Promotion in Bayreuth, eine bildungssoziologische überall sonst in Deutschland, beispielsweise an den Fakultäten, die für die Lehrerausbildung zuständig sind.
Und warum soll uns die rechtswissenschaftliche Schreiberei des Jahres 1915 sonst noch interessieren? Vielleicht für ein böses Grinsen, dann und wann. Dem eingangs zitierten österreichischen Strafrechtsprofessor Hans Gross, der 1915 mit pseudowissenschaftlicher Rhetorik ein ganzes Volk, die Briten, zu krankhaften Lügnern erklärte – krank, aber doch schuldfähig – und sich bei dieser Gelegenheit auch gleich noch selbst zum gottgleichen Gutachter vor dem Weltgericht der Geschichte bestellte, nach diesem Professor Gross hat ein Landesverband des "Bundes Deutscher Kriminalbeamter" einen Preis für "herausragende Verdienste um die Kriminalistik" benannt.
Der Autor muss immer daran denken, wenn wieder einmal der Pressesprecher irgendeiner Polizeigewerkschaft aus tagespolitischen Vorgängen (kriminal-) politische Konsequenzen herbeiphantasiert.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Das Kriegsjahr 1915 in der Deutschen Juristenzeitung: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16812 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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