2/2: Eine Börse im Hinterzimmer
Buxbaum bietet nun ein wahres Panorama an rechtshistorischen Details, die ordentlich Farbe in diese etwas triste Historie bringen.
Ein Beispiel: Zu den zu regelnden Problemen des verschuldeten Deutschlands zählte die Frage nach der Berechtigung des Inhabers der jeweiligen Schuldverschreibungen. Zahllose bei der Reichsbank oder den Kreditinstituten deponierte Papiere waren, so Buxbaum, 1945 von sowjetischen Soldaten geplündert oder von sowjetischen Dienststellen beschlagnahmt worden, um dann unter obskuren Umständen in den Handel zu kommen. Der US-Rechtsgelehrte zitiert hierzu ein recht illustratives Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16. Dezember 1952 (Az. I ZR 29/52):
Nach den Feststellungen des Gerichts verkehrten in einer Gastwirt-schaft in Berlin (West) 1946/47 "zahlreiche frühere Bank- und Börsenleute, die dort auch mit Wertpapieren handelten, da es zur damaligen Zeit eine amtliche Börse in Berlin nicht gab."
In dem Lokal handelte man mit börsenfähigen privaten und staatli-chen Papieren im Nennwert von gut 236.000 Reichsmark, die – ob-wohl nur 1.000 Reichsmark als Realwert-Gegenstück in Aktien vorla-gen – den Käufern in der Kneipenbörse immerhin noch 326.000 Mark wert waren.
Gestohlen, geraubt, unter obskuren Umständen gehandelt - wer überhaupt aus den Schuldverschreibungen berechtigt sein könnte, war nach sechs Jahren staatlich organisierter Raubzüge und einigen Jahren Schwarzhandels kein eben kleines Problem.
Kirchenschulden – überschaubar, aber ein Dilemma
Buxbaum erzählt auch ein kaum bekanntes Stück Schulden- und Rechtsgeschichte. Rund 300 Einrichtungen der katholischen Kirche, vom Erzbistum Köln bis zu einzelnen Klöstern und Schulen, hatten in den 1920er Jahren auf Gulden lautende Anleihen in den Niederlanden aufgenommen.
Diese lagen in der Summe zwar unter dem, was einzelne deutsche Städte wie Berlin oder Dresden im Ausland akquiriert hatten, bieten Buxbaum aber ein Beispiel für die Achterbahnfahrt von Schulden bis zum Londoner Abkommen:
1928 mit stolzen Zinssätzen von sieben oder acht Prozent aufgenommen, fiel es den Kirchen-Gliederungen mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise von 1929 schwer, diese zu bedienen. Hinzu kamen die Devisen-Ausfuhrbeschränkungen der Reichsregierung Brüning 1930, nach 1933 dann die mit drakonischen Strafandrohungen versehenen Devisenbestimmungen des NS-Staats.
Die 1935 einsetzende, politisch gewünschte Strafverfolgung gegen Geistliche und Mitarbeiter der katholischen Kirche kannte – neben dem stets verfügbaren Verdacht sexueller Delinquenz – nicht zuletzt das Thema "Devisenvergehen", hatte man die deutschen Kirchenanleihen doch zuvörderst im katholischen Milieu der Niederlande platziert und suchte nach Umwegen, trotz der staatlichen Restriktionen Zins- und Tilgungsansprüche der niederländischen Glaubensbrüder und -schwestern zu bedienen.
Während der deutschen Besatzung der Niederlande von 1940 bis 1945 konnten sich deutsche Schuldner aus Gulden-Verbindlichkeiten zu einem günstigen Wechselkurs Gulden-Reichsmark freikaufen, der zu Ausbeutungszwecken von der Besatzungsmacht festgelegt worden war.
Für die Kirchengliederungen führte das zum Spagat zwischen moralischem Anspruch an sich selbst und ihrem Vorteil als Kapitalmarktschuldnerin – das Londoner Schuldenabkommen führte schließlich auch zu keiner wirklich befriedigenden Regulierung für die unter fragwürdigen Bedingungen abgelösten Schuldtitel.
Nachwirkungen bis in die Gegenwart
Das Rätselspiel, wer nun was von wem bekam, ging noch bis in die jüngste Vergangenheit weiter:
Eine 1925 auf Golddollar begebene, in den USA und den Niederlanden verkaufte, 1945 fällige und bis 1975 zur Zahlung vorzulegende Anleihe beschäftigte den BGH beispielsweise noch im Jahr 2005 – mit dem für selbsternannte Reichsbürger womöglich unangenehmen Feststellung, wie es um die rechtliche Kontinuität der Nutznießerin dieser Anleihe bestellt ist:
Auch die heutige Landeshauptstadt Dresden sei - weil rechtlich nicht mit der 1925 bestehenden Stadt gleichen Namens verbunden - nicht als Schuldnerin in Haftung zu nehmen (BGH, Urt. v. 25.10.2005, Az. XI ZR 353/04).
Bedarf es zu Schulden auch noch einer Moral?
Wer Schulden hat, braucht nicht noch Moral, wenn er sie nicht bedienen kann. Wäre dem anders, müsste man Gerichtsvollzieher theologisch ausbilden oder doch wenigstens psychotherapeutisch.
Was im Bereich privater Verbindlichkeiten gilt, mag – eher als die abgedroschene "schwäbische Hausfrau" – auch für die Geschichte von nicht oder gar hinterhältig bedienter Staatsschulden des 20. Jahrhunderts gelten:
Die einzige Moral ist vielleicht, dass die (wirtschafts-)verwaltungs- oder völkerrechtlichen Verhältnisse keine großen Umbrüche vertragen – ob nun kleine Gläubiger regelrecht ihrer Forderungen beraubt oder bloß mit den Transaktionskosten des Inkassos oder ihrer Neuverhandlung belastet werden.
Literatur: Die hier nur grob skizzierte Abenteuergeschichte der Staatsschulden lässt sich nachlesen in: "Sovereign Debtors Before Greece: The Case of Germany" von Richard M. Buxbaum.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Nach dem ersten Weltkrieg: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21767 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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