Iudex non calculat - doch ausgerechnet ein US-Jurist schlägt in seinem Aufsatz ein bemerkenswertes Kapitel der deutschen Staatsverschuldung auf. Rückblick in eine Zeit, als Wertpapiere im Hinterzimmer der Kneipe gehandelt wurden.
Noch ist das Geld billig. Wie teuer die Kreditaufnahme im Jahr 2017 wird, dürfte in nicht geringem Maß davon abhängen, wie sehr sich die neue US-Regierung nach dem kommenden Freitag in Schulden stürzen wird.
Ältere Semester erinnern sich an das zeitweise außerordentlich hohe Zinsniveau der 1970er und 1980er Jahre, als festverzinsliche Wertpapiere es im Schnitt auf über zehn Prozent Umlaufrendite brachten. Der wegen seiner markigen Sprüche später so populäre Helmut Schmidt machte sich damals wenig beliebt mit seiner Aussage, ihm seien fünf Prozent Inflation lieber als fünf Prozent Arbeitslosigkeit. Die hohen Inflationsraten jener Jahre beförderten naturgemäß das hohe Zinsniveau.
Trainingsmaterial für Stoiker: das Wirtschaftsvölkerrecht
Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass in den kommenden Jahren Zinsniveau und Staatsverschuldung im Euro-Raum mehr Aufmerksamkeit verdienen werden als die – wenn man das so nennen möchte – grotesken Manieren von Donald Trump.
Als vorweggenommenes Training in der dann erforderlichen Gelassenheit lässt sich schon jetzt ein Beitrag des US-amerikanischen Jura-Professors Richard M. Buxbaum lesen. Das Leben der Juristen ist ja, von der Arbeit am ersten Gutachten im Studium an, eine einzige Vorbereitung auf (Ernst-)Fälle. Rechtshistorisches Material mag da als Übungsstoff für Stoiker dienen.
Unter dem Titel "Sovereign Debtors Before Greece: The Case of Germany" fasst der Berkeley-Professor Buxbaum die Geschichte der deutschen Staatsschulden bei zumeist ausländischen Gläubigern zusammen – und zwar in der spannenden Epoche zwischen Versailler Vertrag und Londoner Schuldenkonferenz, einschließlich einiger juristischer Nachspiele in der Gegenwart.
Exkurs: Die Staatsschulden-Geschichte - ein deutsches Vergessen
Im Zusammenhang mit der sogenannten Griechenland-Krise ist die Geschichte des Londoner Schuldenabkommens von 1953 schon oft rekapituliert worden.
Mit dem Friedensvertrag von Versailles (1919) hatte sich das Deutsche Reich zu erheblichen Reparationszahlungen verpflichtet. Durch nachfolgende völkerrechtliche Übereinkommen wurden die Zahlungen näher definiert. 1932 schließlich, im Rahmen der Konferenz von Lausanne, wurden sie gegen die Zusage einer Restzahlung von drei Milliarden Goldmark als gestrichen vereinbart.
Zwischenzeitliche Vereinbarungen, namentlich der Dawes-Plan von 1924, erlaubten dem Reich, auf dem internationalen Kapitalmarkt Geld aufzunehmen. Viele Kommunen in Deutschland nutzten diese Chance, so auch die hiesigen Kirchen. Der Young-Plan von 1930 machte es dem damaligen deutschen Staat schmackhaft, die Reparationsschulden zu bedienen, die sogenannte Young-Anleihe wurde aufgelegt. Diese wurde zu guten Teilen von US-amerikanischen Gläubigern gezeichnet, ein Drittel der Mittel stand dem Reich zur Verfügung, zwei Drittel flossen in die Bedienung der Reparationsforderungen.
Schließlich regulierte das Londoner Schuldenabkommen von 1953 insbesondere diese gleichsam derivativen Schulden aus dem Versailler Vertrag sowie aus den Forderungen, die die drei westlichen Siegermächte für die Zeit zwischen 1945 und 1952 veranschlagten.
Die Schulden in ihrer Höhe gedeckelt zu haben, die Streckung ihrer Tilgung und der Aufschub nicht unerheblicher Forderungen auf die Zeit nach einer irgendwann denkbaren Wiedervereinigung, gelten als Meisterwerk der Verhandlungskunst durch den deutschen Unterhändler, den Adenauer-Intimus Hermann Josef Abs (1901–1994) – dem wohl die deutschen Fachanwälte für Insolvenzrecht ein gusseisernes Denkmal errichten könnten, wäre Abs nicht ein "abgebrochener Jurist", dem seine Banklehre zur Karriere genügte.
Martin Rath, Nach dem ersten Weltkrieg: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21767 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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