Recht und Ruch: Law and odeur

von Martin Rath

26.06.2016

2/2: Parfüm nicht schutzwürdiger als Kartoffelsalat?

Auch um den Patentschutz für neue Düfte steht es nicht zum Besten, wenngleich sich die Gerichte im europäischen Raum hier weniger eindeutig festgelegt haben, wie Guillemin in ihrer Darstellung des Fallrechts zu Parfümpatenten referiert.

Hier scheitert die Anerkennung von Schutzrechten an der Qualität des eingesetzten Hirnschmalzes: Werden am Markt frei verfügbare Substanzen nur neu gemischt, ist das Ergebnis dank moderner Analyseverfahren doch meist gut zu entschlüsseln. Und dies ist ein sicheres Zeichen dafür, dass keine ingeniöse Leistung technischer Art vorliegt, die den Patentbehörden schutzwürdiger erscheinen müsste als beispielsweise ein neues Rezept für Kartoffelsalat aus der Küche eines uckermärkischen Hausmanns.

Guillemin formuliert zum ingeniösen Aspekt eine Aussage, die für kreative Leistungen im Bereich sensorischer Produkte allgemein gelten dürfte, das "Duftparadox": Dem Erfordernis der grafischen Unterscheidung von anderen Düften könne zwar Genüge getan werden, allerdings nur bei recht simplen, basalen Duftstoffen. Düfte, die ihren Wert erst aus einer komplexen Komposition gewinnen, würden in einer grafischen Beschreibung zu unübersichtlich. Der beste Weg, komplexe Düfte darzustellen, sei die sprachliche Aussage, die aber beispielsweise auf den zirkulären Satz hinausliefe: "Es riecht wie Channel No. 5."

Olfaktorische Juristenausbildung

Die Nähe zur berühmten Phrase des US-Bundesrichters Potter Stewart, wie Pornographie zu definieren sei, besser gesagt, nicht definiert wird, ist evident: "I know it when I see it." Mit einem Schutzrecht, dessen sprachlicher Ausdruck auf einen Satz der Art: "Vor Nachahmung geschützt ist Produkt X vor Produkten, die riechen wie Produkt X" hinausläuft, ist kaum Staat zu machen. Denn wie sollte man derlei nach Aktenlage entscheiden?

Düfte lassen sich schwer aktenkundig machen. Es ist gut möglich, dass die fehlende juristische Auseinandersetzung mit Düften auf dem alten Grundsatz beruht: "Quod non est in actis, non est in mundo." (Was nicht in den Akten ist, ist nicht in der Welt.)

Soweit erkennbar, hat sich bislang keine rechtswissenschaftliche Doktorarbeit zum Schutz geistigen Eigentums an Düften dieser Seite der juristischen Kunst gewidmet. Um überhaupt einmal in der rechtswissenschaftlichen oder forensischen Auseinandersetzung weiterzukommen, bedürfte es erst olfaktorisch ausgebildeter Juristen und des Versuchs, Düfte auch zu den Akten zu nehmen.

Die DDR war aufgeschlossener

Wenig überraschend ist, dass eine Nation, die sich wie keine andere auf Akten versteht, hierzu erste Schritte sogar in der Ausbildung von Juristen, leider nur sogenannter Juristen gemacht hat. Wir sprechen hier natürlich von Deutschland.

In den Beständen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR fanden sich 1989/90 Gläser mit Duftproben von mutmaßlichen Regimegegnern der SED-Diktatur. Im Hochschulfernstudium der sogenannten Rechtswissenschaften, das verdienten Schergen des Ministeriums zugänglich war, wurden die ermittlungstechnischen Möglichkeiten der olfaktorischen Verfolgung von Dissidenten referiert. Mit dem Ende der Stasi wurde an dieser aktenwissenschaftlichen Technologie kaum weiter gearbeitet.

Trotz vorsichtiger Bemühungen, Düfte erneut zu den Akten zu nehmen – der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble verteidigte im Jahr 2007 entsprechende Schweißgreiflichkeiten zu Lasten Hamburger Globalisierungskritiker als sinnvolle Polizeiarbeit – muss mit der rechtswissenschaftlichen Arbeit auf olfaktorischem Gebiet offenbar immer noch und immer wieder von Neuem begonnen werden. Das gilt nicht nur für die in der akademischen Lehre weitgehend unbeachtete Tatsachenermittlung, auch die Fallanalyse und Dogmatik zu den Rechtsfragen des Duftwesens verdienen mehr Aufmerksamkeit.

Diesseits aller Scherze: Olfaktorik im Recht

Wie kann es sein, dass die Hausordnungen von Verkehrsbetrieben zwar das Betteln verbieten, nicht aber die aggressive Beleidigung des Geruchssinns durch Düfte privater Mischung (ungewaschenes Biererbrochenes) oder kommerzieller Art (Kokos-Vanille)? Warum macht sich lächerlich, wer dies unter Normen zu subsumieren versucht? Ist es nicht völlig unmöglich, dass der Verlust eines Fußes nach der Gliedertaxe so viel mehr wiegt als der Verlust des Geruchssinns?

Und was sagt es über eine Rechtswissenschaft aus, die sich einer ganzen menschlichen Sinnesdimension nicht systematisch widmet, sondern nur – wenn auch verdienstvolle – Einzelarbeiten hervorbringt?

Hinweis: Claire Guillemin. "Law & Odeur. Fragrance Protection in the Fields of Perfumery an Cosmetics". Dissertation Bucerius Law School, Hamburg 2013, Baden-Baden (Nomos-Verlag) 2016.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs bei Solingen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht und Ruch: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19789 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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