Superheld mit Mütze: Nikolaus, der Juristenheilige

von Martin Rath

06.12.2014

2/2: Göttliche Rechtsschutz-Versicherung

Einen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass zum guten Juristen auch eine solide Nikolaus-Kenntnis gehören könnte, gibt Manfred Becker-Huberti, ein promovierter Theologe, der früher als Pressesprecher des mächtigen Erzbistums Köln diente. Bereits die erste Legende, die nach Becker-Huberti auch zu den ältesten und ursprünglichsten rund um den Heiligen zählt, spielt im juristischen Handlungsraum  – natürlich auf dem Feld der Strafverteidigung, weil damit ja von jeher am meisten Spannung erzielt wird.

In der sogenannten Stratelaten-Legende macht sich Nikolaus gleich zwei Mal um den Schutz unschuldig Verurteilter verdient. Während der Heilige sich zur Schlichtung eines militärischen Tumults im Örtchen Andriake (heute Provinz Antalya) befand, verurteilte Eustachius, der heimische Provinzialpräfekt von Myra, aufgrund von Bestechung drei unschuldige Männer zum Tode. In Begleitung dreier römischer Offiziere  fiel der Heilige dem Henker in die Schwerthand und bewegte im Anschluss den käuflichen Richterpräfekten zur Reue. Die drei Offiziere, denen Nikolaus bei dem geschlichteten Tumult begegnet war, wurden kurz darauf aus anderem Anlass am Hof von Kaiser Konstantin des Verrats, also einer Vorform des konstruktiven Misstrauensvotums, beschuldigt und ohne Anhörung zum Tod verurteilt. Im Kerker erinnerten sie sich des wundertätigen Nikolaus, der daraufhin dem Kaiser und dem Ankläger solcherart im Traum erschien, dass die Anklage gegen die Offiziere fallengelassen wurde.

Wundertätig betätigte sich der heilige Nikolaus auch auf dem Gebiet des internationalen Kindschaftsrechts. So wurde ein von Arabern nach Babylonien entführter Knabe, der an einem 6. Dezember geboren und dem die Nikolaus-Legende bekannt war, durch eine Art magischer Flugreise seinen Eltern rücküberantwortet.

Sogar einer der ärgsten Mängel, die man sich auf dem Gebiet des Reisevertragsrechts ausdenken kann, wurde durch Nikolaus‘ Intervention behoben: Drei reisende Schüler – nach damaligem Verständnis vermutlich Studenten auf Bildungsurlaub – wurden von einem Leistungsträger (§ 651 a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch), konkret: ihrem Hotelier, getötet. Ihre Leichname pökelte der Herbergsanbieter ein. Der heilige Nikolaus ermittelte diesen Reisemangel, indem er vorgab, Appetit auf frisches Fleisch zu haben, und behob ihn mit Hilfe eines Engels, der die drei Reisenden ins Leben zurückrief.

Nikolaus, der juristische Superheilige – nur die Sache mit der Mütze

Damit kann festgehalten werden, dass der heilige Nikolaus über zahlreiche Fähigkeiten verfügte, die sich Mandanten heute von ihrem Rechtsanwalt versprechen. Bereits in der Antike wurde Nikolaus dafür verehrt, dass er seine Wunder an mehreren Orten zugleich bewirken konnte – das strafprozessuale Plädoyer im Wiederaufnahmeverfahren der Stratelaten-Legende bewirkte er sogar in traumtelepathischer Fernkommunikation. Das schafft heute, trotz der Wortähnlichkeit, noch nicht einmal Gerhard Strate.

Es ist daher leicht nachzuvollziehen, dass die Richter des OLG Düsseldorf noch im Jahr des Herrn zweitausendundzwölf ihre Kollegen vom LG korrigierten, als diese im Streit um zwei Weihnachtsmannfiguren dieselben fehlerhaft als Nikoläuse bezeichneten. Ein Heiliger ist kein Haakjöringsköd, und bei einem magisch derart hochbegabten Superjuristen sollte man sich vor Fehlbezeichnungen hüten.

Einen kleinen Schönheitsfehler hat das zitierte OLG-Urteil leider. Folgt man dem Theologen Becker-Huberti, wird der Nikolaus seit dem 19. Jahrhundert vermehrt mit einer Kopfbekleidung dargestellt, die der Phrygischen Mütze gleicht – also der rotzipfligen Kopfbedeckung, die nach antikem Vorbild während der Französischen Revolution populär wurde und heute als reich verzierte "Narrenkappe" im rheinländischen Karneval fortlebt.

Diese Nachlässigkeit muss man allerdings sämtlichen Düsseldorfer Richtern verzeihen, denn es wäre aus ihrer Perspektive ein sicher sehr beunruhigender Befund: Dass man die Inkarnationen eines juristischen Superheiligen womöglich nicht am hierarchiekompatiblen Bischofsornat, sondern an einer revolutionär-närrischen Kopfbedeckung erkennen beziehungsweise beide darin miteinander verwechseln könnte.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Superheld mit Mütze: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14039 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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