Thomas Morus und sein "Utopia": Nur köpfen, nicht fol­tern

von Martin Rath

25.12.2016

2/2: Recht im Staate Utopia

Vom Strafvollzug abgesehen bleibt das Utopia von Thomas More juristisch merkwürdig blass. Dieses Merkmal hat sich in der fantastischen Kunst bis heute vielfach gehalten, kaum etwas ist zum Beispiel alberner als die Prozesse, die gelegentlich in der Science Fiction verhandelt werden.

Anwälte gibt es in Morus' Utopia nicht, sie störten nur die unmittelbare Kommunikation zwischen den Parteien und dem Richter. Aus den endlosen Gerichtsverfahren um Grundeigentum, die im England Heinrichs VIII. geführt wurden, weil sein Bestand formal ungesichert und ökonomisch durch die Nachfrage nach Wolle stark unter Druck geraten war, lässt Morus seine utopische Gesellschaft in die Fantasie gemeinwirtschaftlicher Eigentumsverhältnisse fliehen.

Die Beobachtung der epidemischen Landstreicherei, mit der Heinrich VIII. und seine reizende Tochter Elisabeth I. mit drakonischen Gesetzen reagierten, spiegelt sich bei Thomas More in der Norm Utopias wieder, wonach kein Bürger das Recht auf Freizügigkeit hatte. Wer ohne Pass des Utopia-Präsidenten angetroffen wird, wird nach dem Bericht des Raphael Hythlodaeus sogleich versklavt. Fans kommunistischer Wirtschaftsordnungen haben diesen 500 Jahre alten Fingerzeig zwischenzeitlich immer wieder gerne übersehen.

Eherechtlich innovativ ließ sich More einfallen, dass künftige Eheleute einander vor der Heirat einmal nackt vorzuführen waren. Wer trotz Kenntnis seines Gatten später die Ehe bricht, wird – natürlich – wiederum zur Sklaverei verurteilt. Ist allerdings der Ehebruch für beide Beteiligten ein Ausscheren aus einer Ehe, sollen die jeweils betrogenen Ehepartner einander heiraten dürfen.

"Nur" geköpft, nicht gefoltert

Als Thomas More dies in den Druck gab, war sein Dienstherr, König Heinrich VIII., noch mit seiner ersten Gattin, Katharina von Aragón, verehelicht. Neben der Chance, sich der reichen Schätze der Klöster zu bemächtigen, waren bekanntlich die Ehesorgen des Fürsten Anlass für den 1534 vollzogenen ersten Brexit, der Loslösung von der Gerichtsbarkeit des Papstes.

Ob sich der lebenslustige Heinrich sonderlich gut an Morus Utopia erinnert hat, das neben den eherechtlichen Zwangsideen auch noch die Idee enthielt, das Jagdrecht den Metzgern zu übertragen, weil es für freie Menschen unwürdig sei, Tiere zu töten, mag dahingestellt bleiben.
Mit seiner Weigerung, den Los-von-Rom-Brexit seines Königs zu billigen und mittels Treueeids zu beschwören, hatte Thomas More 1534/35 sich auch ohne dies hinreichend an dem Fürsten vergangen.

Immerhin war der so zivil, ihn nicht foltern und vierteilen zu lassen, wie es ihm als bürgerlichem Hochverräter zugekommen wäre – auf dem Gnadenweg gewährte Heinrich VIII. seinem Mitarbeiter, nur geköpft zu werden.

Ob Juristen gut zum Heiligen taugen?

400 Jahre nach seiner Hinrichtung wurde der papsttreue Katholik Thomas More als Märtyrer heiliggesprochen. Das Bild Mores wird bis heute von der Darstellung geprägt, die ihm Fred Zinnemann 1966 im Film "Ein Mann zu jeder Jahreszeit" angedeihen ließ: Hier ringt More damit, dem König gegen sein Gewisssen die Treue zu schwören, um seiner geliebten Familie erhalten zu bleiben.

Mit dieser etwas verkitschten More-Rezeption können manche Briten bis heute wenig anfangen. Das hat viel mit der juristischen Arbeit des Thomas More zu tun. Als Kanzler war er unter anderem für die Verfolgung protestantischer Ketzer verantwortlich. Den Titel "Verteidiger des Glaubens", den die britischen Könige bis heute führen, erhielt der noch strikt katholische Heinrich seinerzeit vom Papst – nicht zuletzt dank seines fähigen Mitarbeiters Thomas More.

Dessen Eifer, Protestantinnen und -tanten auf den Scheiterhaufen zu bringen, wurde im Brexit-freundlichen Magazin "The Spectator" jüngst gar mit den mörderischen Praktiken des "Islamischen Staats" gleichgesetzt.

Das mag etwas übertrieben sein und wird dem humanistischen Gelehrten Thomas More kaum gerecht. Die bemerkenswerte Seltenheit von glaubwürdigen Rechtsfragen in der fantastischen Literatur, trotz des epochalen "Utopia"-Romans von Juristenhand, mag aber von der Erkenntnis mit geprägt worden sein, wie sehr sich Thomas Morus damals verspekuliert hat.

Der Autor Marin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Thomas Morus und sein "Utopia": . In: Legal Tribune Online, 25.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21579 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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