Strafe für Königsmord: Nicht nur tot, son­dern aus­ge­löscht

von Martin Rath

14.05.2017

2/2: Vormodernes Strafritual gleitet ins Absurde ab

Ein auch unabhängig von der Brutalität des Justizbetriebs alter Zeiten erschrecken-des und die Augen öffnendes Buch zum Fall Damiens hat Horst Karasek (1939–1995) unter dem Titel "Die Vierteilung" vorgelegt (Berlin, 1994). Er lässt in seiner dokumentarischen Darstellung Zeitzeugen zu Wort kommen.

Die Familie Sanson beispielsweise, die über sechs Generationen prominente französische Henker stellte, hinterließ Beobachtungen von der handwerklichen, aber auch von der öffentlichen Wirkung des grauenhaften Schauspiels: Der König habe sich über das Tötungsritual am meisten bestürzt gezeigt, so der Justizvollzugsbedienstete. Ein Mensch lässt sich nicht so leicht von Pferden zerreißen. Damit das Publikum noch bei Tageslicht etwas zu sehen bekam, wurde mit dem Beil nachgeholfen. Karasek dementiert den Henker von Paris: Später habe der König durchaus damit geprahlt, was seinem Feind hier widerfahren sei.

Waren öffentliche Exekutionen sonst eher ein beliebter Ort für Diebstähle – was Todesstrafen-Gegner damals an ihrer abschreckenden Wirkung zweifeln ließ –, erweiterte ein Gefährte des berühmten Intellektuellen und Erotikers Giacomo Casanova (1725–1798) das Repertoire hinrichtungsbezogener Kriminalität: Im dicht gedrängten Publikum verging sich sein Freund an einer Frau, nach Begriffen der Zeit sodomitisch, wie Casanova nicht zu überliefern vergaß.

François-Marie Arouet (1694–1778), bekannt unter dem Namen Voltaire, spielte keine Ruhmesrolle. In vorangegangenen, etwas weniger scheußlichen Strafritualen der französischen Justiz hatte der aufgeklärte Philosoph beredt interveniert. Der "rasende Reporter" Egon Erwin Kisch sollte ihn später dafür gar zum Urahn des modernen Justiz-Journalismus adeln. An der Hinrichtung des – nicht erfolgreichen – "Vatermörders" Damiens hatte Voltaire aber wenig auszusetzen, wohl um sein nach heutigen Begriffen millionenschweres Medienimperium nicht zu gefährden. Ob Voltaires Opportunismus seinen Ahnen-Status eher bestätigte oder desavouierte, lässt sich schwer beantworten.

Für beide Hinrichtungen, Ravaillac und Damiens,  sind kannibalistische Übergriffe bzw. Versuche des Publikums überliefert, sich nicht verbrannte Leichenteile anzu-eignen. Ihnen wurde pharmakologisches Potenzial zugesprochen. Für das eigentlich im Rahmen der "damnatio memoriae" vorgesehene Ganzbrandopfer fehlte der notorisch sparsamen Justiz auch bei solch prominenten Fällen am Ende doch das Holz.

Spurenelemente dieses Rechts heute

Während die Hinrichtung Damiens' den Studierenden postmoderner Fächer nach wie vor recht bekannt sein dürfte, sind ihre juristischen Umstände bei Menschen vom Fach doch einigermaßen verblasst.

Dabei wirkt in den Straftatbeständen zum Schutz des Staatsoberhaupts – sieht man von § 90 Strafgesetzbuch ab, der seinen Grund wohl in den Schmutzkampagnen besorgter Bürger gegen Reichspräsident Friedrich Ebert (1871–1925) hatte – noch etwas von der strafrechtlichen Konstruktion des vormodernen Monarchen-Schutzrechts nach: Die Taten Ravaillacs und Damiens' wurden nicht im Sinn einer modernen Rechtsgutslehre als (versuchte) Tötungsdelikte verstanden, sondern als Angriffe böser Kinder auf die gleichsam geheiligte Person des väterlichen Souveräns, als Anschlag auf seine Ehre – und diese Vorstellungswelt wurde gleichsam im "Majestätsbeleidigungsparagraphen" konserviert – glücklicherweise zivilisiert.

Eine weitere, etwas unverhoffte Relevanz für das positive Recht haben die grausamen Hinrichtungsmethoden in der rechtstheoretischen Diskussion der USA: Der achte Zusatzartikel zur US-Verfassung, der seit 1791 überhöhte Kautionen und Geldstrafen sowie grausame und ungewöhnliche Strafen verbietet, wurde vor dem Hintergrund der im Vergleich zum zivilisierten angelsächsischen Galgen so barbarischen kontinentaleuropäischen Strafrituale geschrieben.

Aus der Sicht einer am Zeitverständnis des späten 18. Jahrhunderts orientierten Verfassungsinterpretation lässt sich damit "maiore ad minus" für die Todesstrafe argumentieren – eine nicht nur für paläokonservative Juristen schlüssige Logik.

Wer kann wen verraten?

"Da könnte ja jeder kommen!" – "Das wäre ja noch schöner!" Nach einer halb im Scherz geäußerten Ansicht des in Deutschland einst weltberühmten Zivilrechtslehrers Martin Wolff (1872–1953) lässt sich jede Rechtsordnung auf diese zwei Sätze zurückführen. Mit der Frage: "Wer ist schuld?" könnte man weite Teile des Zivilrechts ihrer historischen und dogmatischen Willkür entkleiden, Staatsrecht- und Staatslehre, die von der rechtlichen Regulierung der Macht handeln, laufen wohl oft auf Antworten zur Frage hinaus: "Wer kann wen verraten?"

Dass die Rechtsordnung auf die Frage nach dem Verrat historisch äußerst scheußliche Antworten fand, sollte nicht daran hindern, ihr analytisches Potenzial zu reanimieren: Wo wird vom Volk kindliche Liebe zur Staatsführung verlangt, ihre Verweigerung als Verrat pönalisiert? Sollte das Ausscheiden aus einer "res publica" wie der Europäischen Union als Verrat behandelt werden? Was ließe sich z.B. aus dem konstruktiven Misstrauensvotum (Art. 67 GG) für den Brexit lernen, wenn man beides einmal als Sonderformen von Verrat betrachtet?

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Strafe für Königsmord: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22913 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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