Der heutige Reformationstag wurde zwar ausnahmsweise bundesweit als "Tag der seelischen Erhebung" ausgerufen. Wer sich aber nicht mit der Sache Luthers verbunden fühlt, mag sich vielleicht lieber mit dem Rechtsinstitut der Häresie befassen.
Soweit sie nicht unter einer besonderen Empfindlichkeit gegenüber der mit "aA" abgekürzten "abweichenden Auffassung" zu irgendeiner harmlosen Rechtsfrage leiden, kommen deutsche Juristen mit dem Phänomen der Häresie und Ketzerei eigentlich nur noch in asylrechtlichen Zusammenhängen in Kontakt.
Insbesondere Flüchtlinge aus dem Iran erklären, in der selbsterklärten "Islamischen Republik", nach deren Verfassung ein schiitischer Geistlicher als "Führer" umfassend Staatsgewalt und informelle Macht ausübt, bei Übertritt zu einem christlichen Bekenntnis an Leib, Leben und Freiheit bedroht zu sein – ihre Konversion wird als Abfall vom einzig wahren Glauben schiitischer Façon betrachtet und verfolgt.
Dass Häresie als Kampfinstrument gegen Christen, aber beispielsweise auch gegen liberale Muslime eingesetzt wird, sei es im Rahmen des positiven Rechts – wie im Beispiel der Zwangsscheidung des ägyptischen Koran- und Literaturwissenschaftlers Nasr Hāmid Abū Zaid (1943–2010) –, sei es durch die Duldung extralegaler Verfolgung durch die zum Schutz berufenen Staatsbehörden, zählt gewiss zu den schändlichsten Einrichtungen im Meinungskampf der Gegenwart.
Häresie als Rechtsproblem im deutschen Stipendium
Der bedrückenden Tristesse etwa des Falls Abū Zaid sollte vielleicht mit einem Optimismus begegnet werden, der sich daraus schöpfen lässt, wie fest das einst kirchenrechtliche, dann staatlich exekutierte Institut der Ketzerei einst auch in unserer Rechtsordnung verankert war – und wie es sich verflüchtigt hat. Und womit lässt sich Tristesse unter Juristen besser bekämpfen als mit einem sogar recht witzig anmutenden Fall?
Das Landgericht Hanau befand mit Urteil vom 11. Dezember 1979 (Az. 2 S 231/79) über eine skurril wirkende Sache: Ein Student der katholischen Theologie hatte in den Jahren 1968 und 1969 vom Bistum Limburg zinslose Darlehen über insgesamt 2.000 Mark erhalten, verbunden mit der Verpflichtung, das Geld nach Abschluss einer Berufsausbildung zurückzuzahlen.
Der spätere Beklagte begann sein Studium an der vom Jesuitenorden getragenen Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main, ließ sich 1974 aber exmatrikulieren, ohne hier oder anderenorts eine Abschlussprüfung im theologischen Fach abgelegt zu haben.
Entsprechend der Auffassung, 13 Jahre nach dem Studienbeginn sei der ehemalige Student nunmehr zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet, klagte das Bistum nach vergeblichem Versuch, den Betrag beizutreiben, vor dem Amtsgericht Gelnhausen, dann vor dem Landgericht Hanau.
Das Bistum verlor den Prozess, weil der Ex-Theologiestudent sich nach Überzeugung des Landgerichts darauf berufen konnte, dass die Hochschule St. Georgen einen Dozenten beschäftigte, der Thesen vertrete, "die – insbesondere wegen Ablehnung gewisser katholischer Dogmen – aus der Sicht der Lehre der katholischen Kirche häretischen Inhalts sind".
Martin Rath, Ketzerei: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25315 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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