Aus dem Bundesgesetzblatt: Kleine Leis­tungs­bi­lanz einer Großen Koa­li­tion

von Martin Rath

30.10.2016

2/2: Gut, Notstandsverfassung – die gab es auch

Im Gedächtnis haften geblieben ist leider nur das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (S. 709), das insbesondere die Artikel 9 Abs. 3, 10 Abs. 2, 11 Abs. 2, 12a, 20 Abs. 4 und die Regelungen zur Ausübung der Regierungs- und Parlamentsgeschäfte im Verteidigungsfall re- und innovierte.

Gar manche schwäbische Pfarrerstochter erregte die Diskussion um diese sogenannte Notstandsverfassung gleich so sehr, dass sie sich einer terroristischen Vereinigung wiederfand – auf die der liberale Staat zunächst erstaunlich hilflos reagierte, um es dann gleich wieder zu übertreiben. Der geschichtsbewusste Student, der noch ins Lehramt wollte, begnügte sich damit, "Notstand" feinsinnig mit "NS" abzukürzen. Weil, ist ja irgendwie das Gleiche.

Zu den Staatseinrichtungen, die sich seither leider nicht mehr beseitigen ließen, zählt das im "Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre" (1967, S. 396) neu geschaffene Legislativ-Exekutiv-Spezialpersonal.

Man mag sich zwar beispielsweise über die Puppenstubenhaftigkeit einer "Anordnung des Bundespräsidenten über den Erlaß von Bestimmungen für die Dienstkleidung der Beamten im Wach- und Pförtnerdienst im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung" lustig machen (1967, S. 913) – die eigentliche Norm ist gerade einmal um fünf Wörter länger als ihre Überschrift –, doch weht von der Puppenstube her noch ein wunderbar antiquierter Geist: Der Bundespräsident ordnet als später Nachfolger Seiner Majestät des Kaisers seinem Personal die Kleider.
Diese Parlamentarischen Staatssekretäre:  Sie zählen zu jenen fleißigen Damen und Herren, die heute dafür sorgen, dass schon im Oktober eines eher ruhigen Legislativjahres 2016 das Bundesgesetzblatt 900 Seiten mehr hat als das ganze stürmische Jahr 1968 zusammenbrachte. Man wünschte sich, der Staat kümmerte sich stattdessen wieder mehr um die Kleider seiner Dienerschaft.

Dreher drehte oder drehte Dreher nicht?

Das meiste ist natürlich vergessen und verweht, wird umgesetzt oder nur in der Kommentarliteratur behandelt. Diskussionsstoff bis heute – gerade, was die förmliche Seite der Gesetzesproduktion betrifft – bietet allerdings die 33. Ausgabe des Bundesgesetzblatts, Teil I: das "Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten EGOWiG)".

Der rechtshistorische Streit um die Frage, wie der Einfluss von Eduard Dreher (1907–1996), seinerzeit Ministerialbeamter im Justizministerium, auf die hier mit herbeigeführte Verjährung von NS-Verbrechen zu bewerten sei, steht kurz davor, jenes esoterische Niveau zu erreichen, auf dem sich Geschichtswissenschaftler über den Wert eines "Intentionalismus" oder "Funktionalismus" zur Erklärung des NS-Staats schlechthin streiten. Exoteriker dürfen da einfach abwarten.

Fazit: Weniger Stillstand gab es selten

Vom Bundeswaffengesetz über die Freizügigkeit der EWG-Bürger bis hin zur Regelung des Schornsteinfegerwesens: die Große Koalition von 1966 beschloss Gesetze, was das Zeug hielt. Justizminister Horst Ehmke, Sohn eines Danziger Arztes, brachte beispielsweise das Kastrationsgesetz (1969, S. 1.143) durchs Hohe Haus, mit dem einige erhalten gebliebene Normen des NS-Erbgesundheitsgesetzes geregelt wurden. Man stelle sich die betschwesterliche Stimmung vor, die das heute auslösen müsste.

Die hier nur anekdotisch gezogene Bilanz ist ganz erstaunlich: Heute würde ein Bruchteil der binnen kurzer Jahre beschlossenen Gesetze bis zum Tag des Jüngsten Gerichts liegen bleiben – wenn auch auf sehr viel mehr Öko-Papier gedruckt. Und reden konnten die Abgeordneten früher auch besser, nicht nur Franz Josef Strauß und Herbert Wehner.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Aus dem Bundesgesetzblatt: . In: Legal Tribune Online, 30.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21015 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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