Der totale Überwachungsstaat?: Die Ab­schaffung des Bargelds

von Martin Rath

31.05.2015

2/2: Charakter des Geldes bestimmt Charakter der Arbeit

Hier sollen zumindest erste Hinweise gesucht werden, die aus der Dokumentation einer Sendereihe des Hessischen Rundfunks gezogen werden, welche in den 1980er Jahren herausgebracht wurde. Alt, aber heute wird derlei kaum noch produziert. Der Wirtschaftswissenschaftler Karl Häuser (1920-2008) klärte seinerzeit zum Beispiel in einem Beitrag unter dem Titel "Opfer und Steuer" über die wechselnden Legitimationsquellen auf, mit denen die Herrscher (proto-) staatlicher Organisationen einst ihren Appetit an Geld – im Sinne von Bargeld – befriedigten.

Wer in der antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Welt, in der Güter- und Dienstleistungen noch kaum über das Medium Geld ausgetauscht wurden, Abgaben auf Naturalien erhob, ähnelte dem Straßenräuber, wenn er einen zehnten Teil auf Ernte und Vieh verlangte, oder einem Sklavenhalter, wenn Dienste in Form von Fronarbeit abverlangt wurden. Mit dem Systemwandel gingen Legitimationsumbrüche von Recht und Herrschaft einher.

Heute sieht man das erst am gesellschaftlichen Rand. Dort, wo Menschen für ihre Existenzsicherung auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, finden wir bereits jetzt im Herrschaftsbereich der Sozialbehörden öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnisse, die Züge der Fron haben und die am Markt nicht gefragte, zumeist lustlos verrichtete Tätigkeiten generieren.

Politische Opportunität arbeitet mit Zuckerbrot und Peitsche. Sollte mit einem totalen System der Bargeldlosigkeit eine Dynamik in Gang kommen, die nicht allein die Unterwerfung des Bürgers unter die Kontrolle seiner sämtlichen geldwerten Transaktionen verlangt, sondern auch in Form von großzügigen Transferleistungen der Bürger untereinander, verschiebt sich die Entscheidungshoheit darüber, in welche Aufgaben die Gesellschaft Arbeitsleistung investieren möchte, womöglich weiter in den politischen Raum.

Veränderung von Verteilungskämpfen

Der auf mittelalterliche Geschichte spezialisierte Historiker Hannes Möhring zeigte in seinem Beitrag zur "Kulturgeschichte der Steuer", dass eine Dynamik, die heute meist mit der Sektsteuer in Verbindung gebracht wird, bereits zu Zeiten der großen abendländisch-orientalischen Feldzüge existierte. Über rund 200 Jahre übten sich die Könige Frankreichs und Englands im Hochmittelalter darin, ihre Beteiligung an einem Kreuzzug nur anzutäuschen, um vom Papst die Lizenz zur Besteuerung von Gütern im Besitz von Klerikern zu erhalten, sich dann aber die bewaffnete Wallfahrt nach Jerusalem möglichst zu ersparen. Der englische König eroberte mit dem Geld lieber Wales, sein Kollege zog gegen die Ketzer in Südfrankreich.

Hier findet sich einerseits der oft an der Schaumweinsteuer illustriere Witz von der nicht mehr abgeschafften Steuerlast: Von Kreuzzügen ohne Steuerfinanzierung gerieten unsere westlichen Nachbarländer zu Steuerstaaten ohne Kreuzzüge. Um Besteuerung durchzusetzen, musste also ein überwältigend wichtiges politisches Ziel in Szene gesetzt werden. Der Umbruch der Geldwirtschaft, der sich heute abzeichnet, geht dahin, dass jede Transaktion im klaren Licht staatlicher Transparenzwünsche liegt. Es fragt sich, als wie belastungsfähig sich der demokratische Verfassungsstaat zeigen wird, wenn künftig die Inhaber staatlicher Macht ihre "Kreuzzüge" ohne große Umständemacherei finanziert bekommen sollten – oder jedenfalls mit dieser Vorstellung um politische Macht konkurrieren könnten.

Finanzbeamte könnten überflüssig werden

Mit Bargeld zu wirtschaften, soll, so ein erklärtes Ziel in verschiedenen europäischen Rechtsordnungen sowie einiger prominenter Wirtschaftswissenschaftler, noch stärker als bisher in den Geruch des Anstößigen kommen. Sollten die grauen und schwarzen Zonen der Wertschöpfung weitgehend zurückgedrängt werden, indem jede Währungseinheit effektiv unter Beobachtung von Zentralbank und Finanzamt gerät, kann das weitgehende Konsequenzen für die Organisation des Staatsbetriebs haben:

Wer benötigt, um es einmal persönlich zu nehmen, dann noch eine flächendeckende Versorgung durch Steuerjuristen und -berater, wozu würde es noch Finanzbeamte brauchen, wenn jeder Zahlungsverkehr einfach einer Umsatzsteuer unterworfen werden kann – ob man dies nun für die steuerbelasteten Mittelschichten durch ein egalisierendes "bedingungsloses Grundeinkommen" versüßt oder nicht? Über das möglicherweise bittere Schicksal der berühmten deutschen Steuerrechtsliteratur in einer Zukunft, in der Besteuerung allzu leicht fiele, möchte man gar nicht nachdenken.

Im juristischen Denken könnte die weitere Digitalisierung der ökonomischen Sphäre ebenfalls Folgen haben: Generationen von angehenden Juristinnen und Juristen machten sich Sorgen, ob sie im Staatsexamen die Finessen der Kondiktionsansprüche im Vierpersonenverhältnis nach fehladressierter Banküberweisung, §§ 816 ff. Bürgerliches Gesetzbuch, auf die Reihe bekommen. Was bliebe davon, wenn jeder Prozess dieser Art leichthin umkehrbar wäre?

Hinweis: Die Beiträge zur Sendereihe des Hessischen Rundfunks, verfasst von hochkarätigen Historikern und Ökonomen, erschienen 1986 als Sammelband unter dem Titel "Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer", herausgegeben von Uwe Schulz.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Der totale Überwachungsstaat?: . In: Legal Tribune Online, 31.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15690 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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