BGH im Jahr 1971: Ent­schär­fung des berüch­tigten "Auto­fallen"-Tat­be­stands

von Martin Rath

19.12.2021

Der "Autofallen"-Tatbestand von 1938 wurde 1952 erneut geregelt – nach lebhafter parlamentarischer Diskussion, die sich freilich vor allem für Fragen der Verkehrssicherheit interessierte. 1971 erhielt die Norm einen wichtigen Bypass.

Zwischen November 1934 und Januar 1938 begingen die Brüder Walter und Max Götze (1891/1902–1938) in Berlin mehr als 100 Raubüberfälle und zwei Morde.

Ihre Taten folgten im Wesentlichen, wenn auch nicht ausschließlich, zwei Mustern: Zum einen beraubten sie Liebespaare im Grunewald, unweit der inzwischen aus ganz anderen Gründen berüchtigten Onkel-Tom-Straße. Neben den relativ unübersichtlichen Verhältnissen begünstigte hier die restriktive Sexualmoral der Epoche ihr Vorgehen. Zum anderen überfielen die Brüder Götze wiederholt Autofahrer, die sie zunächst mit Balken, dann mit Drahtseilen, später durch das Fällen von Bäumen zum Anhalten motivierten.

Aufgrund dieser sogenannten "Autofallen" genoss ihre Raubserie erhebliche Aufmerksamkeit seitens der NS-Führung. Dass die Polizei die Täter über Jahre nicht ermitteln konnte, störte das Selbstbild des totalen Staats, in historisch einmaliger Weise für Ruhe und Ordnung zu sorgen – jedenfalls für alle Menschen, die er als regimekonform klassifiziert hatte. Entsprechend unterdrückte das Reichspropagandaministerium unter dem promovierten Germanisten Joseph Goebbels (1897–1945) die Berichterstattung über diese rätselhaften Raubüberfälle.

Nach Denunziation durch eine Gastwirtin wurden die Behörden im März des Jahres 1938 der Brüder Götze habhaft. Weil in einem Vorgespräch zwischen dem Vertreter der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Berlin II und Roland Freisler (1893–1945), seinerzeit Staatssekretär im Reichsjustizministerium, unklar blieb, ob für beide Brüder die Todesstrafe wegen der beiden Morde – zum Schaden eines Raubopfers und eines Polizisten – würde verhängt werden können, wurde mit dem "Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen" vom 22. Juni 1938 geregelt: "Wer in räuberischer Absicht eine Autofalle stellt, wird mit dem Tode bestraft." Satz 2 erklärte, dass das Gesetz rückwirkend vom 1. Januar 1936 an in Kraft trat.

Für den Fall Götze erwies sich diese Regelung im Strafverfahren als überflüssig, weil beiden eine Beteiligung an den Morden nachgewiesen werden konnte. Die Brüder wurden bereits am 30. Juni 1938 in Plötzensee mit dem Fallbeil getötet.

Die "Lex Götze" vom 22. Juni 1938 könnte schlicht als eine von vielen nationalsozialistischen Rechtsperversionen behandelt werden, denn mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 55 vom 20. Juni 1947 hob sie der Alliierte Kontrollrat neben weiteren Straf- und Grundgesetzen des "Großdeutschen Reichs" auf, darunter die Notverordnung vom 4. Februar 1933 und die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933.

Systemkonforme Wiedereinführung des "Autofallen"-Rechts

Als vier Jahre nach diesem alliierten Akt im Bundestag eine sehr lebhafte Diskussion um ein neues Verkehrsstrafrecht begann, wurde der Bedarf einer besonderen Bestrafung von "Autofallen"-Räubern zunächst noch nicht gesehen – ganz im Gegenteil: Was die Gefahren des zunehmend motorisierten Straßenverkehrs betraf, gingen die Abgeordneten mit recht erfrischenden Einsichten ans Werk.

Im ersten "Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Unfällen im Straßenverkehr" vom 10. Oktober 1951 fehlte die "Autofalle". Angesichts der wachsenden Zahl von Verkehrstoten – den 2,5 Millionen Kraftfahrern fielen zwischen 15 und 30 Menschen täglich zum Opfer – wurden insbesondere die Tatbestände des heutigen § 315c Strafgesetzbuch (StGB) geregelt, also Formen der gefährlichen Teilnahme am Straßenverkehr. Nur eine im Bundestag heiß umstrittene Vorverlagerung des bloßen Versuchs, alkoholisiert zu fahren, wendete das Gesetzgebungsverfahren zwischen 1951 und 1953 vom trinkenden Volk ab.

Mit großem Eifer stritten die Abgeordneten darum, ob die steigende Zahl der Verkehrsopfer auf mangelnde Disziplin oder noch unzureichende technische Ausstattung zurückzuführen sei. Der Abgeordnete Bernhard Reismann (1903–1982, Zentrum) redete u. a. einer besseren Infrastruktur das Wort und forderte 1951 den Ausbau von Radwegen. Hans Albrecht Freiherr von Rechenberg (1892–1953, FDP) beklagte, dass überlange Lastkraftzüge mit zwei Anhängern den Verkehr gefährdeten und hier doch die Eisenbahn ihren Dienst tun könne. Valentin Baur (1891–1971, SPD) befand, dass die Verkehrserziehung des Volkes im Allgemeinen und die der motorisierten Verkehrsteilnehmer im Besonderen zu wünschen übrig lasse – als Mittel für das erstere könne unter anderem der "Kasperl als Verkehrssünder" im Kindertheater etabliert werden. Im Übrigen seien Führerscheinprüfungen mit 50 bis 100 Teilnehmern, von denen jeder nur eine Theoriefrage beantworten müsse, wenig zweckdienlich.

Wiederholt monierte die FDP-Fraktion in der ersten Legislaturperiode des Bundestags, auch in dieser Debatte, einen aus ihrer Sicht besonderen Missstand: Unter ausdrücklicher Berufung auf Nr. 2 lit. e) des Besatzungsstatuts, das "Schutz, Ansehen und Sicherheit" sowie "Vorrechte" der alliierten Streitkräfte regelte, galt auf Autobahnen im Gebiet der US-Militärregierung eine Geschwindigkeitsbeschränkung, die von der amerikanischen Militärpolizei im US-Stil rigide und überfallartig kontrolliert wurde – unter Begleitung zur nächsten Raststätte und ausführlicher Inquisition der Kraftfahrer.

Und was hielt man nun davon, dass in "der NS-Zeit … eine besonders scharfe Strafbestimmung gegen Autofallen eingeführt worden" war? – Hier hatte das Bundesverkehrsministerium dem Verkehrsausschuss erst in den laufenden Beratungen, "angeregt durch Wünsche aus den Kreisen der Kraftfahrer" wegen schwerer Verbrechen, die seit 1945 "insbesondere auf den Autobahnen" begangen worden seien, "ein echtes Bedürfnis für eine derartige Strafbestimmung" signalisiert, die eben "nur" ins übrige System des Strafgesetzbuches eingepasst werden müsse – daran hatte es 1938 erkennbar gefehlt.

"Autofallen"-Paragraph schafft Probleme

In der äußerst munteren, ja sogar unterhaltsamen und heute seltsam offen und ehrlich wirkenden Plenardebatte des Bundestags (Protokoll, S. 10.946–10.956) spielte die hässliche Vergangenheit, "Autofallen"-Steller drakonisch bestrafen zu wollen, keine Rolle mehr – obwohl die nun eingeführte Regelung wiederum hart vorzugehen versprach: § 316a StGB drohte nach räuberischem Angriff auf Kraftfahrer mit fünf Jahren, in nicht näher bestimmten besonders schweren Fällen mit lebenslanger Zuchthausstrafe.

In der juristischen Lehre und Rechtsprechung kam die neue Norm nicht gut an – und auch der Gesetzgeber hätte hellsichtiger vorgehen können, wurde doch in der Debatte zu den übrigen 1952 neu geregelten Tatbeständen auf das gute alte Kernstrafrecht verwiesen: "Wenn ein Unfall passiert ist, kann man dem Schuldigen wegen der geschehenen Körperverletzung und der geschehenen Sachbeschädigung ja barbarisch zu Leibe rücken", begründete etwa der Abgeordnete Reismann seine Kritik am neuen Verkehrsstrafrecht – aber eben nicht ausdrücklich an der harten neuen "Autofallen"-Strafandrohung.

Die Wende leitete, soweit erkennbar, erst ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28. Januar 1971 ein. In dieser Sache bestätigte der BGH zunächst seine – wohl noch deutlich über die ursprüngliche Bestrafungslust aus den "Kreisen der Kraftfahrer" hinaus gebildete – Rechtsaufassung, wonach auch der Führer eines Fahrzeugs selbst als Täter, etwa zum Schaden eines Beifahrers in Betracht komme: In Gelsenkirchen hatte ein Fahrer seinen Beifahrer nach der Fahrt in einen abgelegenen Winkel um 40 Mark beraubt. Das Landgericht hatte, zum Missfallen des BGH, darin keine "Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs" sehen wollen – mutmaßlich wegen der zu hohen Strafandrohung von fünf Jahren.

An diese Strafandrohung sei der Richter jedoch weiterhin gebunden, zumal der Gesetzgeber im seinerzeit laufenden Geschäft der liberalen Strafrechtsreformen zwar § 316a StGB neu gefasst, es bei den harten fünf Jahren jedoch belassen habe (BGH, Urt. v. 28.01.1971, Az. 4 StR 552/70).

Zum Glück für die nachfolgenden Juristengenerationen und ihrer Kundschaft blieb diese Anmerkung aus Karlsruhe in Bonn nicht unerhört, so dass ein hermeneutisches Biegen im Dienst eines schuldangemessenen Strafens ausblieb – anders als im Fall des Mordtatbestands, § 211 StGB mit der ungewöhnlichen Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB (BGH, Urt. v. 19.05.1981, Az. GSSt 1/81).

Wie schon 1951 bis 1953 geriet das "Autofallen"-Problem wieder unverhofft in den Gang der Gesetzgebung: Der 1970 vorgelegte Entwurf eines 11. Strafrechtsänderungsgesetzes nahm sich § 316a StGB noch nicht an, obwohl in seiner Nachbarschaft – als neuer § 316c StGB – völkerrechtliche Vereinbarungen gegen die Luftpiraterie in deutsches Recht umgesetzt werden sollten. Sie war damals ein dringendes Thema, weil der wachsende Flugverkehr Ziel des Terrors palästinensischer und bald deutscher Linksextremisten und Mittel der Flucht aus Kuba und dem Ostblock wurde.

Durch Gesetz vom 16. Dezember, das am 19. Dezember 1971 in Kraft trat, wurde – nicht zuletzt wegen der Signale aus dem BGH – zumindest die unbedingte Strafandrohung von fünf Jahren dahin gemildert, dass in minder schweren Fällen des "räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer" der für sonstige Räuber reguläre Tarif von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe angedroht ist.

Damit ist für die Gerichte seither die Möglichkeit gegeben, den Strafrahmen von fünf bis 15 Jahren zu unterschreiten, wenn dies für ein schuldangemessenes Urteil erforderlich ist – die Norm hatte einen Bypass für ihr Überleben in einem liberalen Rechtsstaat erhalten.

Hinweise: Matthias Niedzwicki (1981–2021), instruktiv: "Das Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen vom 22. Juni 1938 und der § 316a StGB" (ZJS 2008, 371–374). "Panini"-Sammelbilder großartiger wie abgründiger, aber nie langeweiliger Abgeordneter wünscht man sich nach Lektüre der stenographischen Berichte aus den Jahren 1952, 1970 und 1971.

Zitiervorschlag

BGH im Jahr 1971: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46979 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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