2/2: Literarischer Aufruf zum Bürgerkrieg
Ein Fall, in dem sich Apfel all seiner juristischen und publizistischen Verteidigungsanstrengungen bemühte, war der des expressionistischen Dichters aus München, Johannes R. Becher (1891-1958). Der Literat, der später als Kulturminister der DDR und als Verfasser des Texts der DDR-"Nationalhymne" eine teils unrühmliche, teils komische Rolle spielen sollte veröffentlichte 1925 ein recht gruseliges, reichlich apokalyptisches Science-Fiction-Werk: "(CHCl=CH)3As (Levisite) oder Der einzig gerechte Krieg".
Becher ließ in diesem Buch, das sich, freundlich formuliert, um eine lesbare Romanhandlung kaum schert, viele böse, namentlich deutsche und US-amerikanische Dämonen des Kapitalismus, der Polizei und des Militärs allerlei Giftgas gegen brave deutsche und amerikanische Arbeiter bolschweistischer Konfession einsetzen. Allein von wackeren sowjetrussischen Entgiftungskommandos ist bei Becher Heil zu erwarten. Das Buch wirkt wie eine rückwärts geschriebene Fassung von "Berlin Alexanderplatz" und wurde vermutlich in bizarrer frühstalinistischer Glaubenslust und mit den falschen Drogen bei fest montierter Alu-Haube auf dem Kopf seines Verfassers geschrieben.
Doch es brachte Becher seitens der Berliner Militär- und Polizeibehörden den Vorwurf ein, literarisch zum Bürgerkrieg aufgerufen zu haben. Trotz einer zwischenzeitlichen Amnestie wurde mittels der juristischen Konstruktion des Fortsetzungsdelikts - der Roman war ja vor und nach dem Straferlass zu lesen - die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens unterstellt. Dies beruhte jedoch nicht nur auf dem Roman. Denn Becher machte aus seinem kommunistischen Eifer auch sonst keinen Hehl: Weil das Werk aber – für abgearbeitete Proletarier von schlichtem Gemüt – kaum lesbar war, schien hier der Vorwurf des "literarischen Fortsetzungdelikts" besonders absurd auf.
Eine deutsche Republik in der juristischen Krise
Besonders irrlichten wirkt Bechers Roman übrigens im Rückblick: Wir wissen heute, dass die Reichswehr seinerzeit neben der verbotenen Panzer- und Flugzeugtechnik auch ihre Giftgas-Rüstung in Kooperation mit der sowjetischen Armee auf Testgeländen in der UdSSR erprobte. Publizistisch geschossen wurde von linken Intellektuellen derweil natürlich nur in Richtung USA.
Bei Schwing sind neben diesem noch weitere, hoch spannende Strafprozessen dokumentiert, an denen Alfred Apfel in den 1920er und frühen 1930er Jahren beteiligt war.
Mit Alfred Apfel gilt es einen der großen, nach der Diktion seiner Zeit "bürgerlichen" Strafverteidiger der neueren deutschen Rechtsgeschichte wiederzuentdecken. Man lernt politisches Strafrecht einer kurzlebigen Demokratie in permanenter Krise kennen. Das mag im heutigen Krisenerleben wachsam machen oder beruhigen. Insbesondere für juristisch geschulte Leser bieten die Texte Alfred Apfels in beide Richtungen interpretierbare Lesestücke.
Literatur: Alfred Apfel: "Autobiografien. Publikationen", epubli, Berlin 2014, ISBN 978-3-7375-1794-2, 300 Seiten, 29,00 Euro. Alfred Apfel: "Mein liebes Tierchen … in inniger Liebe, Dein Alfred". Briefe und Karten an seine Tochter Hannah Busoni, epubli, Berlin 2014, ISBN 978-3-7375-1278-7, 160 Seiten, 22,80 Euro.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Juristenbiografien: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14685 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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