Ein gutes Herz habe er gehabt, nur leider nicht im medizinischen Sinne: Der Strafverteidiger Alfred Apfel gehörte zu den bekannten Juristen der kurzen Weimarer Republik. Martin Rath hat in seiner lange vergessenen Biografie viele seiner teils recht absurden Prozesse wiederentdeckt – zum Beispiel den eines Alu-Haube tragenden kommunistischen Dichters, der offensichtlich die falsche Drogen genommen hatte.
"Ich glaube, ich habe einen Herzanfall", zitiert Varian Fry in seinen Erinnerungen "Auslieferung auf Verlangen" die letzten Worte des einst prominenten deutschen Rechtsanwalts Alfred Apfel. "Eine halbe Stunde später war er tot."
Nach dem Sieg der Wehrmacht über die französischen Streitkräfte, 1940, waren zahllose Emigranten von der Auslieferung an die Behörden des NS-Staats bedroht. Im Auftrag des Emergency Rescue Committees, einer US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation, verhalf der gebürtige New Yorker Varian Fry (1907-1967) vielen Bedrohten zur Ausreise, unter anderem mit gefälschten Papieren für den Weg durchs faschistische Spanien. Fry organisierte den Schmuggel von Menschen durch die Pyrenäen und versorgte die US-Presse mit Nachrichten aus dem umkämpften Europa.
Bekannte Künstler und Intellektuelle wie Heinrich und Golo Mann, Max Ernst und Lion Feuchtwanger zählten zu Frys Klienten – und eben auch der heute weitgehend in Vergessenheit geratene Dr. iur. Alfred Apfel, der 1882 im rheinländischen Städtchen Düren (bei Aachen) zur Welt gekommen war.
Fry attestierte dem früheren Strafverteidiger Apfel ein gewisses Geschick darin, mit Polizisten ins Gespräch zu kommen. Gerade erst hatte Apfel Neuigkeiten von einem Beamten des Staatsschutzes im unbesetzten Teil Frankreichs erhalten. Wenige Tage zuvor hatte die französische Polizei die führenden deutschen Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid (1874-1944) und Rudolf Hilferding (1877-1941) an die Gestapo ausgeliefert. Breitscheid starb im Konzentrationslager Buchenwald, Hilferding unmittelbar nach der Inhaftierung unter der Folter, durch Suizid oder Mord. An besagtem Februarnachmittag suchte Apfel Fry auf, um über die aktuelle Bedrohung zu sprechen, zählten die beiden Sozialdemokraten doch zum gemeinsamen Bekanntenkreis. Fry erwähnte, dass Apfel nun zur Gruppe der unmittelbar Gefährdeten zählte - ein Gedanke, den Apfel nicht überlebte.
Das Juristenleben eines Juden in antisemitischen Zeiten
Seit vorvergangenem Jahr gibt es Gelegenheit, den einst prominenten Strafverteidiger und politischen Juristen Alfred Apfel wiederzuentdecken. 2013 erschien mit "Hinter den Kulissen der deutschen Justiz. Erinnerungen eines deutschen Rechtsanwalt 1882-1933" ein bis dahin nur in französischer und englischer Sprache publiziertes autobiografisches Werk Apfels. Dem Germanisten und Historiker Heinrich Schwing kommt das Verdienst zu, weitere, teils sehr unzugängliche Einzelwerke und biografische Daten zu Alfred Apfel zusammengetragen und neu ediert zu haben, darunter die für Juristen recht interessanten "Autobiografien, Publikationen" (2014).
Anhand persönlicher und publizistischer Dokumente Alfred Apfels lässt sich aus Schwings Sammlung ein Juristenleben in unangenehm interessanten Zeiten nachzeichnen. Für das Jahr 1908 dokumentiert der Band beispielsweise eine Eingabe von Apfels Vater an Kaiser Wilhelm II. in dessen Funktion als Chef der Streitkräfte. Trotz guter Lehrgangsabschlüsse war dem promovierten Sohn und königlich-preußischen Nachwuchsjuristen die Ernennung zum Reserveoffizier verweigert worden. Die Vermutung, dass dies der jüdischen Konfession des kaisertreuen rheinländischen Bürgers geschuldet war, lag nahe.
Justizfreie Hoheitsakte, derlei kennt man hierzulande und heutzutage kaum noch. Die Dienstsache Apfel – für jüdische Untertanen seiner preußischen Majestät kein seltener Akt antisemitischer Staatspraxis – gibt ein Beispiel für die glücklicherweise selten gewordene Rechtskonstruktion: Über die Beschwer verfügte in diesem Fall letztlich die schon eingangs entscheidende Behörde. Das lässt noch heute Juristenaugen rollen.
Weimarer Strafprozesse zeigen, wie gut wir heute dastehen
Nach dem Ersten Weltkrieg politisierte sich der 1906 mit einer harmlosen, aber erkennbar von Fleiß geprägten Arbeit über "Die Grenzscheidungsklage des Bürgerlichen Gesetzbuchs unter Berücksichtigung des römisch-gemeinen, preußischen, sächsischen und französischen Rechtes" zum Doktor der Rechte promovierte Alfred Apfel zusehends. In Reaktion auf den verschärften Antisemitismus engagierte sich Apfel in der zionistischen Bewegung, die einen friedlichen Landerwerb im britischen Mandatsgebiet Palästina anging.
Als Strafverteidiger war Alfred Apfel in einigen der großen und kleineren politischen Prozesse der Weimarer Republik, dieser kurzen 14 Jahre zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur, involviert. Sie war das erste Laboratorium eines demokratisch verfassten Rechtsstaats. Der zweite Anlauf sollte erfolgreicher werden: Das Grundgesetz hat 1949 normativ einen Schlussstrich unter den älteren deutschen Obrigkeitsstaat gezogen, die Justiz zog im Tagesgeschäft mit einer gewissen Mentalitätsverzögerung nach.
In den von Schwing republizierten Aufsätzen Alfred Apfels aus der Weimarer Zeit tun sich jene Abgründe auf, aus denen sich die zweite deutsche Republik und ihr Rechtsstaat herausarbeiten mussten. Es sind dabei mitunter jene kleineren Fälle, die der Verteidiger Apfel bearbeitete bzw. publizistisch in die Öffentlichkeit brachte, die auch ein wenig zeigen, wie gut wir heute dastehen. Zum Beispiel der des kommunistischen Dichters Becher.
Martin Rath, Juristenbiografien: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14685 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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