Dissertations-Revue: Not­wehr gegen Nichtstun und Social Soft­ware

von Martin Rath

27.09.2015

6/6: Der feuchte Traum piratischer Norm-Ingenieure?

Bürgerbeteiligung kann so aussehen: Alle vier bis acht Wochen gibt es eine Sitzung des Stadtrats, der man inzwischen mittels wackeligem Online-Streaming audiovisuell folgen könnte. Beschlussvorlagen sind einsehbar, soweit man bereit ist, sich alle verstreut abgelegten PDF-Dateien zu einem Vorgang zusammenzusuchen. Gewählte Ratsvertreter brauchen Stunden dazu, greifen daher lieber auf Drucksachen zurück, mit denen sie im Lauf eines Jahres ihr Körpergewicht mehrfach aufwiegen können.

Einen Bürgerhaushalt gibt es da und dort auch. Wer will, darf dann über einen Bruchteil eines Gemeindehaushalts mitbestimmen, was meist auch nicht mehr heißt als Prioritätswünsche anzumelden, die dann irgendwann später im Verfahren völlig untergehen.

Jeder Rechtsanwalt, der sich über das Faxgerät bei Gericht beschwert, ist eingeladen, in seiner Anwaltskammer Satzungsdiskussionen mittels Social Software zu etablieren.

So lässt sich vielleicht der erste Nutzwert der Dissertation "Gubernative Rechtssetzung mit Social Software" formulieren, die von Tanja Röchert-Voigt in Potsdam vorgelegt wurde. Mit "gubernativer Rechtssetzung" sind alle Vorgänge der Verwaltung gemeint, die für eine Vielzahl von Vorgängen normative Festlegungen treffen. Nach juristischer Rechtsquellenlehre ist damit das Spektrum von der Rechtsverordnung über die körperschaftlichen Satzungen bis hin zu untergesetzlichen Verwaltungsanweisungen gemeint.

Tanja Röchert-Voigt entwickelt ein System, mit dem sich der Einsatz von Social Software in den Kommunikationsprozessen planen lässt, die vor dem förmlichen Erlass der genannten "gubernativen" Normsetzungsgestaltungen vonstattengehen. Ein kommunaler Hauptverwaltungsbeamter, der sich nicht dem Vorwurf aussetzen möchte, die Bürger mit frucht- und folgelosen Beteiligungsritualen zum Narren zu halten, wird sich mit dieser Schnittstelle von Technik, Politik und Recht befassen müssen. Bundes- und Landesebene müssen schon vergleichsweise weit.

Auch Bundes- und Landesminister werden gut daran tun, ihre Bediensteten mit der passenden Social Software verstärkt in interne Normsetzungsprozesse einzubinden – und sei es nur, weil ihre Studienkollegen in der Privatwirtschaft ihre Geschäftsprozesse mit intelligenteren Kommunikationsmitteln organisieren als einem Faxgerät.

Tanja Röchert-Voigt: "Gubernative Rechtsetzung mit Social Software".

Berlin (Gito-Verlag) 2015. Dissertation zur Erlangung eines Doktors der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (doctor rerum politicarum), vorgelegt der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. Disputation am 13. Mai 2015.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Dissertations-Revue: . In: Legal Tribune Online, 27.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17012 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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