Weil ein gläubiger Sikh nicht gleichzeitig Turban und Helm im Straßenverkehr tragen kann, beantragte er eine Ausnahmegenehmigung. Die muss die Stadt Konstanz nicht zwingend erteilen, so der VGH. Aber sie könnte - und muss nun neu entscheiden.
Die Straßenverkehrsbehörde muss nicht zwingend aus religiösen Gründen eine Ausnahme von der Helmpflicht beim Motorradfahren machen. Die Erteilung einer solchen Befreiung steht in ihrem Ermessen und dieses ist auch nicht auf Null reduziert, entschied der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg am Montag (Urt. v. 04.09.2017, Az. Az. 10 S 30/16). Gesundheitliche Gründe dafür, keinen Helm zu tragen, dürften aber nicht großzügiger bewertet werden als religiöse.
Unter Beachtung dieser Grundsätze muss die Stadt Konstanz nun noch einmal über den Antrag des klagenden Jogalehrers entscheiden, der der Religionsgemeinschaft der Sikhs angehört. Er hat die Stadt verklagt, weil sie es ihm nicht genehmigt, ohne Helm Motorrad zu fahren, er aber religiös verpflichtet ist, in der Öffentlichkeit einen Turban zu tragen.
Weil er diesen sogenannten Dastar nicht gleichzeitig mit einem Motorradhelm tragen könne, beantragte er eine Ausnahmegenehmigung von der Helmpflicht nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nummer 5b der Straßenverkehrsordnung (StVO). Die Stadt lehnt das mit der Begründung ab, dass eine Ausnahme nur gemacht werden könne, wenn das Tragen eines Helms aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei.
Ermessen nicht auf Null reduziert
Die Berufung des Sikh beim VGH hat nur teilweise Erfolg. Zwar habe die Stadt die Ausnahmegenehmigung rechtswidrig abgelehnt, weil sie ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe, so die Mannheimer Richter. Die Stadt habe nämlich nicht deutlich gemacht, dass eine Befreiung von der Helmpflicht nicht nur aus gesundheitlichen, sondern auch aus religiösen Gründen in Betracht kommen könne.
Einen zwingenden Anspruch auf die Ausnahmegenehmigung billigt der VGH dem Gläubigen allerdings deshalb noch nicht zu. Die Erteilung der Ausnahmegenehmigung stehe im Ermessen der Behörde, die einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum habe. Ihr Ermessen sei auch nicht auf Null reduziert, sondern die Behörde könnte den Befreiungsantrag des Sikhs auch ablehnen, stellt das Gericht klar. Bei ihrer Entscheidung müsse sie – anders als bisher – aber beachten, dass gesundheitliche Gründe nicht großzügiger behandelt werden als religiöse.
Insbesondere folge eine Ermessenreduzierung auf Null nicht aus der Glaubensfreiheit des Sikhs aus Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG), führte der VGH aus. Zwar liege mit der Schutzhelmpflicht ein Eingriff in das Grundrecht vor. Dieser könne aber mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Schutz der physischen und psychischen Integrität Dritter aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gerechtfertigt werden.
VGH: Die Helmpflicht schützt auch andere Menschen
Ein durch einen Helm geschützter Motorradfahrer sei im Fall eines Unfalls regelmäßig besser in der Lage als ein nicht behelmter, die physische Unversehrtheit anderer Unfallbeteiligter zu schützen. Er könnte nämlich eher die Unfallstelle sichern oder Ersthilfemaßnahmen einleiten, begründet der VGH seine Entscheidung, gegen die er die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat.
Unfallbeteiligte Dritte trügen zudem durch schwere Personenschäden anderer nicht selten auch psychische Schäden davon, argumentiert der VGH. Gerade bei Unfällen mit Motoradfahrern ohne Helm komme es bekanntermaßen häufig zu schwerwiegenden, zum Teil auch tödlichen Kopfverletzungen.
Auch dem Versuch des Sikh, sich unter mehreren Aspekten auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG zu berufen, erteilen die Richter eine Absage. Von ihrer eigenen bisherigen Verwaltungspraxis, Fahrer wegen Genickschmerzen von der Helmpflicht zu befreien, sei die Behörde im Verfahren abgerückt und habe angekündigt, künftig vor einer Befreiung zu prüfen, ob derjenige tatsächlich Motorrad fahren müsse. Und die Entscheidungen anderer Straßenverkehrsbehörden, Sikhs aus religiösen Gründen von der Helmpflicht zu befreien, binden die beklagte Stadt Konstanz nicht. Sie habe nur in ihrem eigene örtlichen Zuständigkeitsbereich gleichmäßig zu entscheiden.
pl/mgö/LTO-Redaktion
VGH Baden-Württemberg zur Religionsfreiheit: . In: Legal Tribune Online, 04.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24297 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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