Der Nachtragshaushalt 2024 ist vorerst gescheitert. Ebenso der Bundeshaushalt für 2025. Doch das Grundgesetz hält Lösungen bereit, von denen wir in den kommenden Monaten noch einiges hören werden. Christian Rath stellt sie vor.
In dieser Woche hätte es geschehen sollen. Am Donnerstag wollte die verblichene Ampel-Koalition eigentlich einen Nachtragshaushalt für 2024 beschließen, außerdem sollte im Haushaltsausschuss die zentrale "Bereinigungssitzung" zum Haushalt 2025 stattfinden. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition am 7. November kam es dazu aber nicht mehr.
Doch auch ohne Nachtragshaushalt 2024 und ohne Bundeshaushalt 2025 droht in Deutschland kein Government-Shutdown, wie in den USA. Das Grundgesetz hält hierfür pragmatische Lösungen bereit: die vorläufige Haushaltsführung gem. Artikel 111 Grundgesetz (GG) und das Notbewilligungsrecht des Finanzministers gem. Artikel 112 GG.
Der fehlende Nachtragshaushalt 2024
Der Bundeshaushalt 2024 sah Ausgaben und Einnahmen in Höhe von 476,8 Mrd. Euro vor. Dabei sollten 39 Mrd. Euro Schulden aufgenommen werden, das Maximum, das nach der Schuldenbremse möglich ist. Über eine notlagenbedingte Aussetzung der Schuldenbremse gem. Artikel 115 Abs. 2 Satz 6 GG wurde zwar immer wieder diskutiert, doch der damalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) blieb hart. Daran zerbrach letztlich auch die Koalition.
Noch im September hatte die Ampel-Koalition immerhin einen Nachtragshaushalt für 2024 eingebracht. Erforderlich wurde dieser, weil die Entlastung beim Strompreis um 8,7 Mrd. Euro höher ausfiel als erwartet und die Kosten des Bürgergelds um 3,7 Mrd. Euro über dem Plan lagen. Es gab aber Spielraum für eine erhöhte Kreditaufnahme, weil die Konjunktur in Deutschland lahmt und die Regeln der Schuldenbremse gem. Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG dann eine konjunkturbedingte erhöhte Verschuldung zulassen. Konkret stieg dadurch der Spielraum für eine zulässige Neuverschuldung von 39 Mrd. Euro um 11,3 Mrd. Euro auf 50,3 Mrd. Euro.
Nachdem die Ampel platzte und sowohl FDP als auch CDU/CSU signalisierten, dass sie kein Interesse haben, einem Nachtragshaushalt zur Mehrheit zu verhelfen, war schon spekuliert worden, dass der neue Finanzminister Jörg Kukiers (SPD) nun eine Haushaltssperre gem. § 41 Bundeshaushaltsordnung (BHO) verhängen muss. Danach hätten alle im Haushalt 2024 vorgesehenen Ausgaben und neuen Verpflichtungen der Genehmigung des Finanzministers bedurft, soweit sie nicht gesetzlich oder vertraglich verpflichtend waren.
Keine Haushaltssperre erforderlich
Doch am Mittwoch, den 13. November, konnte Kukies dem Bundestags-Haushaltsausschuss Entwarnung geben. Auch wenn der Nachtragshaushalt nicht beschlossen wird, müsse er wohl keine Haushaltssperre verhängen. Es sei noch genug Geld vorhanden. Hintergrund ist der um zwei Jahre verschobene Bau einer Intel-Halbleiterfabrik bei Magdeburg, die der Bund eigentlich mit rund 10 Mrd. Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) fördern wollte. Diese freigewordene Summe kann nun für die gestiegenen Kosten der Entlastung beim Strompreis verwendet werden, die auch aus dem KTF finanziert werden.
Minister Kukies nannte am Mittwoch im Bundestag den Beschluss eines Nachtragshaushalts nur noch eine wünschenswerte Option. Die Nutzung des erhöhten Verschuldungsspielraums 2024 (der inzwischen konjunkturbedingt sogar von 11,3 auf 11,8 Milliarden zusätzlich gestiegen ist) könne die fast völlig abgeschmolzenen Rücklagen des Bundes entlasten. Kukies wollte damit wohl die CDU/CSU locken, die nach einem Wahlsieg ja auch ein Interesse an gewissen Reserven im Haushalt haben müsste. Doch zunächst winkte die CDU/CSU ab, ebenso die FDP.
Für alle überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben ist eigentlich ein Nachtragshaushalt erforderlich. Gem. Art 112 GG sind solche Ausgaben jedoch auch mit Zustimmung des Bundesfinanzministers möglich, wenn sie "unvorhergesehen und unabweisbar" sind. Auch dann ist gem. § 37 Abs. 4 BHO die Zustimmung des Finanzausschusses erforderlich (die bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen schwer zu bekommen sein dürfte).
Ausnahmen gelten zum einen für sog. Bagatellausgaben bis 100 Mio. Euro. Hier genügt es, wenn der Finanzminister dem Bundestag vierteljährlich Bericht erstattet. Eine weitere Ausnahme besteht, wenn Rechtsverpflichtungen zu erfüllen sind. Dann ist gem. § 37 Abs 1 und Abs 4 BHO weder ein Nachtragshaushalt noch das Einverständnis des Haushaltsausschuss erforderlich. Dies gilt sowohl bei den gestiegenen garantierten Einspeisevergütungen für die Erzeuger erneuerbarer Energie, die der Bund 2022 übernommen hat, um den Strompreis zu entlasten. Es gilt erst recht für die Bezieher von Bürgergeld, deren Existenzminimum abgesichert wird.
Damit kann Finanzminister Kukies das Jahr 2024 noch solide beenden - wenn keine neuen Großkatastrophen neue Mittelbedürfnisse auslösen.
Der Entwurf des Nachtragshaushalts wurde am Mittwoch (13. November) im Bundestagsplenum nur kurz beraten und dann in den Haushaltsausschuss zurücküberwiesen, wo er vor allem dann weiterberaten werden soll, wenn FDP und/oder CDU/CSU Verhandlungsbereitschaft signalisieren.
Kein Haushalt 2025
Schwerwiegender ist die Haushaltslage ab dem Jahreswechsel. Denn nun besteht gar kein Haushalt mehr.
Die Bundesregierung beschloss zwar im Juli einen Haushaltsentwurf für 2025. Darin waren Einnahmen und Ausgaben in Höhe von 480,6 Mrd. Euro vorgesehen, inklusive einer Nettoneuverschuldung von 43,8 Mrd. Euro. Die Schuldenbremse sollte eingehalten werden. Der Haushalt wurde im August auch in den Bundestag eingebracht und im September in erster Lesung diskutiert. Am 14. November sollte die Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss stattfinden, am 29. November nach einer viertägigen Debatte die Schlussabstimmung im Bundestag.
Anders als beim Nachtragshaushalt 2024, wo noch eine kleine Hoffnung auf Verabschiedung besteht, ist klar, dass der Bundeshaushalt 2025 nicht mehr vor der Bundestagswahl am 23. Februar beschlossen werden wird. Je nach Dauer der Koalitionsverhandlungen kann es also bis April, Mai oder noch länger dauern, bis im Bundestag ein Haushalt für das Jahr 2025 beschlossen wird.
Auch für diesen Fall sieht das stabilitätsorientierte Grundgesetz Regeln vor: Die "vorläufige Haushaltsführung" gem. Artikel 111 GG. Diese gilt zeitlich unbefristet. Wenn sich die nächste Regierungsmehrheit erst im September 2025 findet, gilt die vorläufige Haushaltsführung eben bis zur Aufstellung des neuen Haushalts, zum Beispiel im Oktober 2025.
Der Status Quo darf erhalten werden
Grundgedanke der vorläufigen Haushaltsführung ist die Wahrung des Status Quo. Wer sich auf Zahlungen des Bundes verlassen hat, soll diese erhalten. Projekte, die begonnen wurden, können fortgeführt werden. Das Fehlen eines Haushalts stellt den Staat damit nicht grundsätzlich in Frage.
So kann die Bundesregierung Geld ausgeben, um "gesetzlich bestehende Einrichtungen" zu erhalten. Gemeint sind Behörden, Institute, Bauanlagen oder auch Gerätelager. Hier dürfen jeweils die Personal- und Erhaltungskosten weiter bezahlt werden. Wenn ein Mitarbeiter kündigt, darf Ersatz eingestellt werden, wenn ein Computer kaputt geht, darf ein neuer beschafft werden. Als gesetzliche Grundlage für die Einrichtung genügt eine Erwähnung im Bundeshaushalt 2024.
Auch alle "gesetzlich beschlossenen Maßnahmen" dürfen weiter finanziert werden, etwa Auslandseinsätze der Bundeswehr. Hierfür ist aber ein Fachgesetz erforderlich, die Erwähnung im Haushaltsgesetz soll nach herrschender Auffassung nicht genügen.
Der Bund darf auch seine "rechtlich begründeten Verpflichtungen" gegenüber Dritten weiter finanzieren. Die Verpflichtungen können dabei auf Gesetz, Verwaltungsakt, Vertrag, Vergleich, Schadensersatzanspruch oder internationalem Vertrag beruhen. Der Bund darf in der haushaltlosen Zeit also sowohl das Bafög an die Studentin auszahlen als auch die deutschen Beiträge an die EU weiter überweisen.
Neue "Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen" dürfen nach Artikel 111 GG nur finanziert oder bezuschusst werden, wenn durch vorherige Haushaltsgesetze bereits Beträge bewilligt wurden. Auch hier geht es also um die Sicherung von Kontinuität.
Im Einzelfall kann hier manches streitig sein, insbesondere wenn sich die politische Stimmung verändert hat und eine Maßnahme eigentlich gerade nicht fortgeführt werden sollte. Wenn etwa die Regierungsmehrheit im Streit um die Fortführung einer bestimmten Maßnahme zerbricht, dann kann eben nicht die Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers zur Fortführung dieser Maßnahme unterstellt werden.
Da die Bürger und Unternehmen in der haushaltlosen Zeit natürlich weiterhin Steuern und Abgaben zahlen müssen, sind grundsätzlich auch Einnahmen vorhanden. Zudem darf der Staat in dieser Phase aber auch Schulden aufnehmen, um seine Verpflichtungen erfüllen zu können. Art 111 Abs. 2 GG beschränkt die Aufnahme auf "ein Viertel der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes". Das wären rund 120 Milliarden Euro. Diese Grenze ist faktisch irrelevant, weil natürlich auch in der haushaltslosen Zeit die Schuldenbremse gem. Art 115 GG gilt, die nur etwa ein Drittel dieser Summe als Neuschulden erlaubt.
Keine Verpflichtung zum Stillstand
Die vorläufige Haushaltsführung gem. Art 111 GG ist wie gesagt auf die Sicherung des Bestehenden, auf Kontinuität ausgerichtet. Die Welt entwickelt sich im Kleinen und Großen aber auch in der haushaltlosen Zeit weiter, es entstehen neue Aufgaben und Herausforderungen. Doch auch hier ist der Bund nicht gelähmt.
Für alle Ausgaben, die nicht der Sicherung von Kontinuität dienen, gilt wieder der oben bereits erwähnte Art. 112 GG, das Notbewilligungsrecht des Bundesfinanzministers für "überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben", die "unvorhergesehen und unabweisbar" sind.
Insofern hat Jörg Kukies (SPD) eine zentrale Aufgabe übernommen, die er auch dann behält, wenn die Bundesregierung nach den Neuwahlen und während der Koalitionsverhandlungen nur noch geschäftsführend im Amt ist.
In der rot-grünen Minderheits-Koalition sichert dies zugleich der SPD eine dominante Stellung, was aber durchaus den Kräfteverhältnissen entspricht. Anders war es, als Christian Lindner (FDP) zum Beispiel bis Februar 2024 als Vertreter der sitz-mäßig schwächsten Regierungspartei als Finanzminister die vorläufige Haushaltsführung managte. In solchen Situationen könnte der Bundeskanzler allerdings von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen, um steuernd einzugreifen. Damals hielt Kanzler Olaf Scholz (SPD) allerdings Lindner noch den Rücken frei, gegen weitergehende Ausgabenwünsche der SPD- und Grünen-Fraktion.
Immer mehr haushaltlose Zeiten?
Je instabiler die Verhältnisse werden, umso häufiger muss von den Möglichkeiten des Notbewilligungsrechts und der vorläufigen Haushaltsführung Gebrauch gemacht werden. Wenn Koalitionen während der Wahlperiode auseinanderbrechen und nicht durch neue Regierungsmehrheiten ersetzt werden können und wenn nach Neuwahlen die Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen monatelang dauern und eventuell sogar scheitern (wie die so genannte Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP 2017), dann können die Notregeln von Artikel 111 und 112 GG helfen.
Teilweise wird befürchtet, dass nun schon wegen des veränderten Wahltermins (Februar statt September) die Haushaltsnotlagen zunehmen werden. Denn die übernächsten Bundestagswahlen werden vier Jahre später erneut im Frühjahr stattfinden. Es könnte also die gleiche Situation drohen, dass sich eine Koalition zum Ende der Legislatur und mit Blick auf den Wahlkampf nicht mehr auf einen gemeinsamen Haushalt verständigen kann und die haushaltlose Zeit dann bis weit ins Wahljahr hineinreicht.
Ob das die die Regel sein wird, ist aber Spekulation. Schließlich könnte eine Koalition ja auch gut und harmonisch zusammenarbeiten und noch im Herbst (also lange vor den Frühjahrs-Wahlen) in Ruhe den Haushalt für das kommende Jahr beschließen. Denkbar ist dies insbesondere, wenn eine Koalition ihre Zusammenarbeit fortsetzen will. Dann wäre ein Wahltermin im Frühjahr sogar günstiger als ein Wahltermin im Herbst, der auf jeden Fall die Haushaltsaufstellung für das Folgejahr behindert.
Haushalterische Folgen des Koalitionsbruchs: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55876 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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