Kabinett beschließt Gesetzentwurf: Ver­fas­sungs­be­schwerde künftig auch elek­tro­nisch

24.08.2023

Während an anderen Gerichten seit 2022 der elektronische Rechtsverkehr gilt, müssen Verfassungsbeschwerden noch auf dem Postweg nach Karlsruhe gelangen. Damit ist bald Schluss: Bürger dürfen, Anwälte müssen bald elektronisch übermitteln.

Verfassungsbeschwerden soll man künftig auch digital einreichen können. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den die Ampelkoalition am Mittwoch auf den Weg gebracht hat. "Niemand muss mehr Brief oder Fax nutzen, um sich an das höchste deutsche Gericht zu wenden", verkündete Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die "gute Nachricht" auf Twitter. Damit setzt das Kabinett Buschmanns Referentenentwurf (RefE) im Wesentlichen unverändert um.

Der Regierungsentwurf (RegE) eines Gesetzes "zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs mit dem Bundesverfassungsgericht" schafft die Möglichkeit, Schriftsätze als elektronische Dokumente beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einzureichen. Bürger, Unternehmen und Verbände dürfen diese Möglichkeit nutzen, müssen es aber nicht. Allein Anwälte und Behörden werden dazu verpflichtet.

Anwaltliche Schriftsätze unterliegen bereits seit Januar 2022 der Pflicht, mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) übermittelt zu werden. Für Verfassungsbeschwerden gilt das bislang nicht. Das soll sich nun ändern. Die Pflicht zur Nutzung des beA soll – wie bei anderen Gerichten auch – nur entfallen, wenn sie "aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich" ist, so der neu geplante § 23c Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG).

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) sieht hierin eine Entlastung der Anwaltschaft: "Bei Urteilsverfassungsbeschwerden gilt eine Monatsfrist. Die Anforderungen zur Substantiierung sind relativ hoch. Umfangreiche Verfassungsbeschwerden wurden bisher oft einem Boten übergeben, der dann nach Karlsruhe gefahren ist. Das wird mit der elektronischen Einreichung nicht mehr nötig sein", so Rechtsanwalt Dr. Sebastian Nellesen, Mitglied im Ausschuss Verfassungsrecht im DAV. Weitere Arbeitserleichterung werde dadurch erreicht, dass das Gericht im Fall einer elektronischen Einreichung eines Schriftsatzes keine physischen Abschriften mehr anfordern kann (§ 23 Abs. 3 S. 2 BVerfGG-E). Das hatte der RefE noch nicht vorgesehen. "Es ist erfreulich, dass der Gesetzgeber hier eine Anregung des DAV umgesetzt hat", so Nellesen.

Erleichterung nur für Bürger mit De-Mail oder qualifizierter e-Signatur

Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sieht eine Vereinfachung des Verfahrens: "Gerade in zeitkritischen Phasen, etwa kurz vor einer mündlichen Verhandlung, ist die gegenwärtige Praxis schlicht zu langsam. Allerdings werden viele Verfassungsbeschwerden und erst recht andere Verfahren nicht von Rechtsanwält:innen geführt. Ob sich also im Alltag so viel ändern wird, bleibt abzuwarten", so Dr. Bijan Moini, Legal Director der GFF.

Damit spricht er den Umstand an, dass nur ein Teil der Beschwerdeführer anwaltlich vertreten sind, laut Jahresbericht des BVerfG für 2022 nur rund 38 Prozent. Da beim BVerfG kein Anwaltszwang herrscht, können Bürger auch selbständig den Gang nach Karlsruhe antreten, um eine Grundrechtsverletzung durch den Staat zu rügen.

Zu Fuß gehen mussten sie dabei bislang tatsächlich – zum Briefkasten. Einzige Alternative: das Fax. Das wird künftig nicht mehr nötig sein – aber nur für die wenigen, die ein De-Mail-Konto haben. Denn der Entwurf sieht keine Einreichung per normaler E-Mail vor; vielmehr nimmt das BVerfG künftig am elektronischen Rechtsverkehr teil. Das bedeutet: Die Verfassungsbeschwede "muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden", wie es der geplante § 23a Abs. 3 BVerfGG formuliert.

"Sichere Übermittlungswege" – da ist die deutsche Rechtsordnung streng: Darunter fallen nur das De-Mail-Konto, das beA, spezielle Behörden- oder Gerichtspostfächer und andere staatlich zertifizierte Kommunikationswege. Um De-Mail nutzen zu können, muss man sich bei einem De-Mail-Anbieter registrieren, wobei die Identität anhand des Personalausweises oder Reisepasses nach einem bestimmten Verfahren geprüft wird. Wie man das macht, ist vielen nicht bekannt. Gleiches gilt für die Erstellung einer qualifizierten elektronischen Signatur. Wer beides nicht nutzt, wird also entgegen Buschmanns froher Kunde auch in Zukunft Brief oder Fax nutzen müssen.

Akteneinsicht weiterhin nur persönlich in Karlsruhe?

Der mit dem RegE geplante § 23e BVerfGG-E will dem BVerfG außerdem die elektronische Aktenführung ermöglichen. Solange am BVerfG eine Papierakte geführt wird, müssten elektronisch eingereichte Schriftsätze in der Regel wieder ausgedruckt werden. Die digitale Aktenführung sei vom BVerfG ohnehin gewünscht, heißt es in der Begründung des Entwurfs. Die Umstellung erfordert jedoch umgekehrt, dass "in Papierform vorliegende Aktenteile eingescannt werden" (§ 23e Abs. 2 BVerfGG-E).

Zur Einsicht in elektronisch geführte Akten äußert sich der Entwurf indes nicht. Bislang können die Akten nur vor Ort in Karlsruhe eingesehen werden. Soll das auch bei der E-Akte so bleiben? "Wir hatten vorgeschlagen, ins BVerfGG aufzunehmen, dass die Akteneinsicht auch elektronisch erfolgen kann. Das hat das Kabinett aber nicht übernommen", sagt DAV-Experte Nellesen.

Ein im Laufe der Ressortabstimmung in den RegE eingefügter Abs. 3 der geplanten Norm erleichtert für Forschungsvorhaben über "mögliche Auswirkungen des Nationalsozialismus auf das Bundesverfassungsgericht einschließlich seiner Mitglieder" den Zugriff der Forschenden auf "Entwürfe von Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, Arbeiten zu ihrer Vorbereitung" und ähnliche Dokumente des BVerfG. Die Schutzfrist, ab der diese Altunterlagen nach archivrechtlichen Bestimmungen zugänglich zu machen sind, wird von 60 auf 50 Jahre verkürzt. Das heißt: Forschende können bald Einsicht in interne Dokumente, die von Richtern oder anderen BVerfG-Mitarbeitern mit mutmaßlicher NS-Vergangenheit stammen, auch aus den 70er-Jahren und nicht nur aus den 50ern und 60ern verlangen.

mk/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Kabinett beschließt Gesetzentwurf: . In: Legal Tribune Online, 24.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52554 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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