Bereits 2016 hatte das BVerfG Teile des BKA-Gesetzes beanstandet. Jetzt sieht es erneut Änderungsbedarf. Die heimliche Überwachung auch von Kontaktpersonen von Verdächtigen verstoße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Das Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) muss erneut nachgebessert werden. Einzelne gesetzliche Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA) zur Datenerhebung und -speicherung sind teilweise verfassungswidrig, entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Unter anderem die heimliche Überwachung auch von Kontaktpersonen von Verdächtigen verstößt in der bisher geltenden Fassung gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Urt. v. 01.10.2024, Az. 1 BvR 1160/19).
Hauptsächlich ging es um die Weiterverarbeitung von personenbezogenen Daten, die das BKA im Rahmen der Terrorismusabwehr mit besonders eingriffsintensiven Mitteln erhoben hat. In diesem Zusammenhang stehen auch entsprechende Daten zu Personen, gegen die zwar nicht selbst ein Terrorismusverdacht besteht, die sich aber als sog. Kontaktperson in einem Näheverhältnis zum Verdächtigen befinden. Auch gegen diese Kontaktpersonen durfte das BKA bisher beispielsweise längerfristige Observationen durchführen oder Vertrauenspersonen bzw. verdeckte Ermittler einsetzen. Das ist verfassungswidrig, so das BVerfG.
Auch der Speicherung personenbezogener Daten setzte der Erste Senat Grenzen. Es gebe hier keine hinreichende Speicherschwelle. Die Eigenschaft als Beschuldigter allein lasse keinen belastbaren Schluss auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer relevanten Beziehung zu zukünftigen Straftaten zu, sagte BVerfG-Präsident und Senatsvorsitzender Stephan Harbarth. Es fehle zudem eine genügend ausdifferenzierte Regelung zur Speicherdauer.
Unter den Beschwerdeführenden sind unter anderem Rechtsanwältinnen, politische Aktivisten und Mitglieder der organisierten Fußball-Fanszene, die in Polizeidatenbanken gelandet waren. Maßgeblich unterstützt wurde die bereits 2019 erhobene Verfassungsbeschwerde vom Mainzer Sicherheitsrechtler Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M und von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).
Verwendung bereits erhobener Daten braucht neue Rechtfertigung
Die Beschwerdeführenden hatten sich unter anderem gegen die Befugnis des BKA zur heimlichen Überwachung von Kontaktpersonen mit besonderen Mitteln zum Zweck der Terrorismusabwehr (§ 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKAG) gewendet. Außerdem hatten sie die Regelungen zur Weiterverarbeitung bereits erhobener personenbezogener Daten im Informationssystem des BKA (§ 16 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 1 BKAG) sowie im polizeilichen Informationsverbund (INPOL, § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 BKAG) beanstandet. INPOL ist eine gemeinsame föderale Datenplattform der Polizeibehörden des Bundes und der Länder zum Austausch von Daten.
Schon auf der Ebene des Grundrechtseingriffs entschied der Senat, dass zwischen Datenerhebung einerseits und Weiterverarbeitung bzw. Speicherung zur weiteren Nutzung andererseits differenziert werden muss. Wenngleich die Eingriffe insoweit aufeinander bezogen seien, stelle die Verwendung bereits erhobener Daten einen eigenen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung dar. Deshalb müsse eine eigene verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Verwendung von Daten über den ursprünglichen Anlass hinaus erfolgen muss.
"Spezifische individuelle Nähe" der Kontaktperson zur Gefahr erforderlich
In Bezug auf § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKAG gelingt diese verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht, so der Erste Senat. Durch diese Norm ist das BKA befugt, auch bloße Kontaktpersonen überaus umfassend zu überwachen. Wenn insoweit beispielsweise Abhörmaßnahmen und verdeckte Ermittler gebündelt eingesetzt werden, könne damit "tief in die Privatsphäre" eingedrungen werden, so das BVerfG, womit ein besonderes Eingriffsgewicht einhergehe. Auch im Rahmen der Urteilsverkündung am Dienstag betonte BVerfG-Präsident Harbarth, dass Überwachungsmaßnahmen einen besonders schweren Eingriff darstellten.
Bei Maßnahmen gegen Kontaktpersonen müsste daher "spezifische individuelle Nähe der Betroffenen zu der aufklärenden Gefahr" vorliegen. Diesen Anforderungen genüge die entsprechende Regelung im BKA-Gesetz nicht.
Voraussetzung für die Rechtfertigung sei nämlich insoweit erstens, dass gegenüber der Person, zu der die Kontaktperson in einem Näheverhältnis steht, "eine wenigstens konkretisierte Gefahr für ein hinreichend gewichtiges Rechtsgut" besteht. Zweitens müsse die Kontaktperson sodann auch in spezifisch-individueller Nähe zu dieser Gefahr stehen.
Wenn schon nicht gegen Verdächtige, dann erst recht nicht gegen Kontaktpersonen
Jedenfalls muss, bevor auch Maßnahmen gegen Kontaktpersonen in Frage kommen, erst einmal die Überwachung des Verdächtigen zulässig sein, denn anderenfalls fehle es bereits an einer hinreichenden aufzuklärenden Gefahr, so das BVerfG. Jedoch sei die Eingriffsschwelle von § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKAG schon in Bezug auf tatsächlich Verdächtige nicht verfassungsgemäß, sodass auf Grundlage dieser Norm erst recht keine Überwachung von Kontaktpersonen zulässig sei.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung, die der Vertreter der Bundesregierung, der Augsburger Professor Dr. Matthias Rossi, in der mündlichen Verhandlung Ende 2023 noch gefordert hatte. Schon da hatte die berichterstattende Richterin Ines Härtel betont, dass die Anforderungen an die Normenklarheit bei derart eingriffsintensiven Maßnahmen besonders hoch sei.
Die Norm gilt daher mit der Maßgabe fort, dass sie nur zur Anwendung gelangt, wenn der Verdächtige, dem die Kontaktperson nahesteht (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 BKAG), eine der in § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 3 BKAG geregelten Voraussetzungen vorliegt.
Gesetzgeber hätte Speicherungsschwelle festlegen müssen
In Bezug auf die Regelung zur Weiterverarbeitung bereits erhobener personenbezogener Daten in § 16 Abs. 1 BKAG hat das BVerfG hingegen keine durchgreifenden Bedenken. In der "Zusammenschau mit den gesetzlichen Löschungsvorgaben" genüge die Norm den verfassungsrechtlichen Anforderungen, so der Senat. Dies war in der mündlichen Verhandlung noch ein Aspekt gewesen, zu dem der Senat etliche Fragen gestellt hatte und durchaus Zweifel an der Verständlichkeit und Bestimmtheit der Norm gezeigt hatte.
Wiederum verfassungswidrig ist § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, soweit dieser in Verbindung mit § 13 Abs. 3, § 29 BKAG die Speicherung zuvor erhobener personenbezogener Grunddaten (z.B. Name, Anschrift, Geburtsdatum) durch das BKA im INPOL erlaubt. Dabei ging es hier nur um die Bereitstellung, nicht aber den Zugriff auf die entsprechenden Daten.
Die vorsorgende Speicherung stelle regelhaft eine zweckändernde Weiterverarbeitung dar: In den meisten Fällen würden personenbezogene Daten zum Zweck der Verhütung und Verfolgung von Straftaten gespeichert, die ursprünglich zu anderen konkreten Zwecken erhoben worden sind, so das BVerfG.
Bemängelt werden insbesondere eine fehlende Speicherungsschwelle und fehlende Vorgaben zur Speicherdauer. Unabhängig von einer Negativprognose genügte bisher für die Speicherung personenbezogener Daten zur künftigen Straftatenverhütung und -verfolgung allein die Beschuldigteneigenschaft. "Auch wenn die Praxis des Bundeskriminalamts prognostische Elemente vor einer Speicherung berücksichtigt, ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Befugnis deren rechtliche Reichweite und nicht eine Behördenpraxis maßgeblich", so der Senat in seinem Urteil hierzu.
Allein innerbehördliche Vorgaben seien auch nicht ausreichend, den verfassungsrechtlichen Anforderungen zur Speicherdauer Genüge zu tun, so das BVerfG abschließend.
Nach großer Entscheidung 2016 nun "BKA-II"
Der Gesetzgeber muss jetzt bis spätestens 31. Juli 2025 neue Regelungen schaffen.
Die GFF zeigte sich zufrieden mit der Entscheidung. "Es ist eine gute Nachricht, dass die Gewaltenteilung funktioniert”, so Bijan Moini, Legal Director der GFF und Verfahrensbevollmächtigter.
Das BVerfG hatte unter anderem schon 2016 zu den umfangreichen Befugnissen der Sicherheitsbehörden geurteilt – und sie teils für verfassungswidrig erklärt. Das BKAG musste deshalb nachgebessert werden und ist in seiner neuen Fassung seit Mai 2018 in Kraft.
Moini verweist auch auf das geplante Sicherheitspaket der Ampel, das u.a. Änderungen im Waffenrecht, neue Polizeibefugnisse und Anpassungen im Aufenthaltsrecht vorsieht: "Gerade liegt mit dem Sicherheitspaket erneut ein Gesetz im Bundestag, das tiefgreifende Verschärfungen im Sicherheitsrecht vorsieht – wieder einmal weit über die Grenzen des Grundgesetzes hinaus. Aus Respekt vor der Verfassung müssen diese grundrechtswidrigen Verschärfungen dringend zurückgestutzt werden – bevor es das Bundesverfassungsgericht wieder tut", so Moini.
Mit Material der dpa
BVerfG zur Verfassungsbeschwerde der GFF: . In: Legal Tribune Online, 01.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55538 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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