Der BGH hat schon darauf hingewiesen: Wer als Anwalt eine weitere Kanzlei einrichtet, erhält für diese zwar sofort ein freigeschaltetes beA, kann aber Posteingänge mangels Zugangs noch nicht prüfen. Das BMJ sieht keinen Handlungsbedarf.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat kürzlich eine Entscheidung veröffentlicht, die den Umgang von Anwälten mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) betrifft (Beschl. v. 30.7.2024, AnwZ (Brfg) 13/24). Sie betrifft Anwälte, die eine weitere Kanzlei gründen wollen. Konkret ging es um eine Vorschrift der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). In § 31a Abs. 7 BRAO ist geregelt, dass die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) für jede weitere Kanzlei, die ein Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt betreibt, ein eigenes neues beA-Postfach einrichten muss.
Praktisch funktioniert das so, dass die regionale Anwaltskammer am bisherigen Kanzleisitz die Tatsache der Eröffnung einer weiteren Kanzlei elektronisch der BRAK mittteilt. Diese richtet dann das neue beA-Postfach ein, für das der Anwalt oder die Anwältin natürlich auch eine neue weitere beA-Karte benötigt. Die für den Zugang zum Postfach erforderliche SafeID (der Zugangscode) wird nach der Einrichtung dem Rechtsanwalt mitgeteilt und zugleich im bundesweiten Anwaltsverzeichnis veröffentlicht.
Nachrichten können tagelang nicht gelesen werden
Ab diesem Zeitpunkt können Dritte bereits Nachrichten an das neue Postfach senden. Demgegenüber muss der Inhaber des Postfachs für den Zugang zum Postfach erst bei der von der BRAK damit beauftragten Bundesnotarkammer die beA-Karte beantragen, die dann auf dem Postweg (Karte und Geheimzahl getrennt und mit zeitlichem Abstand) zugesandt wird.
Das Problem nun: Bis der Anwalt für die neue Kanzlei alles beisammenhat und auf sein Postfach zugreifen kann, geht Zeit ins Land. Im Zweifel bis zu zehn Tagen. In der Zwischenzeit können aber in dem Postfach schon wichtige, etwa fristrelevante Nachrichten eingehen, ohne dass die Anwältin oder der Anwalt die Möglichkeit hat, sich diese anzusehen, weil er oder sie ja noch keinen Zugang hat.
Bei einer Neuzulassung, wenn die Berufsträger zum ersten Mal ein beA-Postfach bekommen, ist das anders: Dann erhält die Anwältin oder der Anwalt bereits vor der Zulassung die SafeID, kann also auch schon vor der Zulassung die beA-Karte beantragen und bekommt diese auch fast immer, bevor er zugelassen wird. Dadurch besteht dann die Möglichkeit, sofort nach der Zulassung auf die Posteingänge zuzugreifen. Nur bei einer weiteren Kanzlei läuft das eben anders.
Ein Frankfurter Rechtsanwalt hatte deshalb vor dem Anwaltsgerichtshof (AGH) Berlin die BRAK unter anderem mit dem Antrag verklagt, ihm unmittelbar nach der Freischaltung des Postfachs die Möglichkeit zu eröffnen, Informationen darüber zu erhalten, dass und von wem Nachrichten in dem neuen Postfach eingegangen sind. Denn er wolle weitere Kanzleisitze eröffnen und habe daher ein Feststellungsinteresse für seine Klage. Doch sowohl der AGH Berlin wie auch der Anwaltssenat des BGH folgten dem Ansinnen des Anwalts nicht.
BGH: "Situation unbefriedigend"
Allerdings erkannte der Anwaltssenat des BGH in seinem ungewöhnlich langen Nichtannahmebeschluss nicht nur das Problem des Anwalts an, sondern meldete auch erhebliche Zweifel an der bisherigen Praxis und Rechtslage an: "Der Senat verkennt nicht, dass die Einrichtung eines empfangsbereiten beA für eine weitere Kanzlei ohne sofortige Zugriffsmöglichkeit des Rechtsanwalts auf den Inhalt des beA keine Ideallösung ist, weil dort Dokumente eingehen können, die der Rechtsanwalt für einen begrenzten Zeitraum (bis zum Erhalt der beA-Karte) nicht einsehen und auf die er daher auch noch nicht reagieren kann."
Und auch wenn Anwälten bzw. den von ihnen vertretenen Parteien in derartigen Fällen bei Fristversäumnis die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne, sei die Situation unbefriedigend. Und: "Ein System, das eine erst spätere und gegebenenfalls nicht fristgerechte Kenntnisnahme von in dem neuen beA eingegangenen Dokumenten zur Folge hat, ist (…) mit der in § 31a Abs. 6 BRAO bestimmten Pflicht des Rechtsanwalts, den Zugang von Mitteilungen über das besondere elektronische Anwaltspostfach zur Kenntnis zu nehmen, nicht leicht in Einklang zu bringen", so der BGH.
Für den Gesetzgeber bzw. das Bundesjustizministerium hatte das Gericht daher eine Empfehlung parat: "Insofern erscheinen - de lege ferenda - insbesondere Änderungen des Verfahrens zur Einrichtung eines empfangsbereiten beA im Falle der Errichtung einer weiteren Kanzlei erwägenswert, die dem Rechtsanwalt zeitgleich mit der Empfangsbereitschaft eines solchen beA die Kenntnisnahme von dort eingegangenen Dokumenten ermöglichen."
BMJ: Anwalt müssen sich vorbereiten
Gefruchtet hat dieser Appell nun nicht: Denn trotz der unmissverständlichen Empfehlung aus Karlsruhe sieht das BMJ keine Notwendigkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden. Auf Anfrage von LTO verweist eine Sprecherin des Ministeriums zunächst darauf, dass dem Rechtsanwalt die Regelung des § 31a Abs. 7 BRAO bekannt sein müsse und er sich darauf einzurichten habe.
Und dann weist das BMJ daraufhin, dass es bereits eine technische Lösung gebe. Diese hätten BRAK gemeinsam mit den regionalen Rechtsanwaltskammern für derartige Fälle vorgesehen: So könne der Anwalt bei der Erstregistrierung seines Postfachs Karten gleich für weitere Kanzleien, die er zu eröffnen plant, mitbestellen - ohne dass das weitere beA bereits eröffnet sein müsse.
Dem Rechtsanwalt, der die weitere Kanzlei errichten möchte, werde dann zum Zwecke der Bestellung der beA-Karte die für das beA vorgesehene SAFE-ID mitgeteilt. Über die bevorstehende Errichtung einer weiteren Kanzlei müsse der Anwalt seine Rechtsanwaltskammer dann mindestens 10 bis 14 Tage vorher informieren, damit Karte und PIN ihn auch tatsächlich auch rechtzeitig erreichten.
Das BMJ verlangt also vom Rechtsanwalt, dass er eine weitere Kanzlei mit einem deutlichen zeitlichen Vorlauf einrichtet und alles dafür in die Wege leitet. Dieser Handhabung, so das BMJ weiter, stehe auch § 27 Absatz 2 BRAO nicht entgegen. Danach muss der Kammer über die Errichtung einer weiteren Kanzlei allerspätestens zu dem Zeitpunkt eine Mitteilung gemacht werden muss, in dem diese eröffnet wird. Anderenfalls liegt hierin eine Berufspflichtverletzung. Die Norm stehe einer früheren Mitteilung der beabsichtigten Eröffnung mit dem Ziel, Verzögerungen beim Zugriff auf das beA zu vermeiden, nicht entgegen, schreibt das BMJ.
BRAK sollte Regelung einfordern
Dass das für das anwaltliche Berufsrecht zuständige BMJ die Anregung des BGH derart "nonchalant" bei Seite wischt, überrascht. Und der Hinweis, die Anwälte müssten die Vorschrift des § 31 Abs.7 BRAO doch kennen und sich darauf einstellen, geht an der Praxis vorbei: Denn kaum einer der rund 165.000 deutschen Rechtsanwälte dürfte diese Regelung gekannt haben, bevor ihr Frankfurter Kollege darauf aufmerksam geworden ist.
Die Anwälte darauf zu verweisen, für einen wochenlangen Vorlauf zu sorgen, kann jedenfalls nicht die Lösung des Problems sein. Es wäre daher gut, wenn sich zumindest die BRAK die Empfehlung des BGH zu Herzen nimmt und eine praktikable Regelung beim BMJ einfordert.
Probleme beim elektronischen Anwaltspostfach für weitere Kanzlei: . In: Legal Tribune Online, 14.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55623 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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