Trotz geringer Zustimmung vor Ort: To­des­stra­fe für Marathon-At­ten­tä­ter von Boston

18.05.2015

Zwölf Wochen hat der Prozess gegen Dschochar Zarnajew die Bewohner Bostons in Atem gehalten, seit Freitag steht das Todesurteil fest. Ausgerechnet die Bewohner Bostons lehnen die Todesstrafe für Zarnajew jedoch mit gewaltiger Mehrheit ab.

Am Ende ging alles ganz schnell. Nur etwa 14 Stunden Beratungszeit, verteilt auf drei Tage, brauchten die Geschworenen in Boston, um über das Schicksal von Dschochar Zarnajew zu entscheiden, einem der beiden Drahtzieher des Bombenattentats auf den Marathon in Boston im April 2013. Der andere Täter, sein Bruder Tamerlan Zarnajew, war wenige Tage nach dem Anschlag in einer Auseinandersetzung mit der Polizei gestorben. Dschonar gelang zunächst die Flucht, doch auch er wurde bald darauf aufgespürt und verhaftet. Bei der Explosion in der US-Metropole waren drei Menschen getötet und 260 verletzt worden. Nun soll der noch lebende Täter per Giftspritze hingerichtet werden.

Kurz vor der Verkündung ist die Stimmung Berichten aus dem Saal zufolge angespannt. Still kehren Staatsanwälte, Verteidiger und Beobachter an ihre Plätze zurück, als am Freitagnachmittag (Ortszeit) fest steht, dass die zwölfköpfige Jury ihre Entscheidung gefällt hat. "Das einzige Geräusch ist das Tastatur-Geklapper der Journalisten. Unheimlich", twittert ein Reporter des Boston Globe.

Vertreter aller Seiten, die von dem schwersten Anschlag auf US-Boden seit dem 11. September 2001 betroffen sind, nehmen im Saal Platz, darunter auch der zuständige FBI-Agent und die Eltern des achtjährigen Jungen, der bei der Explosion ums Leben kam. Auch Polizeichef Ed Deveau ist da, der keinen Tag des viel beachteten Prozesses verpasste.

Hinrichtung durch Giftspritze

Zarnajew sitzt wie im Verlauf des gesamten Prozesses ruhig an seinem Platz, flankiert von seinen Verteidigerinnen Judy Clarke und Miriam Conrad. Der 21-Jährige trägt wie gewohnt ein Hemd mit Kragen und ein dunkles Jackett, wie Reporter berichten. Als die Geschworenen den Saal betreten, übergibt eine Jury-Vertreterin dem Gerichtsbediensteten einen Umschlag, der ihn an Richter George O'Toole weiterreicht. Zarnajew steht nun, blickt nach unten und faltet seine Hände. Die Geschworenen scheinen ihn nicht direkt ansehen zu wollen.

Und dann folgt das Strafmaß. Zarnajew soll mit einer Giftspritze hingerichtet werden, weil er zwei Menschen mit der von ihm abgestellten Schnellkochtopf-Bombe tötete. Das dritte Opfer starb durch den Sprengsatz seines älteren Bruders Tamerlan. Die Geschworenen entscheiden sich dagegen, Zarnajew auch wegen der Tötung des Polizisten Sean Colliers zum Tode zu verurteilen.
Letztlich reicht aber die Einigkeit der Jury in einem von 17 Anklagepunkten, auf die die Todesstrafe steht.

Wer glaubt, die Stadt atme nun erleichtert auf, liegt falsch. Nicht nur die Eltern des getöteten Achtjährigen hätten darauf gedrängt, von einer Hinrichtung Zarnajews abzusehen. Denn nun dürfte ein womöglich jahrelanger Berufungsprozess beginnen, der das Geschehene immer wieder ins Bewusstsein der Bewohner von Boston rücken wird.

Mehrheit in Boston gegen Todesstrafe

Massachusetts' Gouverneur Charlie Baker sieht das anders: "Ich hoffe, dies entspricht irgendeiner Art von Abschluss für all diejenigen, die von dieser Tragödie betroffen sind." Er habe selbst eine Frau und drei Kinder, sagt der Republikaner, der die Todesstrafe befürwortet und auch im Fall des Boston-Bombers dafür plädierte. "Wenn Sie am falschen Ort zur falschen Zeit am falschen Tag stehen", könnten sich die Dinge auf eine so schreckliche Weise entwickeln, wie man es nie für möglich gehalten habe.

Auch aus Sicht der US-Regierung kehrt nun Gerechtigkeit ein. Der Attentäter habe einen fairen Prozess bekommen, sagt Staatsanwältin Carmen Ortiz. Zarnajew habe "kalt und gefühllos einen Terroranschlag verübt", teilt Justizministerin Loretta Lynch mit. Kein Strafmaß könne das Leid der Opfer lindern. "Aber die höchste Strafe ist eine angemessene Ahndung für dieses schreckliche Verbrechen."

Einer Umfrage des Boston Globe zu Folge sind die meisten Bürger Bostons gegen die Verhängung der Todesstrafe für Zarnajew. Gerade einmal15 Prozent sprachen sich dafür aus, im ganzen Staat Massachusetts sind es lediglich 19 Prozent. Landesweit gesehen haben sich aber 60 Prozent der Amerikaner für die Todesstrafe gegen den Attentäter ausgesprochen.

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Trotz geringer Zustimmung vor Ort: . In: Legal Tribune Online, 18.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15557 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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