SG Berlin zur Anrechnung von Verpflegung: Keine Hartz IV-Kür­zung für Wurst­ver­käu­fe­rin auf Diät

25.06.2015

Stellt der Arbeitgeber Pausenverpflegung zur Verfügung, dürfe deswegen nicht pauschal der Hartz-IV-Satz gekürzt werden. Insbesondere gelte das, wenn man das Essen wegen einer Diät überhaupt nicht verzehrt, entschied das SG Berlin.

Das Jobcenter Reinickendorf hatte einer Frau, die als Verkäuferin bei einem Berliner Betrieb für Fleisch- und Wurstwaren arbeitete, auf den Arbeitslosengeld (ALG) II-Anspruch eine Pauschale von monatlich zwischen rund 35 und 50 Euro für die Pausenverpflegung angerechnet, die der Arbeitgeber seinen Angestellten zur Verfügung stellte.

Dagegen klagte die Frau. Schließlich habe sie die zur Verfügung gestellten Speisen gar nicht gegessen. Aus gesundheitlichen Gründen habe sie viel abgenommen und sehr auf ihre Ernährung geachtet. Das Essen – viel Fleisch, Wurst, Salate mit Mayonnaise - sei jedoch sehr fett und kohlenhydratreich gewesen. Dass trotzdem eine Pauschale angerechnet werde, verletze sie daher in ihren Persönlichkeitsrechten.

Die ALG II-Verordnung gibt in § 2 Abs. 5 allerdings grundsätzlich vor, dass die sogenannte Verpflegungspauschale zusätzlich zum ausgezahlten Erwerbseinkommen - in ihrem Fall monatlich rund 1.000 Euro - angerechnet wird.

SG: Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt

Das Sozialgericht (SG) Berlin gab der Frau in seinem am Donnerstag veröffentlichten Urteil Recht (Urt. v. 23.03.2015, Az. S 175 AS 15482/14). Die entsprechende Vorschrift der ALG II-Verordnung zur Anrechnung von Verpflegung verstoße gegen höherrangiges Recht. Sie beachte nicht, dass nach dem Grundprinzip der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine abschließend pauschalierte Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gewährt werde - die sogenannte Regelleistung. Eine aufwendige individuelle Bedarfsermittlung sei daneben weder zugunsten noch zulasten der Leistungsempfänger vorgesehen. Die pauschalierte Regelleistung solle gerade die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Hilfeempfänger fördern. Sei ein bestimmtes Bedürfnis aber nicht vorhanden, dürfe dies nicht zum Leistungsentzug führen.

Selbst aber wenn man die Wirksamkeit der Vorschrift unterstellen würde, hätte sie einschränkend ausgelegt werden müssen. Unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts und der allgemeinen Handlungsfreiheit der Leistungsbezieher könne eine Anrechnung von Verpflegung nur erfolgen, wenn sie auch tatsächlich verzehrt worden ist. Das Normverständnis des Jobcenters, das allein auf die Bereitstellung der Verpflegung abstelle, beeinträchtige die Betroffenen in ihrer grundrechtlich geschützten Entscheidungsfreiheit. Es sei zu respektieren, wenn Leistungsempfänger auf angebotene Verpflegung verzichteten, zum Beispiel aufgrund religiöser Speisevorschriften, aus gesundheitlichen oder ethisch-moralischen Gründen.

Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

age/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

SG Berlin zur Anrechnung von Verpflegung: . In: Legal Tribune Online, 25.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15986 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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