Die Polizei hielt einen Motorradfahrer für einen gefährlichen Verkehrssünder und stellte präventiv sein Fahrzeug sicher. Das OVG entschied jedoch: Die Voraussetzungen dafür, dass die Polizei ein Fahrzeug einkassieren darf, sind sehr hoch.
Grundsätzlich darf die Polizei Gegenstände auch präventiv sicherstellen, wenn nur so eine gegenwärtige Gefahr abgewendet werden kann. An die Gefahrenprognose sind aber hohe Anforderungen zu stellen. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutung genügen nicht. So ist auch der reine Verdacht, ein Motorradfahrer könnte in Zukunft an illegalen Straßenrennen teilnehmen, nicht ausreichend, um die präventive Sicherstellung seines Fahrzeugs zu rechtfertigen, hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz entschieden (Urt. v. 30.04.2024, Az. 7 A 10988/23.OVG).
Im Februar 2022 hatten Polizeibeamte beobachtet, wie zwei Motorradfahrer mit überhöhter Geschwindigkeit über eine Ampel fuhren. Etwa 80 bis 100 Kilometer pro Stunde müsste der Tacho angezeigt haben, so schätzten die Beamten. Die Motorräder seien an ihnen förmlich "vorbeigeschossen". Dabei waren dort nur 50 Kilometer pro Stunde erlaubt. Nach Einschätzung der zwei Beamten lag damit ein illegales Straßenrennen gemäß § 315d Strafgesetzbuch (StGB) vor.
Bei der anschließenden Verkehrskontrolle stellten die Beamten fest, dass gegen einen der Fahrer zwei Jahre zuvor schon einmal ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines illegalen Straßenrennens lief. Sie stellten sein Motorrad daher nach § 22 Nr. 1 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes Rheinland-Pfalz (POG) zur Gefahrenabwehr präventiv sicher.
Der Motorradfahrer hatte gegen die Sicherstellung Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße eingelegt – ohne Erfolg. Das VG war überzeugt, die Polizisten seien zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass von dem jungen Mann eine gegenwärtige Gefahr ausgehe, die die Sicherstellung seines Motorrads rechtfertige.
Verkehrskontrolle hinterlässt bei den Kontrollierten Eindruck
Das OVG Rheinland-Pfalz ließ sich von der Argumentation der Vorinstanz jedoch nicht überzeugen. Selbst wenn das von den Polizisten beobachtete Verhalten den Tatbestand des § 315d StGB erfüllen sollte, sei die dadurch entstandene Gefahr durch die Verkehrskontrolle bereits gebannt gewesen. Tatsächliche Anhaltspunkte, dass der Motorradfahrer in Zukunft erneut an illegalen Straßenrennen teilnehmen oder in sonstiger Weise den Straßenverkehr gefährden werde, hätten darüber hinaus nicht vorgelegen, so das OVG. Somit entfalle auch die Grundlage für eine präventive Sicherstellung des motorisierten Zweirads.
Das OVG stellte zudem klar, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden muss, Verkehrsteilnehmer ließen sich von Maßnahmen durch die Polizei von erneuten Regelverstößen abhalten. Die Prognose, dass jemand tatsächlich uneinsichtig sein werde, müsse durch besondere Umstände im Einzelfall dargelegt werden. Solche Umstände lagen in diesem Fall allerdings nicht vor, so das OVG. Weder sei der Motorradfahrer etwa alkoholisiert gewesen, noch habe er sich den Anweisungen der Polizisten während der Kontrolle widersetzt.
Hochmotorisiertes Motorrad lädt nicht automatisch zu Straßenverkehrsdelikten ein
Auch die bloße Tatsache, dass der Mann mit einem "durchaus hochmotorisiertem" Fahrzeug unterwegs war, wie einer der Polizeibeamten später formulierte, lasse nicht darauf schließen, er werde dieses zur Begehung von weiteren Straßenverkehrsdelikten nutzen, so das OVG. Das VG Neustadt hatte noch ausgeführt, die Polizisten hätten davon ausgehen dürfen, dass das Motorrad den Fahrer in dieser Form zu weiteren Delikten geradezu einlade.
Dass in der Vergangenheit schon einmal ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines illegalen Straßenrennens gegen ihn lief, ändere an der Gefahrenprognose ebenfalls nichts, betonte das OVG. Der Anfangsverdacht einer Straftat genüge regelmäßig nicht, um anzunehmen, dass es ohne die Sicherstellung zeitnah mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu weiteren illegalen Straßenrennen oder anderen Straßenverkehrsdelikten komme. "Die Sicherstellung nach § 22 Nr. 1 POG ist weder ein Mittel der Gefahrenvorsorge, noch ermächtigt sie zur repressiven, der Sanktionierung des Beschuldigten eines Straßenverkehrsdelikts dienenden Wegnahme von Fahrzeugen", heißt es dazu in dem Urteil des OVG.
Die Sicherstellung des Motorrads sei insofern von Anfang an rechtswidrig gewesen. Die Polizei muss das Fahrzeug daher an den Motorradfahrer herausgeben. Ein gegen den Fahrer eingeleitetes Strafverfahren ist zwischenzeitlich nach § 153a Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden.
lmb/LTO-Redaktion
OVG zur präventiven Sicherstellung bei Verkehrsdelikten: . In: Legal Tribune Online, 06.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55091 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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