OVG NRW zur Totenwürde: Nicht­jüdin darf auf jüdi­schem Friedhof beer­digt werden

03.01.2017

Das OVG NRW hat entschieden, dass die nichtjüdische Ehefrau eines jüdischen Gemeindemitglieds auf dem Friedhof der Gemeinde bestattet werden darf. Die nachträgliche Änderung der Friedhofssatzung stehe dem nicht im Wege.

Eine jüdische Kultusgemeinde darf auf ihrem Friedhof ein Grabnutzungsrecht eines überlebenden Ehegatten nachträglich nur beschränken, wenn sie dabei die Totenwürde des dort bereits beerdigten Ehegatten angemessen berücksichtigt. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen entschieden (Beschl. v. 03.01.2016, Az. 19 A 1970/14).

Kläger waren die Kinder eines im Jahre 1996 verstorbenen Essener Juden. Er hatte für sich und seine nichtjüdische Ehefrau, die Stiefmutter der Kläger, 1971 bei der beklagten jüdischen Kultusgemeinde gegen Zahlung einer Gebühr ein Doppelgrab auf deren jüdischem Friedhof in Essen reservieren lassen. Die Gemeinde hatte ihm die Reservierung damals schriftlich mit dem Zusatz "trotzdem Ihre Gattin Nichtjüdin ist" bestätigt. Der Mann wurde 1996 in dem Doppelgrab beerdigt.

Totenwürde hat Vorrang

Nach dem Tod seiner Ehefrau 2011 lehnte die Gemeinde deren Bestattung in der freien Doppelgrabstelle mit der Begründung ab, der Friedhof sei seit Inkrafttreten der Friedhofssatzung im Jahr 1998 Mitgliedern vorbehalten. Die Gemeinde vertrete seitdem eine streng orthodoxe Ausrichtung ihres jüdischen Glaubensrechts, der der Bestattung der Ehefrau widerspreche. Um die Bestattungsfrist einzuhalten, ließen die Stiefkinder die Bestattung zunächst auf einem städtischen Friedhof vornehmen und verklagten die Kultusgemeinde.

Das OVG hat den Kindern nun einen Anspruch zugesprochen, ihre Stiefmutter neben ihrem Vater bestatten zu lassen. Die Kultusgemeinde verstoße mit der Ablehnung offensichtlich gegen die Totenwürde beider Eheleute, in der sich ihre Menschenwürde als oberstes Verfassungsprinzip nach dem Tod fortsetze. Beide hätten mit dem Erwerb des Grabnutzungsrechts den Wunsch artikuliert, in dem erworbenen Doppelgrab als Eheleute gemeinsam die letzte Ruhe zu finden. Dieser Belang habe unter den Umständen des vorliegenden Einzelfalles Vorrang vor dem ebenfalls besonders hoch zu gewichtenden Schutz des Selbstverwaltungsrechts der Kultusgemeinde, entschied das Gericht am Dienstag.

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

OVG NRW zur Totenwürde: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21655 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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