Die einfache Regel "Wer auffährt, hat Schuld" gilt nicht für Kettenauffahrunfälle. Dies hat das OLG Hamm in einem am Dienstag bekannt gegebenen Urteil entschieden. Anders als bei gewöhnlichen Zusammenstößen könne sich ein Verschulden nicht durch den Beweis des ersten Anscheins ergeben.
In Zweierkonstellationen ist die Sache oft klar: Wer auffährt, hat in der Regel den Sicherheitsabstand nicht eingehalten und somit Schuld - zumindest spricht dafür der Beweis des ersten Anscheins. Bei Kettenauffahrunfällen stellt sich die Lage nach Einschätzung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm jedoch komplizierter dar.
Vor dem Gericht stritten zwei Unfallbeteiligte über ihren jeweiligen Verschuldensgrad in einem Kettenauffahrunfall, der sich 2011 in Gronau ereignet hatte. Die Beklagte war in den vor ihr fahrenden PKW des Klägers geprallt. Dieser verlangte Ersatz des vollen Heckschadens in Höhe von etwa 5.300 Euro. Sein eigenes Fahrzeug wiederum sei erst durch den Aufprall von hinten mit dem vor ihm fahrenden Wagen kollidiert.
In diesem Fall greife der Beweis des ersten Anscheins nicht, befand das OLG in seiner Entscheidung (Urt. v. 06.02.2014, Az. 6 U 101/13). Der typische Geschehensablauf, wie er bei Auffahrunfällen normalerweise anzunehmen sei, liege hier nicht vor. Es stehe nämlich nicht fest, ob das Fahrzeug des Klägers tatsächlich rechtzeitig abgebremst habe und erst durch die von hinten kommende Kollission mit dem Vordermann des Klägers kollidiert sei, oder ob nicht vielmehr der Kläger zunächst seinem Vordermann aufgefahren sei, wodurch sich der Bremsweg für die Beklagte so sehr verkürzt hätte, dass ihr aus ihrem eigenen Auffahren kein Vorwurf zu machen wäre. Da sich diese Frage nicht aufklären lasse, müsse die Haftungsquote anhand der - gleich hohen - Betriebsgefahr der Fahrzeuge festgelegt werden. Der Anspruch des Klägers bestehe demnach nur in halber Höhe.
una/LTO-Redaktion
OLG Hamm zu Massenkarambolage: . In: Legal Tribune Online, 01.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11514 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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