Ein gepfändeter Hund, der schlechte Augen hat, machte international Schlagzeilen. Am Montag ging der juristische Streit vor dem OLG Hamm voraussichtlich endgültig zu Ende – und erscheint auf einmal gar nicht mehr so witzig.
"Als wir vor einer Woche einen Fall um Biogemüse mit Millionenstreitwert verhandelten, hat das niemanden interessiert. Heute geht es um Mops 'Edda' und die Zuschauerreihen sind voll." Humorig eröffnet Dr. Kappel, stellvertretender Vorsitzender des 2. Senats am Oberlandesgericht (OLG) Hamm, die Berufungsverhandlung im Fall des Mopses "Edda", für die eine zusätzliche Stuhlreihe in Saal B.307 des OLG aufgebaut worden war.
Die Stadt Ahlen hatte den Hund 2018 von einer Schuldnerin gepfändet, ein Vollziehungsbeamter verkaufte das Tier daraufhin über Ebay-Kleinanzeigen. Der Fall machte international Schlagzeilen, es ging unter anderem um Betrugsvorwürfe gegenüber dem Vollziehungsbeamten, einen Befangenheitsantrag gegen einen Mops-Gutachter und einen Shitstorm für die Stadt Ahlen, wie sie das Tier überhaupt habe pfänden können.
Vor allem aber ging es um Schadensersatzansprüche von Eddas neuem Frauchen, Michaela Jordan, die Edda zwischenzeitlich in "Wilma" umgetauft hat. Denn Edda hat schlechte Augen, gleich mehrere Erkrankungen plagten und plagen das Tier bis heute. Deswegen hat Jordan eigenen Angaben zufolge bereits mehrere Tausend Euro in Eddas Wohlergehen gebuttert, die sie von der Stadt Ahlen beziehungsweise dem Vollziehungsbeamten erstattet haben möchte. Schließlich sei ihr der Hund in der Ebay-Kleinanzeige als "kerngesund" angepriesen und letztlich verkauft worden.
Eddas lange Krankenakte
Einen Kaufvertrag schloss Jordan mit der Stadt Ahlen am 6. Dezember 2018. Der führte letztlich dazu, dass das Landgericht (LG) Münster im April 2023 entschied: Jordan bekommt wenige Hundert Euro von der Stadt Ahlen, weil der Hund entgegen der anderslautenden Ebay-Kleinanzeige zum Zeitpunkt der Übergabe nicht geimpft war und unter Distichien litt. Das sind zusätzliche Wimpern, die ins Auge hineinwachsen und Beschwerden verursachen – "kerngesund" war Edda nach Auffassung des LG damit nicht. Es verpflichtete die Stadt zudem, für alle Zukunftsschäden aufzukommen, die die Distichien verursachen.
Den Großteil der Kosten verursachen aber weitere Erkrankungen, unter denen Edda bis heute leidet. Zum einen Keratoconjunctivitis sicca (kurz: KCS, umgangssprachlich: "trockenes Auge"), zum anderen ein Hornhautdefekt nebst Pigmentfleck im Auge, der sich immer weiter vergrößert und Edda mittelfristig auf einem Auge erblinden lassen könnte. Vor allem die laut Tierarzt täglich aufzutragende Augensalbe kostet Jordan nach eigenen Angaben 80 Euro im Monat und damit schon über 4.000 Euro seit Kauf. Hinzu kommen diverse Tierarztbesuche und durchgeführte (Not-)Operationen.
Entsprechend bezifferte das LG den Streitwert in seinem Urteil auf "bis zu 19.000 Euro". Weil Jordan davon nach dem Urteil nur einen Bruchteil wiederbekommt, ging es nun am Montag vor das OLG Hamm. Sie wollte die Feststellung erreichen, dass die Stadt auch die bisher entstandenen und künftig noch entstehenden Kosten wegen der übrigen Erkrankungen und Operationen bezahlen muss.
Längst keine "loriotmäßige Lustigkeit" mehr
Kappel lässt gleich zu Beginn durchblicken, dass es sehr viel ernster werden würde, als die zahlreichen Schlagzeilen zu Mops Edda vermuten lassen könnten. "Das Gericht weiß, mit welcher loriotmäßigen Lustigkeit die Zeitungsartikel zu diesem Fall verfasst sind." Die Zuschauer müssen schmunzeln. "Inzwischen ist das Ganze in Anbetracht der hohen Kosten aber wohl eher ein düsteres Trauerspiel," sagt der Vorsitzende mit Verweis allein auf die Gerichts- und Sachverständigenkosten in Höhe von über 7.500 Euro. Damit ist der Ton für die restliche Verhandlung gesetzt.
Kappel macht klar: "Anders als die zahlreiche Pressepräsenz vermuten lässt, sieht das Gericht in der Sache keine grundsätzliche Bedeutung. Da wir den Streitwert jedenfalls nicht höher als das Landgericht ansetzen, wäre auch die Nichtzulassungsbeschwerde der Revision versperrt." Mit anderen Worten: "Hier beim Oberlandesgericht Hamm ist im Wesentlichen Endstation im Fall Edda."
Dann stellt das Gericht seine wesentlichen Erwägungen voran. Schadensersatz vom Vollziehungsbeamten? Wird es wohl nicht geben, er profitiert vom Haftungsprivileg aus Art. 34 Grundgesetz, nach dem nur der staatliche Akteur, aber nicht dessen Diener für Amtspflichtverletzungen haftet. Amtshaftung der Stadt Ahlen aus § 839 Bürgerliches Gesetzbuch? Nicht nötig, da mit dem Kaufvertrag zwischen Jordan und der Stadt vertragliche Ansprüche mögliche Schäden vollumfänglich berücksichtigten. Ein im Kaufvertrag vereinbarter Haftungsausschluss, der auf einem vorgefertigten Formular basiert, hält der AGB-Kontrolle nach § 307 BGB nicht stand.
Da das LG-Urteil rechtskräftig ist, was die Wimpernhaarerkrankung und fehlende Impfung angeht, geht es vor dem OLG um die Frage, ob die Stadt auch für die KCS und den sich ausbreitenden Pigmentfleck zahlen muss. "Sind die Augenschäden bei Edda als Sachmängel einzustufen?", fasst Kappel zusammen. Das wäre der Fall, hätten sie schon beim Kauf am 6. Dezember 2018 vorgelegen.
Ob die Erkrankungen des als "kerngesund" verkauften Mopses schon zum Zeitpunkt des Kaufs am 6. Dezember 2018 vorgelegen haben, sollte in dem seit Jahren andauernden Edda-Verfahren ein Gutachten von Dr. Jochen Schulze-Lammers klären. Die Einschätzung des Wittener Tierarztes als Sachverständiger bleibt auch vor dem OLG Hamm die einzige für das Verfahren relevante. Jordan verlangte, ein weiteres Gutachten einer Hannoveraner Professorin zu berücksichtigen. Dafür sieht das OLG am Montag nach § 412 Zivilprozessordnung aber keinen Grund. "In der Tiermedizin gibt es keine so breite Auffächerung nach Spezialbereichen wie in der Humanmedizin", so der Vorsitzende. Schulze-Lammers' Gutachten sei eine ausreichende Grundlage für eine Gerichtsentscheidung, auch wenn er nicht über eine spezielle Zusatzqualifikation für Augenerkrankungen bei Tieren verfüge.
Gericht drängt vehement auf einen Vergleich
Dann wird Kappel deutlich. Das OLG könne in der Bewertung des Gutachtens durch das LG keine Rechtsfehler erkennen. Die Vorinstanz habe auf Basis des Gutachtens nachvollziehbar dargelegt, warum sie davon ausging, dass nur die Wimpernhaarerkrankung zum Zeitpunkt des Kaufs vorgelegen habe. "Wie stehen die Parteien zu einem Vergleich?", fragt er.
Grundsätzlich wären sie bereit, signalisieren sowohl Wolfgang Kalla (Kalla & Collegen, Kaarst), Jordans Rechtsanwalt, und Dr. Gordon von Bardeleben (Wolter Hoppenberg, Standort Hamm), der die Stadt und den Vollziehungsbeamten vertritt, für ihre Mandanten.
Dann geht das Geeiere los. Getreu dem Motto, dass in Verhandlungen verliert, wer zuerst einen Betrag nennt, bleiben beide Anwälte vage. "Allein Eddas Operation vor zwei Jahren hat 2.500 Euro gekostet", argumentiert Kalla. "Da muss es schon ein angemessener Betrag sein." "Die Stadt Ahlen könnte zusätzlich zu den durch das LG-Urteil bestätigten Ansprüchen einen niedrigen, vierstelligen Betrag anbieten", so von Bardeleben.
Der Vorsitzende drängt vehement auf einen Vergleich, indem er nachlegt. "Das Gericht hält in Anbetracht der hohen Ausgaben der Klägerin einen Betrag von 3.000 Euro für angemessen." Das passt beiden Parteien offenbar nicht, sie hüllen sich in Schweigen. Es folgt die erste Sitzungsunterbrechung nach den ersten 50 Minuten der Verhandlung.
"Wir müssen eine Krankheit schon sehr genau feststellen können"
Als wieder alle im Saal sind, steht fest: 3.000 Euro sind für Jordan zu wenig, für die Stadt Ahlen zu viel. Kalla fordert für seine Mandantin 5.000 Euro, von Bardeleben könnte sich für die Stadt mit viel gutem Willen noch auf 2.500 Euro einlassen.
Die weitere stellvertretende Vorsitzende Ostheide, am Montag in der Funktion der Berichterstatterin, wird Richtung Jordan und Kalla deutlicher. "Um einen Schadensersatzanspruch, auch für die Zukunft, bejahen zu können, müssten wir als Gericht schon sehr genau feststellen können, dass eine Krankheit zum Zeitpunkt des Kaufs vorlag und sich danach chronisch fortsetzt. 5.000 Euro sind da mit Blick auf die Prozessrisiken womöglich nicht ganz angemessen."
Kalla erwidert: "Bis heute alleine 4.000 Euro für die Augensalbe. Und das für einen angeblich kerngesunden Hund, der bald erblindet. Das kann doch nicht sein." Ostheide bleibt hartnäckig. "Selbst wenn sie in vollem Umfang obsiegen sollten, haben sie nur einen 'Feststeller'. Dann gibt’s neuen Streit und es dauert lange Zeit, bis ihre Mandantin überhaupt einen Pfennig sieht." An die beklagte Stadt und ihren Vertreter gerichtet gibt die Berichterstatterin zu bedenken: "Für den Zukunftsschaden der Wimpernhaarerkrankung muss Ahlen ohnehin aufkommen. 2.500 Euro sind da ein bisschen wenig. Wie wäre es mit 3.500 Euro?"
Das klingt versöhnlich. Es folgt die zweite Sitzungsunterbrechung nach 75 Minuten Verhandlung.
Wie trocken darf ein Hundeauge sein?
Fünf Minuten später sind alle zurück im Saal. Mindestens so gespannt wie die drei auf der Richterbank, sind die Besucher und Journalisten im Saal. Endet der jahrelange Streit wegen eines womöglich bald erblindenden Mopses, der mehr Tierärzte, Gutachter, Anwälte und Richter beschäftigt haben dürfte als sämtliche seiner Artgenossen, nun in einem Vergleich?
"Wir bleiben bei 2.500 Euro", sagt von Bardeleben. Da ahnt man nichts Gutes. Kalla flüstert mit Jordan. Dann sagt Eddas Frauchen nur: "Nein." Der Vergleich scheitert. Oha.
Damit geht die Verhandlung weiter. Gutachter Schulze-Lammers tritt als Zeuge auf. Das Gericht hat Fragen. Was braucht es, um die KCS-Diagnose zu stellen? Wie trocken darf ein Hundeauge sein? Sind sieben Milliliter Tränenflüssigkeit auf einem Teststreifen noch ausreichend? Und was ist mit der Pigmentierung? Wenn die schon zum Zeitpunkt des Kaufs veranlagt war, war dann auch absehbar, dass Edda daran erblinden könnte?
Berichterstatterin Ostheide muss Jordan öfter ermahnen. "Jetzt fangen Sie an, zu philosophieren. Bitte nur konkrete Fragen an den Gutachter", heißt es. Oder auch: "Es bringt jetzt nichts, wenn wir den Sachverständigen immer das Gleiche fragen." Am Ende der Befragung wird Schulze-Lammers mit dem üblichen Dank entlassen und das Gericht regt zum dritten Mal an, einem Vergleich zuzustimmen.
"Jetzt würden wir wohl", gibt sich Kalla nach kurzer Rücksprache mit seiner Mandantin zerknirscht und meint damit das 2.500-Euro-Angebot der Stadt Ahlen. Die denkt angesichts der aktuellen Verhandlungsentwicklung aber gar nicht mehr daran, jetzt noch einem Vergleich zuzustimmen. "Wir lassen es auf eine Entscheidung ankommen", sagt der Stadtvertreter selbstbewusst.
"Wollen Sie die letzte Reißleine ziehen?"
Dann geht alles ganz schnell. "Ich bedauere außerordentlich, dass es zu keinem Vergleich gekommen ist. Wollen Sie die letzte Reißleine ziehen und die Berufung zurücknehmen?", fragt der Vorsitzende Kappel Jordan und ihren Anwalt. "Nein." Auch sie lassen es jetzt auf eine Entscheidung ankommen.
Die ist am Montag drei Stunden nach Ende der Verhandlung ergangen: Das Gericht hat die Berufung abgewiesen, wie am späten Nachmittag bekannt wurde. Das heißt: Kein weiteres Geld für Jordan. Sie bekommt entsprechend dem LG-Urteil nur wenige Hundert Euro und Ersatz für mögliche Schäden in der Zukunft, die die Wimpernerkrankung noch mit sich bringen könnte.
Jordan kommentiert die Entscheidung gegenüber LTO so: "Heute wurde eine Entscheidung gefällt, aber kein Recht gesprochen." Ein Vertreter der Stadt sagt: “Wir waren kompromissbereit. Jetzt warten wir die Entscheidungsgründe ab. Das ist alles, was ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann.”
Hund Edda geht es derweil den Umständen entsprechend gut. Sie lasse sich ihr quirliges Temperament von den Beeinträchtigung nicht nehmen, so Jordan gegenüber LTO.
Mops "Edda" vor dem OLG Hamm: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55680 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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