LG München I urteilt in Betrugsprozess: Kein Gefängnis für "fal­schen" Anwalt in der Groß­kanzlei

von Leonie Ott, LL.M. und Dr. Markus Sehl

25.07.2023

In dem Fall des Studienabbrechers, der mit gefälschten Prädikatsexamina jahrelang in Großkanzleien als "sehr guter Jurist" geschätzt wurde, hat das Landgericht München I die Berufungen verworfen.

Es bleibt für ihn - erst einmal - bei dem Urteil aus der ersten Instanz, er muss nicht ins Gefängnis. Jahrelang hatte Matthias G. in Großkanzleien, Unternehmen und der Versicherungskammer als Jurist arbeiten können, ohne dass er dafür die entsprechenden Abschlüsse besaß. Stattdessen hatte er sich zwei Prädikatsexamen angefertigt und kam damit lange Zeit durch. Das Landgericht (LG) München I hat am Dienstag sowohl seine wie auch die Berufung der Staatsanwaltschaft als größtenteils unbegründet verworfen, wie ein Sprecher des Gerichts LTO mitteilte. Nur die Einziehung von Taterträgen - den eingestrichenen Großkanzleigehältern - sei aufgehoben worden.

Das Amtsgericht München hatte den jungen Mann Ende 2020 wegen vollendeten und zum Teil nur versuchten Betruges in sechs und Urkundenfälschung in 22 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte - beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch - Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt. Sie wollte mit der Berufung vor allem erreichen, dass die Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, sondern der Angeklagte seine Strafe in Haft verbüßen muss. Die beiden Münchner Strafverteidiger Prof. Dr. Christoph Knauer und Manuel Weber bezweifelten im Prozess, dass G.s Einschleichen per gefälschten Examenszeugnissen strafrechtlich für einen Betrug ausreicht. Knackpunkt ist der Vermögensschaden. 

Vermögensschaden trotz erbrachter Arbeit?

Ein Vermögensschaden muss für eine Verurteilung wegen Betruges festgestellt werden. Das Amtsgericht hatte dafür Grundsätze aus der Rechtsprechung zu Beamten übertragen, weil Anwälten eine besondere Vertrauensstellung zukäme. In anderen Worten: Wem die formelle Qualifikation fehlt, der hätte die Anstellung nie bekommen und so ist der Schaden in Höhe der gesamten gezahlten Bezahlung anzusetzen. Diese Begründung übernahmen die Richter der Berufungsinstanz, so ein Sprecher des Gerichts. 

Im Rahmen der Einziehung argumentierten die Berufungsrichter laut einem Presseprecher dann aber in eine andere Richtung: Der Beschuldigt habe zwar mehrere Großkanzleigehälter erlangt, der Wert seiner Arbeitsleistung sei aber davon abzuziehen. Hintergrund sei §73 d Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). In der Norm ist geregelt, dass grundsätzlich Aufwendungen des Täters bei der Bestimmung des Erlangten abzuziehen sind. Das Gericht nahm also an, dass der Wert der Arbeitskraft des Beschuldigten den Großkanzleigehältern entspricht.   

Unklar ist, wie sich diese Begründung mit der Annahme eines Vermögensschadens in Einklang bringen lässt. Hier bleiben die schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten. 

Feiertag wurde Hochstapler zum Verhängnis

Wie LTO aus dem Gerichtssaal berichtete, hatte sich der Studienabbrecher über viele Jahre hinweg in immer mehr Lügen über seine Studienerfolge verstrickt. Deshalb fälschte er mit dem Programm "Word" zwei herausragende Examenszeugnisse. Nach mehreren beruflichen Stationen bei namhaften Großkanzleien und der bayerischen Versicherungskammer flog er aufgrund des Datums im Zeugnis auf: An einem Pfingstmontag werden keine Prüfungen geschrieben. Dass er eine ganze Reihe von erfolgreichen Bewerbungen und Arbeitsstationen absolvieren konnte, wirft auch strukturelle Fragen auf. Etwa danach, ob ein Rechtssystem, das so viel objektive Aussagekraft mit den Examensnoten verbindet, sich eigentlich ausreichend selbst vor Täuschung schützt. Ob es nicht stichprobenartige Abfragen bei den Prüfungsämtern geben sollte? Dann wäre diese Geschichte schon früh zu Ende gewesen. Nun darf man aber davon ausgehen, dass sie noch weiter die Gerichte beschäftigen wird. 

Beide Seiten hatten schon zum Prozessauftakt durchblicken lassen, dass der Fall auch in die Revision gehen dürfte. Nach dieser Entscheidung dürfte der Ball zunächst bei der Staatsanwaltschaft liegen. "Das Ziel der Verteidigung, dass der Mandant eine Bewährungsstrafe bekommt, ist erreicht", sagte Rechtsanwalt Knauer zu LTO. "Wir sind grundsätzlich zufrieden, auch wenn man Details der Entscheidung kritisch sehen kann."

Zitiervorschlag

LG München I urteilt in Betrugsprozess: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52327 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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