Anklage im Dieselgate-Prozess verlesen: Wusste Win­ter­korn schon 2014 Bescheid?

03.09.2024

Neun Jahre nach dem Auffliegen des Dieselskandals bei VW steht Martin Winterkorn vor Gericht. Ab wann wusste er über die Manipulationen Bescheid? Die Anklage geht von einem frühen Datum aus. Der Ex-Vorstandschef will sich selbst einlassen.

Seit Dienstagvormittag muss sich der ehemalige VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn als Angeklagter vor Gericht verantworten. Es geht um den Dieselskandal, der vor fast neun Jahren bekannt wurde, erst in den USA, dann auch in Europa. Eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts (LG) Braunschweig will die Rolle des 77-Jährigen aufarbeiten, der von 2007 bis 2015 den größten europäischen Autobauer anführte. 

Worum es in dem Strafprozess im Einzelnen geht, hatte LTO am Montag ausführlich berichtet. Dem früheren Konzernboss werden gewerbs- und bandenmäßiger Betrug, Marktmanipulation und uneidliche Falschaussage vorgeworfen. Winterkorn soll VW-Käufer über die Beschaffenheit der Autos getäuscht und in den entscheidenden Septembertagen 2015 den Kapitalmarkt vorsätzlich nicht rechtzeitig über Risiken durch Strafzahlungen informiert haben. 2017 soll er dann vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags uneidlich falsch dazu ausgesagt haben. 

Der "Dieselgate"-Skandal mit Abgasmanipulationen bei Millionen VW-Fahrzeugen war im September 2015 durch Nachforschungen von US-Umweltbehörden und Wissenschaftlern aufgeflogen. Winterkorn trat wenige Tage nach Bekanntwerden zurück und übernahm damit die konzernpolitische Verantwortung. Eine persönliche Verantwortung wies er stets zurück. Auch am Dienstagmorgen in Braunschweig drückte er vor und im Gerichtssaal seine Zuversicht für das Verfahren aus. "Unser Mandant weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschieden zurück", teilte sein Verteidiger Felix Dörr für ihn mit. "Wir sind zuversichtlich, dass wir zu einem guten Ergebnis für unseren Mandanten gelangen werden." Für die Verteidigung steht fest, Winterkorn habe "nicht betrogen" und "niemanden geschädigt".

Wusste Winterkorn schon 2014 Bescheid?

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Braunschweig wusste Winterkorn aber deutlich früher über Abgasmanipulation Bescheid, als er bisher angegeben hat. Im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags hatte Winterkorn gesagt, erst im September 2015 Kenntnis erlangt zu haben. Die nach dem Kapitalmarktrecht erforderliche Ad-hoc-Mitteilung der Volkswagen AG erfolgte erst am 22. September. Die Staatsanwaltschaft überraschte am Dienstag mit einem deutlich früheren Datum: Spätestens seit Mai 2014 sei Winterkorn über den Einsatz einer illegalen Software in den USA informiert gewesen, hieß es in der ersten Anklageschrift. Diese bezieht sich auf den Vorwurf des Betrugs zum Schaden von Millionen Autokäufern. Allein die Verlesung dieses Anklageteils dauerte knapp anderthalb Stunden.

Nach Mai 2014 habe Winterkorn es "pflichtwidrig unterlassen", den Verkauf betroffener Autos zu stoppen, sagte der Staatsanwalt. Obwohl ihm seine Pflichten als Vorstandschef bewusst gewesen seien, habe er es zugelassen, dass Autos in den USA mit unrichtigen Angaben weiter vermarktet worden seien. Der Verantwortung Winterkorns werden von den Strafverfolgern etwas mehr als 65.000 Autos zugerechnet. Den entstandenen Schaden bezifferte die Staatsanwaltschaft auf rund 1,3 Milliarden Euro.

"Aus meiner Sicht können wir weitermachen", antwortete Winterkorn lächelnd auf die Frage, ob er vor weiteren Vorwürfen eine Pause brauche. Also setzte die Staatsanwaltschaft mit der Anklage fort, nach der Winterkorn 2017 vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags uneidlich falsch ausgesagt haben soll. Diese Anklage kommt ursprünglich aus Berlin, wurde aber mit den Vorwürfen der Braunschweiger Strafverfolger verbunden.

"Mr. Volkswagen" will eigenes Statement abgeben

Nach einer Mittagspause stand der mutmaßliche Verstoß gegen Wertpapierhandelsgesetz im Zentrum. Winterkorn wird dabei Marktmanipulation vorgeworfen, weil er den Kapitalmarkt vorsätzlich nicht rechtzeitig über Risiken aus dem Einbau einer verbotenen Software informiert haben soll. Der damalige Vorstandschef habe die nötige Ad-hoc-Mitteilung nicht gemacht, sondern auf gute Beziehungen zu den amerikanischen Behörden und eine andere Klärung gehofft, sagte die Staatsanwaltschaft zum dritten Anklageteil, dessen Verlesung abermals anderthalb Stunden dauerte.

Zur Dieselaffäre bei Volkswagen gibt es längst etliche Urteile, Bußgelder, Verfahrenseinstellungen gegen Geldauflagen und Entschädigungen. Die genauen Hintergründe und Abläufe beim Wolfsburger Autobauer bleiben bis heute aber im Verborgenen. Auch der erste große Betrugsprozess gegen vier andere Ex-VW-Manager sowie -Ingenieure brachte nach drei Jahren Verhandlung bisher keine großen Erkenntnisse hervor. Eigentlich sollte Winterkorn schon bei diesem Verfahren ab 2021 mit auf der Anklagebank sitzen. Aus gesundheitlichen Gründen wurde sein Komplex aber abgetrennt. Jetzt steht "Mr. Volkswagen" selbst vor Gericht.

Für den Strafprozess hat das Landgericht 89 Termine bis September 2025 angesetzt. Am zweiten Verhandlungstag am Mittwoch will sich der Angeklagte selbst mit einem Statement äußern.

dpa/jb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Anklage im Dieselgate-Prozess verlesen: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55334 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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