2/2: Wer angeklagt worden war - und wer nicht
Bei der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 war es an einer Engstelle zu einem tödlichen Gedränge gekommen. Zwischen 16.30 und 17.15 Uhr drängten sich auf kleinem Raum mehrere zehntausend Menschen. An einigen Stellen wurde der Druck so groß, dass 21 Menschen bei dem Technofestival starben, mindestens 652 wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Die Getöteten kamen aus Deutschland, Australien, den Niederlanden, Spanien, Italien und China.
Den beschuldigten Mitarbeitern des Veranstalters legte die Anklage zur Last, ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem für die Veranstaltung geplant zu haben, die auf dem Gelände des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs stattfand. Die Besucher sollten vor allem über eine einzige Rampe auf das Gelände geführt werden - und über die gleiche auch wieder runter. Dabei soll die Rampe zu eng gewesen sein.
Drei Sachbearbeiter des Bauamtes sollen die Genehmigung für bauliche Maßnahmen wie etwa die Einzäunung erteilt haben, ohne dass die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen dafür vorlagen. Drei Vorgesetzte sollen wiederum das Baugenehmigungsverfahren nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt haben.
Wer vielleicht hätte angeklagt werden sollen
Prof. Henning Ernst Müller, der das Verfahren von Anfang an verfolgt hat, kritisierte am Dienstag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur einen mangelhaften Ermittlungsansatz der Staatsanwaltschaft.
Diese habe sich bei der Anklage zu sehr auf Planungs- und Genehmigungsfehler versteift und den Fokus vom Geschehen am Unglückstag weggelenkt. "Nur zu argumentieren, dass Planungsfehler die Katastrophe verursacht haben, greift zu kurz", kritisierte der Strafrechtler an der Universität Regensburg. "Fehler sind auf allen Ebenen gemacht worden, dem muss in einer Anklage auch Rechnung getragen werden."
So gebe es ausreichend Videobilder vom Tag der Katastrophe, sagte Müller. "Die hätten aus meiner Sicht auch dokumentieren können, dass neben Planungsfehlern auch Polizei und Veranstalter am Tattag selbst Fehler gemacht haben, die in die Ursachenkette bis zum tödlichen Geschehen mit hinein gehören."
Keine Anklage gegen Polizei, OB und Veranstalter
Polizeibeamte waren nicht angeklagt worden, obwohl es im Nachgang zu der Katastrophe auch an der Organisation vor Ort massive Kritik gab. Eine schon gebildete Absperrkette sollen die Beamten aufgelöst haben. Ein Megafon sei defekt, eine Verständigung untereinander nicht möglich gewesen, weil man versäumt habe, vorab die Funkfrequenz der Beamten aus verschiedenen Ländern anzugleichen oder eine Vorrangschaltung im zusammengebrochenen Mobilfunketz zu beantragen.
Ein Sachverständiger hatte aber festgestellt, dass Polizeimaßnahmen nicht die Ursache für das Unglück gewesen seien. Auch hätten die leitenden Beamten keine Maßnahmen unterlassen, mit denen der tödliche Ausgang des Geschehens noch hätte abgewendet werden können. "Die drohende Gefahr von Todesfällen [...] war nicht bereits am frühen Nachmittag, sondern erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt erkennbar, als es ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen nicht mehr möglich war, das weitere Geschehen aufzuhalten", hieß es in einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung von 2014.
Für Verteidiger Volker Römermann eine kaum nachvollziehbare Entscheidung. Viele Beamte seien vor Ort gewesen, "aber weder koordiniert noch verständigt". Mittlerweile dürften Ermittlungen gegen die Beamten wegen Verjährung ausgeschlossen sein.
Auch der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland und der Veranstalter Rainer Schaller wurden nicht angeklagt, weil die Staatsanwaltschaft keine Anhaltspunkte dafür sah, dass die beiden selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die Erteilung der rechtswidrigen Genehmigung genommen haben. Sie durften auch darauf vertrauen, dass die für die Planung und Genehmigung Verantwortlichen das Vorhaben aufgrund ihrer Fachkenntnisse ordnungsgemäß prüfen würden.
LG-Präsident: "Entscheidung nicht leicht gemacht"
Der amtierende Oberbürgermeister von Duisburg, Sören Link (SPD), der erst nach der Katastrophe ins Amt gekommen war, hat nach der Absage an einen Loveparade-Strafprozess den Blick auf die Opfer und Hinterbliebenen gelenkt. "Sie alle werden heute schwer tragen an der Entscheidung des Gerichts", sagte das Stadtoberhaupt am Dienstag im Rathaus laut einer Pressemitteilung. Mit Blick auf das vom Landgericht kritisierte Gutachten des Panikforsches sagte er: "Wer seinen Sohn, seine Tochter, sein Liebstes verloren hat, der fragt nicht nach Verfahrensfehlern oder danach, warum ein Gutachten verwertbar ist oder nicht."
Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentins Hannelore Kraft (SPD) hat ihr Unverständnis geäußert, dass es keinen Strafprozess geben soll. Sie achte die Unabhängigkeit der Justiz, sagte die SPD-Politikerin am Dienstag in Düsseldorf. Sie wolle aber "als Mensch Hannelore Kraft" zum Ausdruck bringen, dass dieser Schluss für sie "schwer zu begreifen" sei.
Die von ihr 2010 in ihrer Trauerrede für die 21 Todesopfer geforderte lückenlose Aufklärung scheine nun in weite Ferne zu rücken. Die Zeit, die nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft verstreiche, trage nicht dazu bei, dass die Wunden sich schließen können. "Das bedaure ich außerordentlich", sagte Kraft, die sich ausdrücklich nicht als Regierungschefin, sondern persönlich äußerte.
Auch der Präsident des erkennenden Gerichts, Ulf-Thomas Bender, zeigte Verständnis für die Enttäuschung der Loveparade-Opfer wegen des geplatzten Strafprozesses. "Wir alle hegen die berechtigte und nachvollziehbare Erwartung, dass die Ursachen für diese Katastrophe aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden", sagte er am Dienstag. Diesen Erwartung habe der Beschluss der Kammer nicht gerecht werden können. Trotzdem sei die Entscheidung juristisch unumgänglich gewesen. "Die Kammer hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht", sagte er.
dpa/pl/ms/acr/LTO-Redaktion
LG Duisburg lässt Anklage nicht zu: . In: Legal Tribune Online, 05.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18971 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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