Der Tod von 21 Menschen bei der Loveparade-Panik bleibt vorerst ohne strafrechtliche Folgen: Das LG Duisburg will das Hauptverfahren nicht eröffnen. Der Anklagevorwurf sei nicht hinreichend belegt, der Gutachter habe unzulänglich gearbeitet.
Das Unglück bei der Loveparade vor knapp sechs Jahren mit 21 Toten und Hunderten Verletzten wird vorerst nicht in einem Strafprozess aufgearbeitet. Das erklärte das Landgericht (LG) Duisburg am Dienstag. Die zuständige Kammer am Duisburger LG habe die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg hatte im Februar 2014 Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters erhoben. Ihnen wurden fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Seitdem hat das LG im Zwischenverfahren aufwendig geprüft, ob eine Verurteilung im Hauptverfahren wahrscheinlich ist.
Das Gericht erklärte nun, die 5. Große Strafkammer unter dem Vorsitz von Joachim Schwartz habe vor allem mit einem Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still - ein zentrales Beweismittel der Staatsanwaltschaft - Probleme gehabt. "Dieses Gutachten ist nach Auffassung der Kammer nicht verwertbar." Es habe gravierende inhaltliche und methodische Mängel. Aufgrund des Gutachtens lasse sich daher nicht beantworten, aus welchen Gründen es zu den tragischen Ereignissen bei der Loveparade 2010 kommen konnte.
Gerichtet befürchtet Befangenheit des Gutachters
Das Gutachten könne weder das Bestehen der von der Anklage angenommenen Sorgfaltspflichten belegen noch den Beweis erbringen für die den Angeschuldigten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen und deren Kauslität beziehungsweise ihre Realisierung im konkreten Taterfolg, heißt es in dem 460 Seiten langen Beschluss des LG. Erhebliche Verstöße gegen die Grundpflichten eines Sachverständigen machten es unverwertbar. So habe Still die Pflicht zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität verletzt.
Still habe sich in Vorträgen unsachlich zum Unglück geäußert. Er habe behauptet, die Daten für das Genehmigungsverfahren seien manipuliert gewesen, ohne dass er dies begründet oder belegt habe. Auch habe er sich in Vorträgen und einem Fachbuch nach Vorlage des Gutachtens auf bestimmte Unglücksursachen und Ergebnisse festgelegt. "Ein Abrücken von diesen öffentlich mehrfach verbreiteten Behauptungen in einer Hauptverhandlung könnte für Prof. Dr. Still mit einem erheblichen beruflichen Ansehensverlust verbunden sein."
Sogar mangelnde Sachlichkeit wirft die Kammer dem Gutachter vor, den sie schon im Vorverfahren zur Nachbesserung seiner Analyse aufgefordert hatte. So habe er nicht nur in einem Vortrag auch behauptet, bei der Planung sei einfachste Mathematik nicht angewendet worden, die sein "Sohn im Alter von vier Jahren beherrscht hätte." All das lasse Rückschlüsse auf seine innere Haltung zu, die seine Objektivität und Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit gegenüber den Angeschuldigten störend beeinflussen könne.
Staatsanwaltschaft und Nebenkläger können Beschwerde einlegen
Aber auch der Staatsanwaltschaft stellt die Kammer zur Nichtzulassung der Anklage gegen die zehn Beschuldigten ein schlechtes Zeugnis aus. Diese habe ihre Vorwürfe nicht beweisen können. "Die eingehende Prüfung der Anklagevorwürfe und der hierzu vorgelegten Beweismittel durch die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat ergeben, dass kein hinreichender Tatverdacht besteht", teilte das Gericht mit. Eine Verurteilung der Angeklagten sei deshalb nicht zu erwarten.
Der Anklagevorwurf sei unzulänglich belegt worden, heißt es in dem Beschluss der Kammer. Es sei nicht Aufgabe des Tatgerichts, ein entsprechendes Beweisprogramm im Zwischenverfahren abzuarbeiten und damit quasi "eine Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung durchzuführen", so die Kammer zur Begründung.
Die Ankläger können ebenso wie die Nebenkläger gegen den Nichteröffnungsbeschluss sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf einlegen. Dann wird ein Beschwerdesenat die Entscheidung überprüfen. Dies dürfte wiederum einige Zeit in Anspruch nehmen. Wird die Beschwerde abgelehnt, gibt es kein weiteres Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung. Eine erneute Anklage kann dann nur aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel erhoben werden.
Mammut-Verfahren verhindert
Das Verfahren, das damit zunächst nicht eröffnet wird, wäre ein Mammut-Prozess geworden. Schon die Prüfung der Anklage im Zwischenverfahren hatte sich ungewöhnlich lange hingezogen. Das Gericht hatte dies mit dem Umfang des Verfahrens begründet.
Die zehn Beschuldigten haben alle mehrere Verteidiger, hinzu kommen 56 Nebenkläger mit ihren Anwälten. Dass auch der Umfang des Verfahrens kausal für die Ablehnung der Hauptverhandlung gewesen sein könnte, hält Verteidiger Prof. Volker Römermann für unwahrscheinlich. Der Beschluss, der ihn am Dienstagmorgen per Mail erreichte, sei sehr detailliert und gut begründet, sagte der Berliner Anwalt gegenüber LTO. Gemeinsam mit seinen Kanzleikollegen, den Strafrechtlern Ioannis Zaimis und Dr. Philip van der Meden, vertritt der Anwalt einen der Beschuldigten, der zum Zeitpunkt der Katastrophe für den Loveparade-Veranstalter Lopavent tätig war,
In den dreieinhalb Jahre dauernden Ermittlungen hatten Polizei und Staatsanwaltschaft eine riesige Menge an Daten und Beweismitteln ausgewertet. Im Zwischenverfahren kam weiteres Material hinzu. Eine Halle auf dem Messegelände Düsseldorf wurde angemietet, aktuell umfasst die sogenannte Hauptakte mit den wichtigsten Unterlagen über 46.700 Seiten und füllt 99 Aktenordner. Hinzu kommen mehr als 800 Ordner mit ergänzendem Aktenmaterial.
Bei den Ermittlungen, die zur Anklage führten, waren bis zu 96 Polizeibeamte des Polizeipräsidiums Köln sowie sechs Staatsanwälte mit dem Fall befasst. Sie haben 3.409 Zeugen vernommen. Außerdem wurde Videomaterial in einer Gesamtlänge von 963 Stunden ausgewertet.
LG Duisburg lässt Anklage nicht zu: . In: Legal Tribune Online, 05.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18971 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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