Mehr als zehn Parteien und Grüppchen, aber keine Mehrheit im Parlament - so soll es in den Kommunen in NRW nicht weitergehen. Der Landtag hat jetzt eine Hürde gegen Splittergruppen in die Verfassung eingezogen. Und könnte damit in Karlsruhe landen.
Nordrhein-Westfalen führt wieder eine Sperrklausel gegen Splittergruppierungen bei Kommunalwahlen ein. Ab sofort müssen Parteien und Wählervereinigungen mindestens 2,5 Prozent der Stimmen holen, um in die Räte und Kreistage einziehen zu können. Eine entsprechende Änderung der Landesverfassung hat am Freitag der Düsseldorfer Landtag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen sowie der CDU-Opposition beschlossen. Die Piraten sprachen von einem "Demokratieabbaugesetz" und kündigten eine Verfassungsklage an. Die FDP enthielt sich.
1999 hatte das Landesverfassungsgericht die damalige Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Kommunalwahlen gekippt. Seitdem kam es in den Räten und Kreistagen zu einer zunehmenden Zersplitterung mit teilweise mehr als zehn verschiedenen Parteien und Gruppierungen. SPD, CDU und Grüne sehen die Arbeits- und Mehrheitsfähigkeit der Parlamente dadurch gefährdet.
NRW-Kommunalminister Ralf Jäger (SPD) sagte, die 2,5-Prozent-Hürde sei eine moderate, verfassungskonforme Grenze, der das Parlament guten Gewissens zustimmen könne. Die geringe Sperrwirkung sei mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl vereinbar, unterstrich der SPD-Abgeordnete Hans-Willi Körfges. Der CDU-Abgeordnete Ralf Nettelstroth betonte, das Engagement der mehr als 20.000 ehrenamtlichen Ratsmitglieder sei vielerorts in Marathonsitzungen überstrapaziert worden.
"Landesverfassung nun verfassungswidrig"
Piraten-Fraktionschef Michele Marsching hielt dagegen, ein Beweis für eine Funktionsunfähigkeit der Parlamente fehle. Auch der FDP-Abgeordnete Henning Höhne gab zu bedenken: "Funktionsunfähigkeit darf nicht mit Unbequemlichkeit gleichgesetzt werden." Zwar bestehe Einigkeit in dem Ziel, das kommunale Ehrenamt als Fundament der Demokratie zu schützen. Das Gesetz sei aber der falsche Weg.
Auch juristische Experten bezweifeln, dass die Änderung der Verfassung eine Vorlage in Karlsruhe überstehen würde. Denn eine solche Klausel hat zur direkten Folge, dass den Stimmen für Wahlbewerber, welche die Grenze nicht erreichen, kein Erfolgswert zukommt, erklärte Robert Hotstegs auf LTO. Sie gehen quasi verloren. Das akzeptiere das BVerfG nur, wenn zwingende Gründe vorliegen. Der Wunsch nach einfach zu handhabenden Mehrheitsverhältnissen genüge nicht.
Der Städte- und Gemeindebund begrüßte das Gesetz hingegen. "Wir müssen unsere Räte wieder arbeitsfähig machen", betonte der Verband in einer Mitteilung. Der Verein "Mehr Demokratie" teilt dagegen die Auffassung der Piraten. Nirgendwo in NRW könne ein Rat mangels Mehrheit nicht mehr beschließen, argumentierte Landesgeschäftsführer Alexander Trennheuser. Nun sei die Landesverfassung verfassungswidrig. Indem die Änderung direkt in die Verfassung aufgneommen wird, wird die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs in Münster umgangen, so Hotstegs. Denn dieser werde wohl kaum verfassungswidriges Verfassungsrecht anhand der Verfassung feststellen. Auch schreibe man den Richtern in Münster nicht die Rolle zu, die Landesverfassung am Grundgesetz scheitern zu lassen.
Sollte es aber nach Karlsruhe gehen, ist nicht klar, ob die Sperrklausel in der Landesverfassung eine Prüfung anhand von Art. 28 Grundgesetz überstehen würde. In einer Expertenanhörung im Düsseldorfer Landtag im Januar sprachen die meisten der Juristen von "bleibenden Restzweifeln".
dpa/pl/acr/LTO-Redaktion
Verfassungsänderung in NRW: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19630 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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