Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs wirft Israel unter anderem das Aushungern von Zivilisten im Gaza-Krieg vor. Die Richter sollen Haftbefehle gegen Israels Premier und auch gegen die Hamas-Führung ausstellen.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und gegen den Anführer der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, beantragt. Das teilte der Gerichtshof am Montag in Den Haag mit.
Chefankläger Karim Khan verfolgt Verbrechen während des Gaza-Krieges. Weitere Haftbefehle will Khan laut Mitteilung des IStGH gegen Israels Verteidigungsminister Joav Gallant sowie gegen Sinwars Stellvertreter Mohammed Deif und gegen den Hamas-Auslandschef Ismail Hanija erreichen.
Chefankläger wirft "Ausrottung" bzw. "Aushungern" vor
Nach Art. 5 Rom-Statut erstreckt sich die Zuständigkeit des IStGH auf die Verbrechen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression, die jeweils in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen können.
Den Hamas-Führern wirft der Ankläger laut Mitteilung unter anderem "Ausrottung" sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 Rom-Statut vor. Außerdem geht es um Kriegsverbrechen nach Art. 8 des Rom-Statuts, unter anderem durch Geiselnahme und grausame Behandlung und.
Premierminister Netanjahu und Verteidigungsminister Gallant wird ebenfalls vorgeworfen, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein, darunter das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung sowie willkürliche Tötungen und zielgerichtete Angriffe auf Zivilisten.
Chefankläger: Israels Mittel zur Erreichung militärischer Ziele sind kriminell
Die israelische Regierung hatte kürzlich bereits Befürchtungen über mögliche strafrechtliche Verfolgung geäußert. Netanjahu schrieb bei X, Israel werde unter seiner Führung "niemals irgendeinen Versuch des Strafgerichtshofs akzeptieren, sein inhärentes Recht auf Selbstverteidigung zu untergraben". Der Regierungschef hatte vor einem "gefährlichen Präzedenzfall" gewarnt, "der die Soldaten und Repräsentanten aller Demokratien bedroht, die gegen brutalen Terrorismus und rücksichtslose Aggression kämpfen".
Israel habe zwar – wie jeder Staat – das Recht auf Selbstverteidigung, heißt es in dem Statement des IStGH-Chefanklägers. Dennoch müsste es sich an das humanitäre Völkerrecht halten. "Ungeachtet etwaiger militärischer Ziele sind die Mittel, die Israel zur Erreichung dieser Ziele im Gazastreifen gewählt hat – nämlich die vorsätzliche Verursachung von Tod, Hunger, großem Leid und schwerer körperlicher oder gesundheitlicher Schädigung der Zivilbevölkerung – kriminell", so Khan.
Welche Folgen hätten Haftbefehle?
Ob die beantragten internationalen Haftbefehle erlassen werden, müssen nun die Richter der IStGH entscheiden. Nach Art. 58 Abs. 1 des Römischen Status des IStGH (Rom-Statut) kann die Vorverfahrenskammer einen Haftbefehl gegen eine Person erlassen, wenn begründeter Verdacht besteht, dass diese ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen hat. Zudem muss die Festnahme notwendig erscheinen, um sicherzustellen, dass die Person zur Verhandlung erscheint, die Ermittlungen nicht behindert oder gefährdet oder um sie an der Begehung weiterer Verbrechen zu hindern.
Das Gericht hat zwar keinerlei Möglichkeiten, Haftbefehle auch selbst zu vollstrecken. Dennoch ist die Bewegungsfreiheit der Gesuchten stark eingeschränkt. Denn eine Folge der Haftbefehle wäre, dass alle 123 Vertragsstaaten des Rom-Statuts, zu denen auch Deutschland zählt, verpflichtet sind, die Gesuchten festzunehmen und dem Gericht zu übergeben, sobald sie sich in ihrem Land befinden. Die USA hingegen haben das Rom-Statut nicht unterzeichnet.
Ob sich die Staaten an ihre Pflicht halten würden, Netanjahu auszuliefern? Als der IStGH im vergangenen Jahr einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen hat, hat sich Außenministerin Annalena Baerbock deutlich positioniert: Deutschland stehe voll und ganz hinter dem IStGH, der dafür geschaffen worden sei, dass Kriegsverbrechen nicht ungesühnt blieben. Auch Justizminister Marco Buschmann kündigte an, Deutschland würde Putin ausliefern, wenn er deutsches Staatsgebiet beträte. Ungarn indes hatte verlauten lassen, dass es Putin auf seinem Staatsgebiet nicht festnehmen würde. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Staaten positionieren, wenn der IStGH tatsächlich einen Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu erlässt.*
Bei den Attacken der Hamas im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober waren rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Die Angriffe waren Auslöser für die militärische Offensive Israels im Gazastreifen, bei der nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 35.400 Menschen getötet worden sind.
kus/fkr/LTO-Redaktion
Mit Material der dpa
*Ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 18:30 (Red.).
Internationaler Strafgerichtshof: . In: Legal Tribune Online, 20.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54575 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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