Israels Generalstaatsanwältin kritisiert IStGH-Chefankläger: "Wir brau­chen keine Hilfe von außen"

27.05.2024

Israels Generalstaatsanwältin sowie die oberste Militäranwältin kritisieren das Vorgehen des IStGH-Chefanklägers Karim Khan scharf. Die Haftbefehle hätten keine Grundlage. Israel sei in der Lage, selbst Ermittlungen zu führen.

Die israelische Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara hat den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Karim Ahmad Khan für sein Vorgehen gegen führende Politiker des Landes scharf kritisiert. Sie sagte nach Angaben der Times of Israel am Montag bei einer Juristenkonferenz in Eilat, Khans Antrag auf Erlass von Haftbefehlen gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant entbehre jeglicher Grundlage. Das israelische Justizsystem untersuche selbst jeden Verdacht illegaler Handlungen.

Am 20. Mai 2024 hatte Khan gleichzeitig verkündet, dass er Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant sowie gegen drei führende Mitglieder der Terrororganisation Hamas beantragt hat. Über die gespaltenen Reaktionen auf die Haftbefehlsanträge und deren Timing hatte LTO berichtet.

Den Hamas-Führern wirft der Ankläger unter anderem "Ausrottung" sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

Netanjahu und Gallant wird ebenfalls vorgeworfen, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein. Darunter sind das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung sowie willkürliche Tötungen und zielgerichtete Angriffe auf Zivilisten. Im Zentrum steht dabei das Vorenthalten (lebens-)notwendiger Güter, wie Nahrung, Medizin und Benzin gegenüber der Zivilbevölkerung in Gaza. Die beiden israelischen Regierungspolitiker seien dabei als Mittäter, aber auch als militärische Vorgesetzte verantwortlich. Welchen Vorwürfen Netanjahu und Gallant im Einzelnen ausgesetzt sind, haben Prof. Dr. Aziz Epik und Prof. Dr. Julia Geneuss für LTO zusammengefasst.

Baharav-Miara: Verstoß gegen den Grundsatz der Komplementarität

"Die Entscheidung des Chefanklägers ignoriert unter anderem die Tatsache, dass das israelische Justizsystem seine Unabhängigkeit in der Vergangenheit bewiesen hat, seine Unvoreingenommenheit, und seine Verpflichtung gegenüber den Werten der Wahrheit und Gerechtigkeit", sagte Baharav-Miara. "Wir schrecken nicht davor zurück, das Gesetz gegen jede Person durchzusetzen, selbst gegen die Spitze von Militär und Staat, wenn es wohlbegründeten Verdacht auf illegale Handlungen gibt", führte sie weiter aus. "Wir brauchen keine Hilfe von außen, um den Verdacht auf kriminelle Handlungen zu klären."

Hintergrund der Kritik ist der Grundsatz der Komplementarität. Dieser besagt, dass der IStGH nur zweitrangig zuständig ist. Das heißt, dass er Verbrechen grundsätzlich nur dann verfolgen darf, wenn diese nicht bereits in einem Staat verfolgt wird, der für die Verfolgung zuständig wäre. Nur wenn die nationale Justiz nicht willens oder nicht in der Lage ist, eine bestimmte schwere Straftat ernsthaft zu verfolgen. Verankert ist dieser Grundsatz in Art. 17 des Römischen Status des IStGH (Rom-Statut). 

"Die Staaten, die den Strafgerichtshof gründeten, sahen ihn als Instrument für Situationen, in denen Rechtlosigkeit herrscht. Das ist nicht unsere Situation", sagte Baharav-Miara. Deshalb verstoße Khan mit seinen Schritten gegen den Grundsatz der Komplementarität.

Die Generalstaatsanwältin verwies außerdem darauf, dass das Militär gegenwärtig selbst strafrechtliche Untersuchungen wegen möglicher Verstöße im Gaza-Krieg leite. 

Untersuchungen in 70 Fällen gegen Soldaten

Israels oberste Militäranwältin Jifat Tomer-Jeruschalmi betonte in diesem Zusammenhang am Montag ebenfalls bei der Juristenkonferenz in Eilat, dass Israel seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast acht Monaten in 70 Fällen Ermittlungsverfahren gegen Soldaten eingeleitet habe. Dabei gehe es um mutmaßliche Vergehen wie Plünderungen, Gewalt sowie den Tod von Gefangenen aus Gaza.

Auch sie kritisierte den Antrag auf Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant durch den IStGH-Chefankläger. Sie wies den Vorwurf der Aushungerung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen ebenso zurück wie den der gezielten Tötung von Zivilisten. 

"Im Krieg passieren auch Vorfälle, die den Verdacht des Verstoßes gegen das Kriegsrecht und gegen militärische Befehle wecken", sagte sie. Dies seien jedoch Ausnahmen. "Solche Verdachtsfälle werden gründlich und energisch untersucht." Die Ermittlungen der Armee seien professionell und unabhängig, betonte die Militäranwältin. 

Palästina als Vertragsstaat des IStGH

Dass der Ankläger überhaupt in der "Situation Palästina" ermitteln und Haftbefehle beantragen konnte, versteht sich nicht von selbst. Der IStGH hat nämlich keine universelle Zuständigkeit. Vielmehr kann er seine Gerichtsbarkeit nur ausüben, wenn Völkerrechtsverbrechen im Raum stehen, die auf dem Territorium oder aber von einem Staatsangehörigen eines Vertragsstaates begangen worden sind. Zwar erkennt Israel den Strafgerichtshof nicht an, doch die palästinensischen Gebiete sind Vertragsstaat, sodass Khan ermitteln darf.

Ob die Haftbefehle tatsächlich erlassen werden, müssen nun die Richter entscheiden. Die Konsequenz wäre, dass alle 123 Vertragsstaaten des Rom-Statuts, zu denen auch Deutschland zählt, verpflichtet sind, die Gesuchten festzunehmen und dem Gericht zu übergeben, sobald sie sich in ihrem Land befinden.

dpa/cho/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Israels Generalstaatsanwältin kritisiert IStGH-Chefankläger: . In: Legal Tribune Online, 27.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54633 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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