Eine der bekanntesten Strafverteidigerinnen der Niederlande wird aus der Haft entlassen. Sie soll in einem Drogenmafia-Prozess Nachrichten in und aus einem Hochsicherheitsgefängnis geschleust haben. Weski schweigt erst einmal.
Nach sechs Wochen Haft wird die niederländische Top-Strafverteidigerin Inez Weski wieder freigelassen, wie am Donnerstag ein Gericht in Rotterdam entschieden hat. Weski verteidigte den Hauptangeklagten in einem spektakulären Mega-Drogenprozess, der die Niederlande seit 2021 beschäftigt – und verunsichert. Auf der Anklagebank sitzt nämlich die mutmaßliche Führungsriege der global organisierten Kokain-Mafia, sozusagen die Verantwortlichen des niederländischen Mafia-Ablegers. Es geht auch um Hunderte Tonnen Kokain im Wert von mehreren Milliarden Euro, Geldwäsche, Auftragsmorde und Attentate, die sich gegen den niederländischen Staat richten.
Am 21. April wurde Weski von der Polizei verhaftet, ihr Haus und die Kanzlei in Rotterdam durchsucht. Die niederländische Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, selbst Teil der kriminellen Vereinigung geworden zu sein, deren mutmaßlichen Kopf sie verteidigte. Weski soll Nachrichten von und an den Hauptangeklagten Ridouan Taghi, der in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzt, über ein verschlüsseltes Telefon heimlich durchgestochen und damit ihre Stellung als Strafverteidigerin missbraucht haben. Taghi sitzt in Einzelhaft in einer besonders gesicherten Haftanstalt im Süden der Niederlande, er darf nur mit seinen Anwälten Kontakt haben. Weski hat das Mandat nach der Festnahme niedergelegt.
Staatsanwaltschaft scheitert mit Haftverlängerung
Die Staatsanwaltschaft wollte bei der Verhandlung am Donnerstag erreichen, dass Weski wegen laufender Ermittlungen weiter in Haft bleibt. Dem Gericht reichte die Begründung dafür aber nicht,es setzte die Untersuchungshaft aus. Dazu veröffentlichte das Gericht nur eine knappe Mitteilung auf Twitter. Auf Nachfrage von LTO teilte eine Gerichtssprecherin mit, dass man in diesem Verfahrensstadium über die Entscheidung regelmäßig keine weiteren Angaben zur Begründung mache.
Die Voraussetzungen für Untersuchungshaft gleichen in etwa den Regelungen in Deutschland. Das niederländische Gericht prüft "ernstige bezwaren", das ist mehr als ein vager Verdacht. Das ähnelt dem "dringenden Tatverdacht" aus dem deutschen Strafprozessrecht. Außerdem muss noch ein Haftgrund vorliegen. Etwa Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr, eine Wiederholungsgefahr oder eine besondere Gefahr für die öffentliche Sicherheit bei besonders schweren Straftaten. Zum Haftgrund teilten weder die Staatsanwaltschaft noch das Gericht etwas mit. Entschieden hat eine "meervoudige Strafkamer", also eine Strafkammer besetzt mit drei Richterinnen bzw. Richtern.
Die Verhaftung Weskis hatte für Bestürzung in der Strafverteidigerszene gesorgt - und für Verunsicherung in der Öffentlichkeit, eröffnen die Vorwürfe gegen Weski doch ein weiteres Kapitel in einem Prozess gegen die Kokain-Mafia, in dem der Rechtsstaat zunehmend unter Druck gerät. Die Staatsanwaltschaft stützt sich unter anderem auf die Aussagen eines Kronzeugen, der selbst Teil der Mafia war, dann aber ausgestiegen ist. In kurzer zeitlicher Abfolge wurde seit dem Seitenwechsel des Mannes sein Bruder in dessen Büro von einem Auftragskiller erschossen, ebenfalls sein Anwalt Derk Wiersum in einem Wohngebiet in Amsterdam und auch der bekannte Kriminaljournalist Peter R. de Vries, der die Vertrauensperson des Kronzeugen geworden war, starb nach Schüssen auf ihn in einer Fußgängerzone in Amsterdam. Ein Prozess unter hohem Druck also, denn die Öffentlichkeit stellt sich die Frage, ob die Justiz die Sicherheit im Umfeld des Kronzeugen eigentlich noch gewährleisten kann.
Rätsel um ihre Verhaftung
Die Verhaftung der Anwältin Weski hat dem Großverfahren eine weitere Wende gegeben und neue Fragen aufgeworfen. Ihr Fall bleibt ein Rätsel: Hat sie sich auf die andere Seite geschlagen, wurde sie unter Druck gesetzt oder hat die Staatsanwaltschaft überreagiert?
Weski gilt als renommierte Top-Strafverteidigerin, die bisher am liebsten Verfahren der Superlative übernommen hatte, sie verteidigte wegen Kriegsverbrechen und Waffenschmuggels. Sie gilt auch als Kritikerin der staatlichen Sicherheitsbehörden. Beobachter weisen auf das angespannte Verhältnis zwischen Weski und der Staatsanwaltschaft im Prozess gegen Taghi hin. "Sie hat sich immer vehement gegen den Staat, die Staatsanwaltschaft und die Sicherheitsdienste gewehrt", erklärt der renommierte Kriminaljournalist Paul Vughts im Podcast mit seinem Kollegen Wouter Laumans von der niederländischen Zeitung Het Parool. Der niederländische Strafverteidiger Peter Schouten zeigte sich nicht überrascht von der Entscheidung am Donnerstag, er sagte RTL Nieuws: "Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass es nicht genug ernsthafte Vorwürfe gegen sie gibt."
Warum Weski schweigen will – und vielleicht sogar muss?
Weskis Anwälte kommentierten die Entscheidung vom Donnerstag nur mit einem kurzen Statement. "Die Mandantin hat sich aufgrund ihrer Schweigepflicht nicht geäußert und wird dies auch nicht tun", heißt es übersetzt in der Erklärung. "Die Auswirkungen all dessen, was seit dem 21. April 2023 geschehen ist, sind erheblich."
Der Verweis auf die Schweigepflicht kommt nicht ganz überraschend. Bereits kurz nach der Festnahme hatten Strafverteidiger und Beobachterinnen diskutiert, ob Weskis Verteidigungsstrategie in diese Richtung gehen könnte – vielleicht sogar gehen müsste. Das Vertrauensverhältnis und die Schweigepflicht stellen einen fundamentalen Grundsatz in der Arbeit der Strafverteidiger dar.
Im Fall von Weski stellt sich die Frage, wie sie überhaupt auf die Vorwürfe der durchgespielten Nachrichten reagieren könnte, ohne zugleich ihre Schweigepflicht zu verletzen. Ein Verstoß könnte wiederum eine neue Straftat darstellen. In einer ähnlichen Klemme saß auch der Strafverteidiger Youssef T. Im Sommer 2022 wurde der Anwalt zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, er soll Nachrichten in und aus dem Hochsicherheitsgefängnis geschmuggelt haben, der Anwalt war der Neffe von Taghi. Schon damals tauchten Hinweise auf, dass es noch eine zweite Übermittlerin gegeben haben könnte. Auch er berief sich nach seiner Festnahme auf seine Schweigepflicht. Ob und wann er sie im Laufe des Verfahrens gebrochen hat, lässt sich nicht rekonstruieren.
Auch wenn Weski nun aus der Untersuchungshaft entlassen wird, die Ermittlungen gegen sie laufen weiter.
Niederländische Gerichtsentscheidung: . In: Legal Tribune Online, 02.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51911 (abgerufen am: 13.11.2024 )
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