IGH: Serbien und Kroatien begingen keinen Völkermord

03.02.2015

Fast 20 Jahre nach dem Bürgerkrieg auf dem Balkan hat der IGH Serbien und Kroatien vom Vorwurf des Völkermords freigesprochen. Das höchste UN-Gericht wies am Dienstag in Den Haag die entsprechenden Klagen beider Staaten ab: Die schweren Verbrechen seien kein Völkermord gewesen. 

Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) fiel erwartungsgemäß aus: Serben und Kroaten verübten im Krieg auf dem Balkan schlimme Verbrechen, aber keinen Völkermord, urteilt das höchste UN-Gericht. Seine Entscheidung ist unanfechtbar.

Auf beiden Seiten seien zwar Verbrechen mit den Merkmalen des Völkermordes begangen worden. Doch es war nach dem Urteil der 17 Richter kein geplanter Massenmord. Mit dem Urteil geht nach fast 16 Jahren das bisher längste Völkermord-Verfahren des IGH zu Ende.

Kroatien hatte Serbien 1999 vor allem wegen der Zerstörung der Stadt Vukovar 1991 und den sogenannten ethnischen Säuberungen zu Beginn des blutigen Konflikts verklagt. 13 500 Kroaten wurden getötet, Hunderttausende vertrieben. Die Richter erkannten zwar an, dass die Verbrechen verübt worden waren. Doch fehlten Beweise, dass Serbien die Auslöschung einer ganzen Bevölkerungsgruppe bewusst geplant habe. Der Gerichtshof klassifiziert dieses subjektive Element als "essentielles Charakteristikum des Völkermords".

Analog fiel die Begründung für die Abweisung der serbischen Gegenklage aus. Zwar seien bei der Rückeroberung der von der serbischen Minderheit kontrollierten Gebiete im Jahr 1995 schwere
Verbrechen verübt worden. Doch als Völkermord im Sinne von Art. II der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords könnten die nicht klassifiziert werden.

Schwere Verbrechen, aber nicht schwer genug

Gerichtspräsident Peter Tomka rief in seinem Schlusswort die beiden Länder auf, sich friedlich zu einigen: "Das Gericht ermutigt die Parteien zu weiterer Zusammenarbeit mit Blick auf angemessene
Entschädigung, was Frieden und Stabilität in der Region fördern kann." 

Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic zeigte sich enttäuscht: "Wir sind nicht zufrieden, aber akzeptieren das Urteil in zivilisierter Art und Weise. Von unseren Forderungen an Serbien, dass es den
Verbleib der Vermissten aufklärt und (die geraubten) staatlichen Güter zurückgibt, werden wir aber nicht abrücken."

Die neu gewählte Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic sagte: "Das Gericht hat entscheiden, dass die schweren Verbrechen gegen die Menschenrechte nicht schwer genug gewesen sind, um sie als Völkermord zu bezeichnen."

Serbiens Justizminister Nikola Selakovic erklärte: "Das Gericht hat unsere Erwartungen erfüllt." Staatspräsident Tomislav Nikolic sieht in dem Urteil sogar eine Rehabilitierung seines Landes als Aggressor. Es "hat große Bedeutung für das serbische Volk, weil die gebräuchlichen Stereotypen der internationalen Gemeinschaft über die Ereignisse in früheren Jahren umgedreht werden".

Der IGH hatte bereits 2007 Serbien vom Vorwurf des Völkermordes in Srebrenica freigesprochen. Auch das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien hat nur den Massenmord von Srebrenica 1995 in Bosnien als Völkermord anerkannt. Dafür müssen sich noch der ehemalige Serbenführer Radovan Karadzic und der serbische Ex-General Ratko Mladic verantworten. Zu Verbrechen im Balkankrieg laufen derzeit noch insgesamt acht Prozesse vor dem Tribunal in Den Haag.

dpa/pl

Zitiervorschlag

IGH: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14569 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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