Unter bestimmten Bedingungen dürfe Schwerkranken der Zugang zu tödlichen Medikamenten nicht verwehrt werden, so das BVerwG 2017. In der Praxis passiert aber nichts, Gesundheitsminister Spahn steht nun in der Kritik.
Im Streit um Möglichkeiten für Schwerkranke, sich Medikamente zur Selbsttötung zu kaufen, sind inzwischen 102 Anträge auf eine amtliche Erlaubnis abgelehnt worden. Insgesamt gingen bisher 133 Anträge ein, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte am Montag auf Anfrage mitteilte. 24 Antragsteller seien inzwischen gestorben, über die übrigen Anträge sei noch nicht entschieden worden. Das Bundesinstitut erläuterte, jeder eingehende Antrag werde geprüft. Antragsteller würden dafür auch um Unterlagen wie Gutachten gebeten.
Anlass für Anträge dieser Art bietet eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 2.3.2017, Az. 3 C 19.15), wonach Sterbewilligen "in extremen Ausnahmesituationen" ein Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel nicht verwehrt werden dürfe. Das Bundesgesundheitsministerium wies das Bundesinstitut 2018 aber an, entsprechende Anträge von Bürgern abzulehnen.
Streit um Verbot der Sterbehilfe neu entbrannt
Ressortchef Jens Spahn (CDU) hatte die Linie des Ministeriums verteidigt. Er verwies darauf, dass sich der Bundestag 2015 für das Verbot der organisierten Sterbehilfe ausgesprochen habe. Das sei für ihn handlungsleitend. Dieser Beschluss des Bundestages war schon damals kritisiert worden. Der renommierte Medizinrechtler Wolfgang Putz beispielsweise hielt im Interview mit LTO das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe durch berufsrechtliche Sonderregeln für Ärzte für "unsäglich", es solle auf Basis der "Menschenrechte des Grundgesetzes" aufgehoben werden, wie er forderte. Nach dem Medizinrecht sei die Garantenstellung des Arztes nur vom Willen des Patienten und nicht vom absoluten Lebensschutz geprägt, argumentierte Putz.
Auch das Urteil des BVerwG war sofort auf Kritik gestoßen, Professor Dr. Dr. Udo di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, hielt das Urteil sogar für verfassungswidrig. Geklagt hatte damals der Witwer einer Frau, die nach einem Unfall nahezu bewegungsunfähig und auf ständige Betreuung angewiesen war. Nachdem ihre Anträge an das Bundesinstitut auf Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels abgelehnt worden waren, reiste das Ehepaar in die Schweiz, wo die Frau sich mit Hilfe eines dort erlaubten Sterbehilfevereins das Leben nahm. Ihr Mann setzte danach den Kampf vor den Gerichten fort, seine Klagen wurden aber abgelehnt, er sei nicht klagebefugt.
BVerfG entscheidet voraussichtlich Ende Februar
Schließlich führte aber eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zur Wiederaufnahme des Verfahrens (Urt. v. 19.7.2012, Beschwerde-Nr. 497/09). Der EGMR entschied, dass der Ehemann einen Anspruch darauf habe, dass die deutschen Gerichte die Begründetheit seiner Klage prüfen. Dieser Anspruch ergebe sich aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Ob Deutschland Sterbehilfe legalisieren wolle oder nicht, verbleibe aber auch nach dem Urteil im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, wie etwa Professor Dr. Michael Kubiciel schrieb.
Vorausichtlich am 26. Februar 2020 wird nun das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verkünden. Geklagt haben schwerkranke Menschen, Ärzte und professionelle Suizidhelfer.
ast/dpa/LTO-Redaktion
Verbot der Sterbehilfe: . In: Legal Tribune Online, 13.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39649 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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