Expertenkommission legt Abschlussbericht vor: "Deut­sche Wohnen" darf ver­ge­sell­schaftet werden

28.06.2023

Nach einer Berliner Bürgerinitiative sollen große Immobilienunternehmen vergesellschaftet werden. Eine Expertenkommission sollte das u. a. rechtlich prüfen – und kommt zu dem Ergebnis: Das wäre möglich. Die Details und wie es jetzt weitergeht.

Mehr als ein Jahr lang hat die vom Berliner Senat eingesetzte Expertenkommission zum Thema Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen beraten. In ihrem Abschlussbericht kommt die Kommission nun zu dem Schluss, dass die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen möglich ist. Der Bericht wurde am Mittwochnachmittag an den schwarz-roten Senat übergeben. Dass dieser die Vergesellschaftung zeitnah auf den Weg bringt, ist aber nicht zu erwarten.

Bei der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2021, die mit der Bundestagswahl zusammenfiel, lief einiges schief. Für Berlin ist die Folge nicht zuletzt, dass neu gewählt werden musste und der Stadtstaat seit April 2023 einen neuen Senat hat. Nicht annulliert wurde hingegen das Ergebnis des erfolgreichen, von der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. Enteignen" (DWEnteignen) durchgesetzten Volksentscheids, über den ebenso abgestimmt worden war. Gut 59 Prozent der Berliner Wähler hatten damit für die Vergesellschaftung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen gestimmt.

Vergesellschaftung bedeutet gemäß Art. 15 GG die Überführung größerer Boden- und Sachbestände in "Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft". Hier steht die nach einem möglichen Eigentumsentzug (der nicht zwingend ist) die am Gemeinwohl orientierte spätere Nutzung im Fokus. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG: Hier wird dem Eigentümer zwingend das Eigentum entzogen; sie bezieht sich aber nur auf einzelne, konkrete Sachen oder Rechte.

Vor allem Rechtsprofessoren in der Kommission

Wie der neue schwarz-rote Senat war auch die damalige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nicht begeistert von dem Vorhaben. Unter Protest von DWEnteignen verzichtete die rot-rot-grüne Koalition auf eine sofortige Umsetzung des von den Wählern befürworteten Gesetzentwurfs und einigte sich stattdessen auf die Einberufung einer Expertenkommission, die prüfen sollte, ob und ggf. wie das Anliegen umgesetzt werden kann.

Die von der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) geleitete Kommission hat 13 Mitglieder, von denen jeweils drei von den damaligen Regierungsparteien SPD, Grüne und Linke sowie von "DW enteignen" nominiert wurden. Die Oppositionsparteien durften keine Experten entsenden. Die Besetzung blieb auch nach der Berliner Neuwahl unangetastet.

Die Kommission ist wie folgt besetzt: mit neun Universitäts-Professoren und einem Universitäts-Dozenten, darunter acht Juristen, eine Expertin für Geographische Stadtforschung und ein Experte für Infrastrukturwirtschaft und -management. Hinzu kommen die Vorstandsvorsitzende einer Bank, ein ehemaliger Verfassungsrichter und mit Däubler-Gmelin eine Politikerin, die auch Juristin ist.

Wie schon im Zwischenbericht: Berlin kann Vergesellschaftung regeln

Wie zuvor Kommissionsmitglied Dr. Tim Wihl auf LTO kam die Kommission vor rund einem halben Jahr zu dem Zwischenfazit, das Grundgesetz eröffne dem Land Berlin die Möglichkeit, die Vergesellschaftung von Grund und Boden in einem Gesetz zu regeln. Allerdings gab es in der Kommission unterschiedliche Einschätzungen darüber, ob die Berliner Landesverfassung dem möglicherweise entgegenstehe.

Nach über einem Jahr und insgesamt 26 Tagen Beratung ist nun der 156 Seiten lange Abschlussbericht fertig. In dem am Mittwoch vorgestellten Gutachten geht es um Fragen der Gesetzgebungskompetenz, Verhältnismäßigkeit, Entschädigung und Gleichbehandlung. Nicht in allen Fragen sind die Kommissionsmitglieder einer Meinung. Sie kommen aber unisono zu dem Schluss, dass die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen in Berlin möglich sei; darüber berichtete am vergangenen Freitag vorab der Tagesspiegel.

Wie schon im Zwischenbericht ist sich die Kommission einig darüber, dass "Grund und Boden" im Sinne von Art. 15 S. 1 GG auch Immobilienbestände von Wohnungsunternehmen umfasst. Voraussetzung sei, dass "die gemeinnützige Bewirtschaftung" der betroffenen Objekte "für die Zukunft gesetzlich gesichert ist" und dass "die betroffenen Grundstücke durch das Gesetz abschließend bestimmt" sind, was aber "keine konkrete Bezeichnung der einzelnen Flurstücke verlangt". Nach Einschätzung der Kommission hat das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz für ein entsprechendes Vergesellschaftungsgesetz.

Auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit steht einer Vergesellschaftung nach Auffassung der Kommissionsmehrheit nicht entgegen. "Nach derzeitigem Erkenntnisstand" seien keine gleich geeigneten Mittel erkennbar, die "die betroffenen Grundrechte weniger einschränken und zugleich Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belasten." Drei Kommissionsmitglieder sehen das jedoch anders. In einem Sondervotum vermögen sie die Frage der Verhältnismäßigkeit "nach gegenwärtiger Erkenntnislage nicht abschließend" zu beantworten.

Entschädigung unter Verkehrswert möglich

Klar ist nach Art. 15 S. 2 GG, dass betroffene Wohnungsgesellschaften für die Vergesellschaftung eine Entschädigung erhalten müssen.

Eine Mehrheit in der Kommission ist insofern der Ansicht, dass die Höhe der Entschädigung für die Vergesellschaftung – anders als bei einer Enteignung – unter dem Verkehrswert liegen dürfe. Die Details sind aber umstritten: Ein Teil will bei der Berechnung der Entschädigung die "Erträge aus der mit dem Vorhaben anvisierten gemeinnützigen Bewirtschaftung" – also die für die verstaatlichten Wohnungen angesetzten Mieten – zugrunde legen. Eine Minderheit will die Kompensation zumindest am Verkehrswert des Objekts anlehnen.

Drei Kommissionsmitglieder haben hierzu wiederum ein Sondervotum abgegeben: Sie halten den Verkehrswert für maßgeblich, "von dem allerdings Abschläge möglich seien. Außerdem seien die Mutterunternehmen von Objektgesellschaften zusätzlich zu entschädigen, soweit bei ihnen weitergehende Vermögensschäden anfallen."

Keine willkürliche Behandlung von Unternehmen ab 3.000 Wohnungen

Ein Knackpunkt ist auch der Gleichbehandlungsgrundsatz: Der Gesetzentwurf von DWEnteignen sieht eine Vergesellschaftung von Unternehmen mit Beständen ab 3.000 Wohnungen vor. Diese Grenze erscheint Kritikern willkürlich: Ein Unternehmen mit 2.999 Wohnungen dürfte diese behalten, ein Unternehmen mit nur einer Wohnung mehr nicht.

Die Kommission leugnet nicht die "damit verbundene Ungleichbehandlung". Sie lasse sich nach "einhelliger Auffassung" in der Kommission aber rechtfertigen, nämlich "mit Blick auf die mit solchem Vorgehen gewonnene Effizienz in der Erschließung des erforderlichen Gesamtbestands an gemeinnützig zu bewirtschaftenden Wohnungen." Die Mehrheit der Kommission hält auch eine Rechtfertigung "unter Hinweis auf die mit der Bestandsgröße typischerweise korrespondierende gesellschaftliche Machtstellung der betroffenen Unternehmen" für zulässig.

Auch Ausnahmen für landeseigene, genossenschaftlich organisierte und anerkannt gemeinnützige Wohnungsunternehmen seien zulässig. Ihnen fehle die "Privatnützigkeit der Bewirtschaftung".

Keine baldige Vergesellschaftung zu erwarten

Nachdem Däubler-Gmelin den Abschlussbericht am Mittwochnachmittag im Roten Rathaus an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und an Stadtentwicklungs- und Bausenator Christian Gaebler (SPD) übergeben hat, stellt sich die Frage, wie es weitergeht.

Der jetzige Senat hatte den Fall, dass die Kommission eine "verfassungskonforme Vergesellschaftungsempfehlung" abgibt, im Koalitionsvereinbarung geregelt: Dieser sieht vor, zunächst ein Vergesellschaftungsrahmengesetz zu beschließen. Es soll erst zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten und davor vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. So will Schwarz-Rot eine Panne vermeiden wie diejenige, die Rot-Grün-Rot beim Mietendeckel-Gesetz erlebt hatte: Der war schon in Kraft getreten, als die Richter in Karlsruhe ihn im April 2021 doch noch gekippt hatten.

DWEnteignen hat die Pläne für ein Rahmengesetz mehrfach kritisiert. Die Initiative wirft dem Senat vor, eine Verschleppungstaktik zu betreiben, und fordert stattdessen ein direktes Vergesellschaftungsgesetz.

mk/dpa/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Expertenkommission legt Abschlussbericht vor: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52104 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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