EuGH zu Einreiseverboten: Familie allein reicht nicht

08.05.2018

Drittstaatenangehörige mit Einreiseverboten können von Familienangehörigen in der Regel kein Aufenthaltsrecht in der EU ableiten. Die nationalen Behörden müssen den Antrag aber in jedem Fall prüfen, so der EuGH.

Stellen Menschen aus Nicht-EU-Staaten - sogenannte Drittstaatenangehörige - einen Antrag auf Familienzusammenführung, so müssen die Behörden diesen prüfen. Das gilt auch in Fällen, in denen gegen den Antragsteller ein Einreiseverbot besteht, wie nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden hat (Urt. v. 08.05.2018, Az. C-82/16). Gleichwohl müssten solche Anträge nur in Ausnahmefällen bewilligt werden.

In der Sache ging es um Drittstaatenangehörige aus Armenien, Russland, Uganda, Kenia, Nigeria, Albanien und Guinea. Sie alle sollten Belgien verlassen und bekamen zugleich ein Einreiseverbot auferlegt. Die Gründe waren unterschiedlich: Von einigen Betroffenen soll eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgegangen sein, andere hatten an ihrer Rückkehr nicht mitgewirkt.

In der Folge stellten die Betroffenen in Belgien Anträge auf Aufenthaltsgewährung - als Abkömmling eines belgischen Staatsangehörigen, als Elternteil eines minderjährigen belgischen Kindes oder als ein mit einem belgischen Staatsangehörigen in einer Beziehung zusammenlebender Partner. Die Gründe für die ihnen auferlegten Einreiseverbote spielten für den EuGH, der im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens angerufen worden war, allerdings keine Rolle.

Fest steht - so hat es der Gerichtshof bereits früher entschieden - dass sich aus der Unionsrichtlinie und den Regeln über die Freizügigkeit nach Art. 20 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) für drittstaatenangehörige Familienmitglieder von EU-Bürgern ein Aufenthaltsrecht ableiten lässt (u.a. Urt. v. 08.03.2011, Az. C-34/09). Zwar geht es darin um die Freizügigkeit. Dieser "Kernbestand des Rechts", den das Recht, mit seinen Angehörigen zusammen zu leben, nach Auffassung des EuGH darstellt, müsse aber auch dem Unionsbürger gewährt werden, der nie sein Land verlassen habe, so die Luxemburger Richter. Ansonsten könne der Bürger sich verpflichtet fühlen, die EU zu verlassen, um sein Recht auf Familienleben auszuleben.

Erwachsene müssen allein für sich sorgen

Allerdings bedürfe es eines Abhängigkeitsverhältnisses, damit der Drittstaatenangehörige tatsächlich ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht habe. Bei Erwachsenen käme das nur in außergewöhnlichen Fällen in Betracht, in denen die betreffende Person in Anbetracht aller relevanten Umstände keinesfalls von dem Familienangehörigen getrennt werden dürfe, von dem sie abhängig sei, so der Gerichtshof.

Bei Minderjährigen und insbesondere Kleinkindern müssen nach dem Spruch des EuGH sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Dazu gehören das Alter des Kindes, seine körperliche und emotionale Entwicklung, der Grad seiner affektiven Bindung an jeden Elternteil und das Risiko, das für sein inneres Gleichgewicht mit der Trennung von dem Elternteil verbunden wäre.

Die bloße familiäre Bindung sei jedenfalls jedoch nicht ausreichend und allein der Umstand, dass die Familie mal zusammengelebt habe, genüge auch nicht. Wann das Abhängigkeitsverhältnis entstanden ist oder auch eine mögliche Bestandskraft des Einreiseverbots spielen nach der Entscheidung der Luxemburger Richter jedoch keine Rolle.

Selbst bei einer Gefahr für die öffentliche Ordnung müssen die Mitgliedstaaten den Antrag auf Familienzusammenführung prüfen. Das bedeutet nicht, dass sie ihm stattgeben müssen. Aber die nationalen Behörden müssen ihr Ermessen ausüben und ihre Entscheidung nach einer konkreten Beurteilung aller Umstände treffen.

tap/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH zu Einreiseverboten: . In: Legal Tribune Online, 08.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28517 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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